Reportage

„Chicharito“, „Illarra“ und Co. – Ancelottis Liste der Vergessenen

Die Verletzungssorgen bei Real Madrid sind groß – und trotzdem bleibt so mancher Spieler außen vor. Zu Saisonbeginn kündigte Carlo Ancelotti noch Rotationsmaßnahmen an, Taten ließ der Cheftrainer jedoch nicht folgen. Javier Hernández, Asier Illarramendi, Jesé Rodríguez und Keylor Navas grüßen erheblich oft von der Bank als vom Spielfeld. Fragt sich: Wie geduldig sind sie?

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Mehr als die Aufwärmklamotten darf sich „Chicharito“ oft nicht überstreifen

Carlos Versprechen

MADRID. Ist ein Begriff im heutigen modernen Fußball überholt, dann ist es der einer festen Stammformation. Um national wie international um Titel mitzuspielen, benötigt man einen qualitativ wie quantitativ breiten Kader mit 16 bis 18 potentiellen Stammelf-Kandidaten, meist noch aufgefüllt mit zwei bis drei hoffnungsvollen Nachwuchstalenten. Verletzungen sollten so leicht aufzufangen sein, aber auch für den Fall, dass alle Akteure zur Verfügung stehen, kann man den Spielern durch gezielte Rotationsmaßnahmen zu Erholungspausen verhelfen. In Anbetracht des eng gespickten Spiele-Kalenders mit über 50 Partien pro Jahr scheinen diese zwischendurch durchaus angebracht. Genau solche Rotationen kündigte Trainer Carlo Ancelotti zu Saisonbeginn an, wirklich in die Tat setzte er seine Worte allerdings nicht um. Sind die gesetzten Spieler spielbereit, laufen diese in der Regel auch auf. Dem Sturmtrio Cristiano Ronaldo, Karim Benzema und Gareth Bale stellte er sogar einen Blankoscheck aus: sofern sie fit seien, würden sie auch spielen, meinte der Italiener lapidar. Und auch an der Mittelfeldbesetzung änderte sich wenig. Toni Kroos und Luka Modric sind gesetzt, lediglich zwischen Isco und James Rodríguez wurde öfters gewechselt. Nach Modrics schwerer Verletzung waren auch diese beiden eigentlich immer fester Bestandteil der Startelf. Die Leidtragenden heißen in dem Fall Javier „Chicharito“ Hernández, Asier Illarramendi, Jesé Rodríguez und auf der Torwart-Position Keylor Navas. Zwar sprach „Carletto“ dem Quartett immer wieder öffentlich sein Vertrauen aus und lobte deren fantastische Trainingsleistung, zum Zug kamen sie trotzdem selten. Selbst wenn Spiele schon früh entschieden sind, wechselt Ancelotti meist meist erst ab der 75. Minute. Für Außenstehende nicht immer einfach nachzuvollziehen und für die Profis selbst wohl auch.

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„Chicharito“ – er will doch nur spielen

Im Internet kursiert ein „Meme“, das die aus dem Horrorfilm „Saw“ bekannt Figur „Jigsaw“ mit seinem berühmten Spruch „I want to play a game“ zeigt. Darunter sieht man einen traurig dreinblickenden „Chicharito“ und die Bildunterschrift „Me too“. Ein Bild, das auf tragisch-komische Weise das Dilemma des Mexikaners verdeutlicht. „Das kleine Erbschen“ kam mit großen Hoffnungen und voller Vorfreude im Sommer auf Leihbasis von Manchester United an die Concha Espina, über den Status des Teilzeit-Arbeiters kam er bisher aber nicht hinaus. Seit der Ankunft des 26-Jährigen in der spanischen Hauptstadt standen bislang insgesamt 35 Pflichtspiele an, was insgesamt 3.150 möglichen Einsatzminuten entspricht. Die Zahl der Einsätze liest sich mit 17 dabei auch ganz passabel, jedoch relativiert ein Blick auf die Minutenzahl von 549 das Ganze wieder ein wenig. Die Statistiken des Stürmers in der Liga sind dabei jedoch gar nicht so schlecht: drei Tore und zwei Vorlagen bedeuten bei insgesamt 189 Minuten Liga-Spielzeit alle 38 Minuten eine Torbeteiligung. Dass sich diese Werte auf zwei Spiele gegen Deportivo La Coruña (8:2) und UD Levante (5:0) verteilen, mag das Bild zwar ein wenig entzerren. Allerdings erhielt der Südamerikaner nach dem Spiel gegen Levante, in dem er über 90 Minuten ran durfte, nur noch selten eine Bewährungschance für mehr als zehn Minuten. Schon während seiner Zeit bei United oder Deportivo Guadalajara konnte der 1,73-Meter-Mann ähnlich gute Quoten aufweisen. Ein Zeichen von großer Effizienz, die dem Real-Angriff, allen Tor-Rekorden zum Trotz, in manchen Partien gut zu Gesicht stehen würde. Laut Ancelotti präsentiere sich der Mittelstürmer auch hervorragend im Training, warum er ihn trotzdem nur so selten zum Einsatz kommen lässt, bleibt allerdings ein Geheimnis des italienischen Übungsleiters. Dass sich die Einsätze jetzt in der heißen Phase der Saison mehren, ist nicht zu erwarten. Karim Benzema ist und bleibt gesetzt, auch wenn die eine oder andere Verschnaufpause dem französischen Sturm-Tank sicherlich gut tun würde. Der mexikanische Nationalspieler könnte sowohl in den K.o.-Spielen der Champions League wie auch in der Liga ein weiterer Trumpf im Ärmel sein. Es ist jedoch äußerst fragwürdig, ob er dies auch unter Beweis stellen darf.

Illarramendi – Opfer des Systems?

Im Sommer 2013 verzauberte Asier Illarramendi bei der U21-EM die Fußball-Welt und schwang sich zu einer der großen Zukunfts-Hoffnungen des spanischen Fußballs aus. Für über 30 Millionen Euro sicherte sich Real Madrid im Anschluss an das Jugend-Kontinentalturnier die Dienste des Basken und auf der iberischen Halbinsel war man sich sicher, dass die Merengues einen starken Deal an Land gezogen hatten. Im Schatten von Alt-Meister Xabi Alonso sollte „Illarra“ langsam an höhere Aufgaben herangeführt werden und zur neuen zentralen Figur in Reals Mittelfeld reifen. Konnte man das erste Jahr im Madrider Star-Ensemble mit 49 Einsätzen in Liga, Königsklasse und Pokal noch als über weite Strecken gelungenes Lehrjahr einstufen, sollte spätestens in der zweiten Spielzeit der große Durchbruch gelingen. Als sich kurz vor Ende der Transferperiode im Sommer auch noch Alonso gen München verabschiedete, waren sich viele sicher, dass nun die Stunde des 24-Jährigen schlagen würde. Auch trotz der „galaktischen“ Transfers von Kroos und James. Zumal Alonso seinen ehemaligen Kollegen als den idealen Nachfolger anprangerte. Viel geändert hat sich an Illarramendis Rolle als Back-Up ein halbes Jahr später nicht. Begründet liegt diese Entwicklung allerdings nicht nur in den Leistungen des Mittelfeld-Mannes selbst, vielmehr ist die permanente Ersatzrolle auch auf das unter Ancelotti praktizierte 4-3-3, mit nur einem rein defensiv denkenden Sechser, zurückzuführen. Illarramendi ist kein Spieler, der durch Vertikalpässe in die Spitze glänzt oder permanent den Weg zum Tor aus der Tiefe heraus sucht, sondern er ein sehr pragmatischer Spieler mit defensiven Qualitäten, der im Spielaufbau den einfachen Pass sucht und der Mannschaft die nötige Balance verleiht. Eigentlich perfekte Voraussetzungen, um den Part vor der Abwehr einzunehmen. Dort spielt jedoch Neuzugang Kroos – und das in überragender Manier. Der deutsche Nationalspieler lenkt das Aufbauspiel der Madrilenen, schafft Räume durch seine Spielverlagerungen, ist enorm pressing-resistent, findet meist das perfekte Timing für seine Pässe und versteht es, den Rhythmus einer Partie zu bestimmen. Für das ballbesitzorientierte Spiel unter Ancelotti die geeignetere Variante auf dieser strategisch enorm wichtigen Position.

Blieben noch die Halbpositionen im Mittelfeld, auf denen „Illarra“ mit seinen Qualitäten jedoch hinter Luka Modric, James Rodríguez, Isco und Lucas Silva zurückstecken muss. Während Isco und James das Kreativ-Element sowie Torgefahr auf sich vereinen, sind Modrics Kombination aus Spielgestalter- und Abräumer-Qualitäten unentbehrlich für das Spiel der Königlichen. Und auch Neuverpflichtung Silva ist durch seine aggressivere Spielweise und seine Spritzigkeit für die Position im Halbraum besser geeignet. Die mit dem Abgang von Mesut Özil und der Ankunft von Gareth Bale verbundene Systemumstellung vom 4-2-3-1 auf ein 4-3-3 wurde dem Basken somit zum Verhängnis. So gesehen teilt er wohl das gleiche Schicksal wie Sami Khedira, für den im System mit nur einem richtigen Sechser auch kein Platz zu sein scheint. Dass Illarramendi seine Zelte in der kommenden Transfer-Periode abbricht, gilt als sehr wahrscheinlich. Kolportiert wird über einen Transfer auf die Insel zum FC Arsenal oder eine Rückkehr zu seinem Ex-Klub Real Sociedad.

Jesé – der „Goldjunge“ wird ungeduldig

Der Beginn war traumhaft, was geblieben ist, ist Unzufriedenheit. Nachdem er im Pokal-Rückspiel gegen UE Cornellá (5:0) bei seinem Comeback gleich einen Treffer erzielt hatte, schien es, als sei der Canterano wieder auf dem Weg, ganz der Alte zu werden. Waren die zunächst eher dürftigen Einsatzzeiten noch damit zu begründen, dass man nach der schweren Verletzung nichts überstürzen wolle, wuchs mit zunehmender Zeit die Ungeduld beim Nachwuchs-Juwel. Seit dem Pokal-Duell am 2. Dezember stehen lediglich elf weitere Arbeitsnachweise zu Buche (insgesamt 242 Spielminuten). Eine unbefriedigende Situation für den ambitionierten U21-Nationalspieler Spaniens, der nach seinem 35-Sekunden-Intermezzo gegen Elche (2:0) am vergangenen Wochenende erstmals die Geduld verlor. „Das kann er (Ancelotti; d. Red.) nicht mit mir machen“, soll er zu Co-Trainer Fernando Hierro gesagt haben. Laut der spanischen Zeitung ABC soll es mittlerweile zu einer Aussprache zwischen dem Trainer und dem Spieler gekommen sein, wonach Ancelotti dem Offensiv-Akteur mehr Einsatzzeiten in Aussicht stellte.

Aber ob dies auch wirklich passiert? Selbst die zuletzt durchwachsenen Darbietungen von Bale verschafften dem Youngster keine Chancen von Beginn. Und das, obwohl er gegen Sevilla (2:1) über 60 Minuten, als er für den verletzten James einsprang, eine überzeugende Leistung zeigte und sogar zum zwischenzeitlichen 2:0 traf. Im darauf folgenden Spiel gegen Atlético (0:4) blieb ihm mit der Rückkehr des zuvor gesperrten Ronaldo wieder nur die Bank. Bewegt sich Ancelotti damit auf einem schmalen Grat? Wie die Reaktion gegen Elche zu Tage förderte, wird der „Goldjunge“ langsam ungeduldig. Das primäre Ziel sei es zwar, sich bei seinem Verein durchzusetzen, aber auch Jesé ist ein Profi und will in erster Linie eines: spielen. Ob dies bei der derzeit praktizierten Personalpolitik „Carlettos“ allerdings auf lange Sicht möglich ist, erscheint immer fraglicher. Und so langsam dient auch die überstandene Verletzung nicht mehr als Ausrede.

Navas – der Leidtragende des Pokal-Aus

Etwas differenzierter ist die Personalie Keylor Navas zu betrachten. Als bester Torhüter der vergangenen Saison ausgezeichnet und nach einer überragenden Weltmeisterschaft mit Costa Rica kam der 28-Jährige mit ordentlichen Vorschuss-Lorbeeren an die Concha Espina. Den Zweikampf mit Iker Casillas um die Nummer eins verlor er jedoch. Wie in Spanien üblich, blieb also nur die Copa del Rey, um Spielpraxis zu sammeln. Ancelotti stellte dem Neuzugang trotzdem gelegentliche Einsätze in Aussicht, denn es sei wichtig, dass alle Spieler „im Rhythmus“ bleiben. Zu drei Partien im Pokal (einmal hütete Fernando Pacheco das Gehäuse) summieren sich allerdings lediglich zwei Liga-Spiele und zwei Königsklassen-Begegnungen. Zuletzt stand der Costa-Ricaner in der Liga am 8. November gegen Rayo Vallecano (5:1) zwischen den Pfosten, der letzte Einsatz datiert in der Champions League vom 9. Dezember gegen Ludogorez Rasgrad (4:0). In diesem Jahr lief Madrids Nummer 13 lediglich in den Pokalduellen mit Atlético (0:2 und 2:2) auf. Durch das Ausscheiden in selbigem Wettbewerb fällt eine fest eingeplante Möglichkeit, zum Einsatz zu kommen, weg. Rhythmus? Unter diesen Bedingungen schwierig. Eine prekäre Situation, die der Südamerikaner jedoch sportlich nimmt. Navas’ Vater schloss einen Abgang zum Saisonende zwar aus, dauerhaft wird sich der WM-Held aber wohl nicht mit der Rolle der Nummer zwei zufrieden geben. Vieles wird auch von den Zukunftsplänen von Casillas abhängen und ob die Vereins-Ikone ihren Vertrag bis 2017 erfüllt oder nach dieser Spielzeit einen Wechsel forciert.

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von
Yannick Frei

Hauptberuflich im Nachwuchsfußball zuhause. Von den Großmeistern Figo und Zidane verzaubert, bin ich bis heute ein glühender Anhänger des größten Klubs der Welt.

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