Reportage

Das Problem mit den Ultras Sur

Das Publikum von Real Madrid unterscheidet sich von dem anderer Vereine. Als weltweit bekannter und berühmter Klub verfügen die Königlichen über ein äußerst internationales Image, aufgrund der großen Erfolge aus der Vergangenheit darüber hinaus ein immens anspruchsvolles. Von alleine mitsingen, anfeuern, die Mannschaft pushen? Selten der Fall. Auf eine Gruppierung konnten sich die Stars bis dato jedoch stets verlassen: Die Ultras Sur, die in der Südkurve des Santiago Bernabéu heimisch sind. Allerdings ist der Großteil des „Hoheitsbereichs“ jener Ultras seit geraumer Zeit halb leer und wird die Plätze zum Jahreswechsel räumen müssen. Warum? REAL TOTAL geht der Sache auf den Grund.

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Dieses Stadion ist ohne die Südkurve ein Friedhof Gesang der Ultras Sur

Ein Fußballtempel, der kein Hexenkessel ist

MADRID. In vielerlei Hinsicht wird Real Madrid seiner Bezeichnung als „königlicher Verein“ gerecht. In einer jedoch nicht: Die Unterstützung der Anhängerschaft. Mit einer Zuschauerkapazität von über 80.000 ist der Rekordchampion in Champions League und spanischer Meisterschaft in Besitz eines echten Fußballtempels mit einer großen Historie. Das Problem: Dieser Fußballtempel präsentiert sich an Spieltagen nicht als solcher – außer, wenn es in Clásico oder bedeutenden Champions-League-Partien zur Sache geht.

„Viele Mitglieder sind alt, über 40, die wollen da ihren Sonntag verbringen und ein bisschen applaudieren. In den zehn Reihen über, unter und neben mir singen die Leute nicht. Ich bin der Einzige! Seit sieben Jahren!“, erzählt Pablo, 29 Jahre alt und langjähriger Fan der Merengues. Sein Vater Hervas, 52 Jahre, erwidert: „Ich singe auch. Ab und zu.“ Sohn: „Du singst, wenn Madrid gewinnt. Oder bei einem Champions-League-Spiel.“ Vater: „Ich bezahle für diese Typen viel Geld. Die müssen mich animieren! Es kann doch nicht umgekehrt sein!“ Sohn: „Ein Theaterpublikum. Wenn es gefällt, applaudiert man, wenn nicht, wird gepfiffen. Ich pfeife nicht, wenn mein Team verliert, ich bin traurig. Aber der Rest der Leute ist nicht so. Die sitzen da und knabbern Sonnenblumenkerne.“ Vater: „Es ist eben anders als bei anderen Vereinen. Bei Atlético zum Beispiel sind die Zuschauer es super gewohnt zu verlieren. Daher sind sie es auch super gewohnt, anzufeuern. Aber Real Madrid hat so viel gewonnen, dass wir es kaum noch ertragen, zu verlieren. Verstehen Sie?“*

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Dieser Dialog zeigt: Nicht wenige Zuschauer zählen in etwa nur eine Hand voll Vereine in Spanien und Europa zu ebenbürtigen Gegnern. Den 29-jährigen Pablo, der denjenigen nicht angehört, könnte man gut und gerne auch in die Südkurve des Estadio Santiago Bernabéu stellen. Denn von dort aus erhalten die Stars dann doch Support – dank der bekannten Fan-Gruppierung Ultras Sur, die seit 1980 in der „Süd“ Zuhause ist und der Großteil dem weißen Ballett stets unterstützend zur Seite steht. Aber seit einigen wenigen Wochen ist es bei Heimspielen selbst dort ruhig geworden, die beiden Blöcke nur noch zur Hälfte, manchmal gar nicht gefüllt.

Estadio Santiago Bernabéu - Ultras Sur
Keine Ultras Sur im Bernabéu

Pérez nutzt Ultra-interne Streitigkeiten

Warum? Wegen Differenzen mit anderen Fanklubs? Nein. Wegen der Unzufriedenheit über den im Vergleich zu früheren Jahren verkleinerten Fanblock? In erster Linie nicht. REAL TOTAL erfuhr: Präsident Florentino Pérez nutzte Streitigkeiten zwischen jungen und alten Mitgliedern der Ultras Sur und setzte weite Teile der Gruppe bereits vor die Tür – Hausverbot! Nationalsozialistische Neu-Mitglieder, die zur Gewalt neigen, werden für den größten Real-Madrid-Fanklub zum Verhängnis, schreibt MUNDO DEPORTIVO. Der neue Ultra-Führer soll sogar Anhänger von Atlético sein! „Ich bin einer von Atlético, mir gefallen Madrid und die Stufen des Bernabéu. Wem das nicht gefällt, der weiß es nun“, zitiert ihn das Blatt. Dem schloss er an: „Heil Hitler!“ Am 9. November gab es vor dem Spiel der Madrilenen gegen Real Sociedad um 15:30 Uhr eine Versammlung in der Ultras-Sur-Bar „El Drakkar“, auf der der „Bürgerkrieg“ weiterging.

Die Ultras Sur verlieren ihre DNA. Doch nicht nur das: Bestimmte Personen sollen sogar vollständig aus dem Klub verbannt werden. Lokalen Medienberichten zufolge spiele der Rechtsextremismus und Gewalttaten vieler Ultras dabei eine wesentliche Rolle. Beim „Derbi Madrileño“ am 28. September soll es wieder verstärkt Nazi-Flaggen und weitere rechtsextreme Symbole im Block gegeben haben. Ein Motiv für den Gang ins Stadion stellt nämlich nicht nur die Unterstützung für die Akteure dar, sondern bei dem einen oder anderen auch die Interessen und Standpunkte in politischer Hinsicht. Das gibt es jedoch nicht nur bei den Blancos, die dem nun jedoch ein Ende bereiten wollen. Ultras sollen Pérez gar drohen, sofern er seinen Plan durchziehe.

Beim Match am Samstag gegen Real Valladolid (4:0) machten die Ultras einmal mehr via Gesängen auf sich aufmerksam und ihrem Unmut über das Bernabéu-Verbot Luft. „Dieses Stadion ist ohne die Südkurve ein Friedhof“, hallte es unter anderem an Protestrufen (Video oben). Proteste, da aufgrund Fehlverhaltens einer Minderheit gleich alle raus müssen. Real Madrid soll dem entgegnen: „In Madrid haben nicht die Journalisten, nicht die Spieler und nicht die Ultras das Sagen. In Madrid haben die Mitglieder das Sagen!“

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Der Plan: Neuer Fanklub in „Madrids Süden“

Im Januar 2014 sollen die Ultras Sur spanischen Medienberichten zufolge komplett raus. Und dann? Gibt es dann nur noch Sonnenblumenkerne knabbernde Gäste, für die ‚Unterstützung‘ ein Fremdwort ist? Nein. Der Verein plant eine neue Fan-Gruppe junger Supporter, die „Grada joven Fans Sur“, die das Bernabéu mit farbenfrohen Fahnen und Gesängen auffrischen und für die es 1.600 Plätze geben soll. Die Ultras Sur mussten sich bis dato mit 885 begnügen.

Was sagen ihre Veteranen zu dem Ganzen? Via Facebook heißt es: „Diese Personen (neue Mitglieder; d. Red.) sorgen mit Provokationen schon seit zwei Jahren für Spannungen innerhalb der Gruppe – aus rein wirtschaftlichen Motiven. Real Madrid wollte nie etwas von dieser Gruppe wissen, die Polizei wurde wegen der Ereignisse alarmiert. Für Madrid ist klar: Ohne den Verantwortlichen (Repräsentant; d. Red.) der Ultras Sur, mit dem sie schon viele Jahre zusammenarbeiten und dem vertraut wurde, gibt es keine Fankurve.“ 

Was auch immer in den kommenden Wochen geschieht, kann sich der geneigte Madridista nur erhoffen, dass früher oder später eines existiert: nicht nur ein fantastisch spielendes Real Madrid, sondern auch eine laute Kurve, in der es friedlich und ohne jede Vorurteile zugeht. Fans, die ins Stadion marschieren mit dem Gedanken: „Ich gehe dorthin, um meine Mannschaft anzufeuern.“ Und, um der Bezeichnung Real Madrids als „königlicher Verein“ mit Schal und Trikot am Leib auch in diesem Punkt gerecht zu werden…

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*Dialog aus dem Magazin für Fußball-Kultur, 11FREUNDE

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von
Filip Knopp

Begleitet den Mythos Real Madrid als Fan seit der Ära der „Galácticos“ und journalistisch bei REAL TOTAL seit Mitte 2011. Erfahrungen auch bei SPORT1 und SPOX, zudem Autor von »111 GRÜNDE, REAL MADRID ZU LIEBEN«.

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