Interview

„Als ich die Journalisten sah, wusste ich sofort: Es wird brutal“

Raphaël Varane ist 21 Jahre alt, gestandener Profi bei Real Madrid und in Frankreichs Nationalmannschaft. Auf der Innenverteidiger-Position gilt er als das größte Talent im internationalen Fußball. Beeindruckend ist dabei seine für sein Alter bereits extrem hohe Abgeklärtheit. Wie der Youngster im Interview mit FRANCE FOOTBALL zugab, war er bei seiner Ankunft in der spanischen Hauptstadt aber alles andere als ruhig und souverän. Dazu sprach er über ein skurriles Telefonat mit Zinédine Zidane, seinen Werdegang zum Profi und Ziele mit der Nationalmannschaft.

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Raphael Varane
Der mediale Druck war für Raphaël Varane nicht immer einfach zu verarbeiten

„Ich erkannte Zidane nicht und bat ihn, später zurückzurufen“

MADRID/PARIS. Man stelle sich einmal folgende Situation vor: Man ist ein aufstrebender begabter Jungprofi im Alter von 18 Jahren und hat die Begehrlichkeiten diverser Klubs geweckt. Dann erhält man plötzlich einen Anruf von einem gewissen Zinédine Zidane – und wiegelt diesen ab. So geschehen bei Raphaël Varane, der sich im Mai 2011 vor Angeboten kaum retten konnte und den Altmeister vor lauter Stress in Vorbereitung auf die Abschlussprüfungen nicht erkannte: „Ich war gerade voll im Prüfungsstress für mein Abitur und das Telefon hörte nicht auf zu klingeln. Meine Mutter sagte mir, dass ich wohl die bewegteste Zeit meines Lebens durchleben würde, aber auch die wichtigste. Ich war gerade einmal 18, wir hatten nicht die Erfahrung, um mit solchen Situationen umzugehen. Unter all diesen Anrufen war der von Zidane, der über das Interesse von Real Madrid reden wollte. Weil ich ihn in dem Moment nicht erkannte  es war spät am Abend und ich war müde – ließ ich ihn nicht viel reden. Ohne groß nachzudenken, bat ich ihn, dass er mich wann anders anrufen solle. Als ich aufgelegt hatte, sagte mir mein Bruder Anthony, dass ich verrückt sei. Glücklicherweise konnten wir ein andermal dann eine Weile miteinander reden.

Das Ende ist bekannt: „Zizous“ Überredungskünste trugen Früchte und der Youngster wechselte vom RC Lens in die spanische Metropole. Auch vom ersten Training weiß Varane eine Anekdote zu erzählen. Er spielte dem französischen Nationalidol reihenweise lange Bälle zu, um sich von dessen berüchtigter Technik selbst überzeugen zu können: „Ich wollte die berühmte Technik von Zidane mit meinen eigenen Augen sehen und das tat ich dann auch. Darüber geredet habe ich mit ihm aber noch nie.“

„Mir hat Zeit gefehlt, um mich an all das zu gewöhnen“

Wenn ein gerade einmal volljähriger Jugendlicher den Sprung ins Ausland wagt, ist das schon ein enormer Schritt. Heuert man dann auch noch bei keinem geringeren Klub als Real Madrid an, sind das kaum zu beschreibende Dimensionen. Wie die Nummer 2 nun zugab, war er dem medialen Interesse und der damaligen Situation wohl noch nicht ganz gewachsen: „Als ich von Real verpflichtet wurde, war mir das alles gar nicht so bewusst. Aber als ich die 60 Journalisten an Flughafen von Barajas bei meiner Ankunft sah, verstand ich sehr schnell, dass der Wandel brutal sein würde. Nichts würde mehr so sein wie zuvor. Das hatte ich nicht erwartet. Mit 18 Jahren siehst du das alles nicht so klar. Ich war nicht darauf vorbereitet, so zu leben. Um ehrlich zu sein, hat mir Zeit gefehlt, um mich an alle Konsequenzen meiner Wahl zu gewöhnen. Genauso wenig war ich bereit, die Umkleidekabine mit all diesen Stars zu betreten. Ich war von dem medialen Druck ein wenig eingeschüchtert.“

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Doch Varane kämpfte und ist heute ein fester Bestandteil des königlichen Starensembles. „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ besagt ein altbekanntes Sprichwort. So ähnlich ist auch die Beschreibung seiner ersten Wochen bei den Merengues zu deuten. Der Respekt vor den Mitspielern sei enorm gewesen, doch der Nachwuchsstar biss sich fest. Mit Erfolg: „Vor allem hielt ich meine Augen offen, um zu lernen. Ich sagte mir selbst, dass ich nicht um die Trikots meiner Mannschaftskameraden bitten könne. Ich musste auch beweisen, dass ich mich nicht kleiner als der Rest fühlte und dass ich das Niveau hatte, um ein Teil dieser Gruppe zu sein. Ich merkte auch, dass ich mich keinen Moment zurücklehnen dürfte. Ich wollte mich nicht unterkriegen lassen. Ich war in Topform, sehr konzentriert. In einem Moment nahm ich mir Zeit zum Entspannen, nur ein paar Sekunden und schon verpasste mir Kaká einen Tunnel. Mit einer enormen Leichtigkeit obendrauf… Dann sagte ich mir: ‚Okay, das ist das hohe Niveau. Du musst die ganze Zeit auf der Höhe sein. Wenn nicht, vermasselst du es.‘ Ich habe schnell gelernt und nun, wenn ich ein Trikot will, ist es viel einfacher.

Fußball ist nicht alles

Das Profigeschäft im Fußball ist ein rauhes. Schon im Jugendbereich ist der Druck in den Akademien enorm. Manche Nachwuchshoffnungen zerbrechen daran. Für den mittlerweile 21-Jährigen war eine zu hohe Erwartungshaltung aber nie wirklich ein Grund, woran eine Karriere hätte scheitern können. Insgesamt sei ihm der Beginn seiner Profilaufbahn sehr surreal vorgekommen: „Unter dem Strich habe ich mit 17 als Profi gespielt und mit 19 bei Real Madrid. Ich hatte mir niemals diese Karriere vorgestellt. Ich war nie einer dieser Jungen, der sich seit der Kindheit als Profi sah. Bis ich 16 war, habe ich nicht daran gedacht. Vorher konzentrierte ich mich darauf, das Spiel zu genießen und mit meinen Kollegen in der Kabine zusammen zu sein. Weder habe ich mir den Kopf zerbrochen noch Druck gespürt. Es gibt viele Jugendliche, die von einer frühzeitigen Profikarriere träumen, aber ich war, so wie es war in Lens (Varanes erste Profistation; d. Red.): zufrieden.

Der Franzose ist auch keiner, der eine krankhafte Verbissenheit an den Tag legt, wenn es um den Sport geht. Natürlich wolle er sich immer verbessern, das runde Leder sei aber nicht 24 Stunden in seinem Kopf: „Der Fußball war nie eine Besessenheit von mir. Auch nicht, seit ich bei Real bin. Deshalb stehe ich nicht jeden Morgen auf und denke wie ein Verrückter, was ich alles im Training oder im Spiel leisten muss. Was mir gefällt, ist mir meiner Fortschritte, die ich mache, bewusst zu werden: bei meiner Genesung, in den Trainingseinheiten, bei den Technikübungen… Ich habe eine sehr perfektionistische Seite. Meine Mutter sagte mir, dass sie, als ich jung war und ich meine Hausaufgaben machte, sich von meiner fleißigen und sorgfältigen Art sehr überrascht zeigte. Ich glaube, das habe ich mir ein wenig behalten.“

Trotz allem ist die Sehnsucht nach Titeln natürlich groß. Auf Vereinsebene hat der „französische Beckenbauer“, wie ihn Nationaltrainer Didier Deschamps jüngst taufte, mit der Champions League schon den höchst möglichen Triumph errungen. Aber auch mit der „Équipe Tricolore“ strebt der Innenverteidiger nach dem Größten: „Die Welt- und die Europameisterschaft würden mir schon sehr gefallen. Nicht nur sie zu spielen, sondern auch zu gewinnen. Denn wenn du in der französischen Nationalmannschaft bist oder bei Real Madrid, ist das Wichtigste, nicht nur dabei zu sein, sondern ins Finale zu kommen. Des Siegens werden wir nicht überdrüssig.“

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von
Yannick Frei

Hauptberuflich im Nachwuchsfußball zuhause. Von den Großmeistern Figo und Zidane verzaubert, bin ich bis heute ein glühender Anhänger des größten Klubs der Welt.

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