Interview

Illgner erinnert sich: „Unser Trumpf war der unbedingte Wille“

Wie ist eigentlich die Stimmung in der Kabine vor einem Endspiel in der Königsklasse? Locker, angespannt oder doch wie vor jedem anderen Spiel auch? Für 11FREUNDE ließ Bodo Illgner die Momente vor dem Champions-League-Finale 1998 nochmals Revue passieren und betonte die besondere Bedeutung dieses Titelgewinns, der eine 31-jährige europäische Durststrecke beendete.

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Bodo Illgner spielte von 1996 bis 2001 bei den Königlichen

„Vielleicht würde so eine Gelegenheit nie wieder kommen“

MADRID. In der kürzlich erschienen Dokumentation über den Gewinn von „la Décima“ sind natürlich auch Mitschnitte über die Momente in der Kabine vor Beginn des Finales enthalten. Sergio Ramos, der im Laufe des Endspiels bekanntermaßen noch anderweitig in Erscheinung treten sollte, und Álvaro Arbeloa stechen auf den Aufnahmen besonders als Wortführer und Antreiber heraus. Um letzten Endes einen großen Titel zu erringen, sind es genau diese Charaktere, die ein Team neben all der individuellen Klasse benötigt. Spieler, die ihr letztes Hemd für den Verein geben würden und durch ihre Leidenschaft und ihr Charisma den Rest der Mannschaft mitreißen. Auch das Real von 1998, das Team, das „la Séptima“ nach 31 langen Jahren des Wartens nach Madrid brachte, hatte einen solchen Spieler. Sein Name: Miguel Porlán Noguera, besser bekannt als Chendo.

Laut Bodo Illgner, zu jener Zeit Torhüter der Königlichen, war es ebenjener Chendo, der eine Ansammlung von überragenden Individualisten zusammenhielt und in Richtung Titel führte: „Unsere Mannschaft war eine Ansammlung von Stars. (Predrag) Mijatovic, (Davor) Šuker, (Christian) Karembeu, (Clarence) Seedorf, Redondo — alles große Namen damals. Dazu die jungen Raúl und (Fernando) Morientes. Unser Trumpf war aber der unbedingte Wille. Ich erinnere mich gut daran, wie wir wenige Tage vor dem Finale ein Ligaspiel in den Sand setzten. Plötzlich stand Chendo in der Kabine auf und wusch uns allen den Kopf. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit, seine Karriere war so gut wie zu Ende. Sein ganzes Leben hatte er für Real gespielt und vergeblich versucht, den Europapokal zu gewinnen. Davon sprach er und von der einmaligen Chance, die wir nun hätten. Vielleicht würde so eine Gelegenheit nie wieder kommen. Mehr musste er nicht sagen.“

Vor der Partie gegen das damals favorisierte Juventus Turin war die Stimmung natürlich angespannt, so der Weltmeister von 1990, aber genau in diesen Momenten sei eine gewisse Lockerheit wichtig gewesen, um nicht zu verkrampfen. Im Kabinengang selbst gab es dann selbstverständlich auch die ein oder anderen kleinen Psychotricks zu bestaunen: „Das Finale gingen wir unheimlich konzentriert an. In der Kabine herrschte vor dem Spiel Stille, auch ich war wie immer ganz ruhig. Die großen Spiele ging ich genauso an wie die kleinen. Wenn man über die Bedeutung so eines Finales nachdenkt, wird man automatisch nervös. Das wäre Gift für die eigene Mannschaft. Dem Gegner kann man ja was vormachen, den Mitspielern nicht. Im Kabinengang gehen dann die Psychospielchen los. Jeder hat da so seine eigene Marotte. Ich habe mich immer groß gemacht, Rücken durchgedrückt, Schultern gerade, Brust raus. Auch die Italiener sollten ruhig sehen, was ihnen blüht, wenn sie mir zu nahe kämen. Die Spieler checkte ich immer gleich ab. Wenn einer übermäßig auf seinem Kaugummi herumkaute oder sich zu locker gab, war das ein Zeichen von Nervosität.

„Genauso besonders wie der WM-Titel 1990“

Dank des Tores von Mijatovic zum 1:0 gelang es den Blancos tatsächlich, die über drei Jahrzehnte dauernde Sehnsucht der Madridistas nach einem weiteren Europapokal-Triumph zu stillen. Für Illgner selbst hatte der Gewinn des Henkelpotts ebenfalls besondere Bedeutung, auch er hatte eine persönliche Durststrecke hinter sich gebracht: Obwohl es ein Finale italienischer Art mit wenigen Chancen war, gewannen am Ende wir, die Spanier. Für mich war das ein ganz besonderer Erfolg, gleichzusetzen mit dem WM-Titel 1990. Als wir in Italien Weltmeister wurden, war ich noch sehr jung. Ich dachte, so könnte es weitergehen. Erst als ich acht Jahre auf den nächsten Erfolg warten musste, realisierte ich, wie schwer die großen Pokale im Fußball zu gewinnen sind.

Die Helden von 1998 genießen in Madrid auch heute noch enorm hohe Wertschätzung. Für den mittlerweile 48-Jährigen etwas ganz Besonderes: „Wenn ich heute nach Madrid komme, bin ich für die Menschen immer noch der Champions-League-Sieger. Selbst wenn sie meinen Namen nicht mehr wissen, sagen sie: ‚Du bist doch der Torwart von la Séptima.‘

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von
Yannick Frei

Hauptberuflich im Nachwuchsfußball zuhause. Von den Großmeistern Figo und Zidane verzaubert, bin ich bis heute ein glühender Anhänger des größten Klubs der Welt.

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