
Real Madrid: Flacheres 4-4-2 statt Raute
MADRID. Er hatte es eingeführt, er hat es beendet. Nach zehn Jahren setzte Carlo Ancelotti bei Real Madrid zur Vorbereitung auf die Saison 2023/24 zumindest vorerst einen Schlussstrich unter das bewährte und so erfolgversprechende 4-3-3-System. Der Stein des Anstoßes: Der offensive Bereich der Startformation hat mit Karim Benzema einen Mittelstürmer verloren und mit Jude Bellingham einen offensiven Mittelfeldspieler dazugewonnen. Ancelottis klare Marschroute lautete bereits ab den Testspielen in den USA: Es geht mit einem 4-1-2-1-2 weiter, also einem 4-4-2 mit einer Raute in der Zentrale.
Keine revolutionäre Taktik, vielmehr eine alte, die es vermehrt zuletzt in den 2000er Jahren gab. „Carletto“ selbst wandte die Formation bei seinem italienischen Herzensverein AC Mailand an. Der damalige Bellingham hinter den Spitzen: Kaká.
Bei Real scheint sich das 4-1-2-1-2 allerdings nur kurz gehalten zu haben. In Wahrheit agieren die Blancos größtenteils gar nicht mehr in diesem System, sondern inzwischen vielmehr in einer 4-4-2-Variante mit einer üblichen Mittelfeldviererreihe – nicht nur in einer Grundformation beim Anstoß, sondern über weite Strecken auch während einer Partie.
Die Veränderung der Positionierungen ließ sich erstmals genauer Mitte September beim 2:1 im Estadio Santiago Bernabéu gegen Real Sociedad beobachten. Seit dem 3:0 Ende September bei LaLiga-Tabellenführer FC Girona greift Ancelotti dann wirklich nahezu durchgängig auf die neue Mittelfeld-Variante zurück. All das belegen auch realtaktische Formationen anhand der durchschnittlichen Positionen der Spieler in einer Begegnung.
Ancelotti bestätigt: Real Madrid vor allem ohne Ball im 4-4-2
Obendrein bestätigte der 64-Jährige das am Freitag gegenüber der Presse auch: „Wir haben das System geändert. Defensiv haben wir uns verändert, wir verteidigen praktisch immer mit zwei Viererkette, wenn man es mit der Vorbereitung und den ersten Spielen vergleicht, als es eine sehr klare Raute war. In der Defensivarbeit hat sich das System verändert und es trägt bislang gute Früchte, denn wir haben oft ohne Gegentor gespielt. Im Ballbesitz ist es sehr schwierig, ein System auszumachen. Ohne Ball ist es klar: 4-4-2.“

Bellingham kommt viel über die linke Seite
Interessant: Die beiden äußeren Akteure agieren nicht klassisch ausschließlich auf den Flügeln, sondern orientieren sich auch viel in das Zentrum, sodass mindestens einer von ihnen vor der Doppelsechs den Zehner gibt. Um Namen ins Spiel zu bringen: Jude Bellinghams Position „liegt jetzt viel weiter links“, so Ancelotti. Er bewegt sich von dort kontinuierlich in die Mitte, während Federico Valverde die rechte Bahn gehört.

Der Uruguayer scheint in diesem System eine noch bedeutendere Rolle zu besitzen. Real hat schlicht keinen anderen Achter dieser Charakteristik, der die Seite offensiv beackert, dort Räume besetzt, die der zentralere Rodrygo Goes beim Kombinieren mit Vinícius Júnior und Bellingham auf der linken Seite hinterlässt. Nicht zuletzt deshalb bot Ancelotti den Mann mit der Nummer 15 an einem Samstagabend gegen den FC Sevilla gleich wieder von Anfang an auf, obwohl dieser erst am Donnerstag zuvor von der Nationalmannschaft zurückgekehrt war. Auch in den darauffolgenden vier Partien war Valverde stets Teil der ersten Elf.
Modrić, Kroos, Tchoauméni und Camavinga zentral
Kommt Luka Modrić zum Zug, bilden die beiden meist ein Duo auf der rechten Seite, das sich im Ballbesitzspiel immer wieder findet. Der Kroate innen, der Uruguayer außen. In einem 4-1-2-1-2 würde sich die Nummer 10 nicht ebenfalls rechts aufhalten, sondern auf der linken Halbposition – so war das systemunabhängig immer, wenn Valverde mitwirkte.
Modrić, Toni Kroos, Aurélien Tchoauméni und Eduardo Camavinga sieht Ancelotti bei der flacheren Mittelfeld-Formation in den beiden Rollen vor der Abwehr. Wie Sami Khedira neulich als Co-Kommentator bei dem Streamingdienst DAZN während des Clásicos gegen den FC Barcelona verriet, habe der italienische Coach das 4-4-2 bereits in dessen erster Amtszeit von Mitte 2013 bis Mitte 2015 etablieren wollen. Der deutsche Weltmeister von 2014 gehörte damals noch zum Kader der Merengues. Letztlich sei Real aber nur vereinzelt so angetreten, da sich Cristiano Ronaldo zu jener Zeit nicht so sehr mit der mittigen Position im Angriff anfreunden konnte wie später unter Zinédine Zidane.
So wie damals CR7 würden sich jetzt sicherlich auch Vinícius und Rodrygo eine nicht derartig zentrale Rolle wünschen. Den Gefallen wird Ancelotti ihnen angesichts des Überangebots im Mittelfeld und des fehlenden Top-Mittelstürmers allerdings kaum tun können. Die mit 13 Siegen, zwei Unentschieden und nur eine Niederlage bislang erfolgreiche Saison erfordert das auch nicht zwangsläufig. Nimmt man den Girona-Abstecher als System-Wendepunkt, fällt die Bilanz ebenso gut aus: sechs Erfolge, zwei Remis bei 18:5 Toren.
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