
Benítez hält Wort
MADRID. Als Rafael Benítez Anfang Juni als neuer Trainer Real Madrids präsentiert wurde, war damit neben der Hoffnung auf große Titelgewinne auch die Sehnsucht verbunden, wieder vermehrt eigene Nachwuchsspieler aus der Cantera in der ersten Mannschaft zu sehen. Der gebürtige Madrilene und ehemalige Castilla-Spieler schien geradezu prädistiniert dafür. Im Trainingslager in Australien während der Saisonvorbereitung formulierte der 55-Jährige dieses Ziel auch verbal, machte aber im selben Atemzug deutlich, dass die Integration von Jugend- beziehungsweise jungen Spielern auch enorm viel Fingerspitzengefühl benötige.
„Es gibt eine Gruppe von sehr guten jungen Spielern. Von oben betrachtet, wie ich es tue, weiß ich, dass es gut ist, ihnen Gelegenheiten zu geben, aber ich bin nicht dumm, man muss auch gewinnen. Wenn wir eine Balance zwischen Spielern, die schon Leistung bringen, und nebenbei die Cantera wachsen zu lassen, finden können, erreichen wir eine Basis, die es schon gab, als ich hier war: mit 14 Spielern aus der Cantera, davon sieben Stammspieler. Wir müssen erreichen, dass die Jungs nach oben kommen und Wettbewerbsfähigkeit erlangen, aber dieser Weg wird nicht einfach sein“, so die realistische Einschätzung des spanischen Übungsleiters vor Saisonbeginn.
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Nun, nachdem das erste Viertel der Saison absolviert ist, lässt sich allerdings resümieren: Bislang stand „Rafa“ zu seinem Wort und meisterte den angesprochenen Spagat äußerst erfolgreich. Wenngleich aufgrund der anhaltenden Verletztenmisere die Masse der Einsätze für die Canteranos wie Casemiro, Lucas Vázquez oder Jesé Rodríguez in der jüngsten Vergangenheit teilweise auch ein bisschen erzwungen war, machten nicht zuletzt die Spitzenspiele mit Paris St. Germain (0:0) oder Celta Vigo (3:1) deutlich: Die Jungs aus der vermeintlich zweiten Reihe sind bereit für höhere Aufgaben und werden den Rückkehrern ihre Plätze nicht kampflos zur Verfügung stellen.
Casemiro – das fehlende Puzzlestück
Der größte Gewinner der bewegten vergangenen Wochen trägt dabei wohl zweifelsohne den Namen Casemiro. Lobte Benítez den Brasilianer bereits in der „Pretemporada“ in den höchsten Tönen und zeigte sich vor allem von dessen unbändigem Lernwillen begeistert, bewies der 23-Jährige im Stadtduell gegen Atlético (1:1) eindrucksvoll, weshalb der neue Cheftrainer unbedingt auf dessen Rückkehr vom FC Porto bestand. Kompromisslos und effektiv im Zweikampf, schier unbezwingbar in der Luft und noch dazu mit tollen Pässen und Verlagerungen im Spielaufbau lieferte der Mittelfeldspieler eine Leistung ab, wie man sie auf dieser Position nur schwerlich übertreffen kann. Und auch in den Partien danach legte der 2013 aus Sao Paolo gekommene Südamerikaner mit Nachdruck dar, dass das Spiel gegen den Nachbarn beileibe keine Eintagsfliege war.
Mit dem Abräumer besitzen die Königlichen nun einen Spielertypen, der dem Team nach Aussage des Trainers in den letzten Jahren fehlte. In Person von Casemiro verfüge Real nun über jenes fehlende Puzzlestück. „Wenn du einen Spieler hast, der Balance verleiht, mit dem Ball umgehen und ihn auch erobern kann, verbessert sich deine Mannschaft natürlich. Wir haben viele Spieler von exzellenter Qualität, die vor allem im Offensivbereich ihre Stärken haben, und deshalb brauchst du einen Spieler wie Casemiro, der seine Vorderleute stützt und Balance gewährleistet. Er macht einen hervorragenden Job“, so Benítez voll des Lobes über seinen Lieblingsschüler.
Und in Anbetracht der derzeitigen Darbietungen scheinen Fragen nach einem Stammplatz nicht unangebracht. Wirkte der neunfache brasilianische Nationalspieler in der Vorbereitung oftmals noch ein wenig übermotiviert und legte in den Zweikämpfen das eine oder andere Mal mangelhaftes Timing an den Tag, ist er in der jetzigen Form eigentlich nur schwer wegzudenken. Lediglich Cristiano Ronaldo bekam vom Cheftrainer das Prädikat „unantastbar“ verpasst, ansonsten müsse jeder Profi tagtäglich um seinen Platz in der Startelf kämpfen. Das Dreier-Mittelfeld mit Luka Modric und Toni Kroos auf den Halbpositionen davor fungierte zuletzt als das Herzstück des Madrider Spiels, wobei vor allem der deutsche Nationalspieler von Casemiros Anwesenheit profitierte und auf der offensiveren Position deutlich befreiter aufspielte sowie an seine starken Vorstellungen der letzten Spielzeit anzuknüpfen wusste. Ob Benítez, für den eine ausgewogene mannschaftliche Balance höchste Priorität genießt, tatsächlich die gewonnene Stabilität im Falle einer Rückkehr von Gareth Bale wieder opfert, ist zumindest fraglich. Klar scheint, dass sich der Waliser mindestens strecken muss, um wieder in die erste Elf zu rutschen.
Vázquez kommt in Fahrt
Positionsgetreuer direkter Konkurrent für den Briten ist aktuell allerdings ein anderer Canterano: Lucas Vázquez. Der 24-jährige Flügelspieler, der vor der Saison von Espanyol Barcelona für eine Millionen Euro an die Concha Espina zurückkehrte, kommt nach anfänglichen Startschwierigkeiten immer besser in Fahrt und drängt sich ebenfalls immer mehr in den Vordergrund. Fiel der Rechstfuß in der Vorbereitung doch deutlich von seinen Teamkollegen ab und machte auch bei seinem ersten Startelfeinsatz am 4. Spieltag gegen Granada (1:0) eine eher unglückliche Figur, scheint er nun richtiggehend aufzublühen. Bereits gegen PSG überzeugte das Eigengewächs als Rechtsaußen durch disziplinierte Abwehrarbeit, beim Erfolg in Vigo gehörte der Jungstar bis zu seiner Auswechslung in der 62. Minute zu den besten Akteuren in den Reihen der Merengues.
Vázquez scheint endgültig angekommen in Madrid und bringt seine Stärken immer besser zur Geltung. Madrids Nummer 18 präsentiert sich in der Offensive leichtfüßig und schnell, weiß aber auch durch seine bereits erwähnten defensiven Qualitäten zu überzeugen. Ebenjene Arbeit im Spiel gegen den Ball macht den Rückkehrer so wertvoll, da er die eher offensiv orientierten Rechtsverteidiger Daniel Carvajal oder Danilo enorm zu entlasten weiß und für die von Benítez so vehement geforderte Balance sorgt. Um sich auf lange Sicht als Kandidat für die Stammelf festzuspielen, fehlt dem quirligen Spanier allerdings wohl noch die nötige Konstanz, auch innerhalb von 90 Minuten. Zu oft reihen sich an gute Aktionen noch leichtsinnige und unnötige Ballverluste respektive Abspielfehler, die aussichtsreiche Angriffsgelegenheiten zunichte machen. Das Vertrauen seines Trainers hat er sich jedoch nun erkämpft – und die Fans besitzen jetzt die Gewissheit, dass man mit dem verlorenen Sohn nicht nur in die Breite des Kaders, sondern auch in Qualität investiert hat.
Jesé hat verstanden
Apropos Vertrauen des Trainers: Das musste sich Jesé die letzten Wochen extrem hart erarbeiten. Nachdem der „Goldjunge“ im Anschluss an seine Kreuzbandverletzung unter Carlo Ancelotti überhaupt nicht mehr in Tritt kam, sollte unter Benítez der Neuanfang her. Dieser schien auch zu gelingen, galt der Jungstar zunächst als erste Alternative zu Karim Benzema auf der Mittelstürmerposition und absolvierte eine überaus zufriedenstellende Vorbereitung. Am ersten Spieltag gegen Gijón (0:0) erfolgte jedoch die Ernüchterung: Nach mehr als enttäuschenden 56 Minuten ohne jegliche auffällige Szene musste der Canterano frühzeitig zum Duschen und blieb in der Folge in den kommenden vier Pflichtspielen ohne Einsatzminute. Ein Umstand, der Berater Ginés Carvajal dazu trieb, mehr Spielanteile für seinen Klienten zu fordern und auch die Spekulationen um dessen Zukunft wieder aufleben ließ.
Im darauffolgenden Spiel gegen Málaga (0:0) sollte dieser tatsächlich seine Chance von Beginn an bekommen und wusste überdies auch zu überzeugen – bis zur 60. Minute. Dann musste der Offensivmann aufgrund von Wadenkrämpfen das Spielfeld nämlich trotz guter Leistung verlassen. Aber die Message war angekommen – auch bei Benítez. Gegen Levante (3:0) setzte der gebürtige Gran Canarier mit einem Treffer und einem erneut starken Kurzauftritt eine weitere Duftmarke, gegen Paris und Vigo folgte dann die Belohnung in Form von zwei Parten von Beginn an. Jesé scheint langsam aber sich wieder auf dem Weg zu seiner Form vor seiner schwerwiegenden Verletzung, vielmehr aber noch scheint der 22-Jährige ein Stück weiter erwachsen geworden und gereift zu sein. Die Erinnerung an dessen wütende Worte in Richtung Ancelotti, als ihn dieser beim 2:0 über Elche letzte Saison für gerade einmal 35 Sekunden auf das Feld geschickt hatte, um Zeit zu sparen, sind wohl noch jedem Madrid-Anhänger präsent. „Das kann er nicht mit mir machen… nicht, wenn ich mich 40 Minuten lang aufgewärmt habe“ , echauffierte sich der ehemalige U21-Nationalspieler Spaniens damals.
Ein derartiges Verhalten würde er mittlerweile wohl nicht mehr an den Tag legen. Zumindest lassen die Worte nach dem Vigo-Spiel diese Schlussfolgerung zu. „Wenn sie mir heute zehn Minuten geben, verausgabe ich mich in diesen zehn bis zum Tod, wenn sie mir 20 geben, verausgabe ich mich in diesen 20 bis zum Tod“, so der Außenspieler geläutert. Vielmehr gab das Eigengewächs durch die zuletzt dargebotenen Auftritte auch die richtige Antwort auf die öffentliche Ansprache Benítez’, der anmerkte, dass andere Akteure einen Schritt voraus seien. Nun liegt es am Spieler zu beweisen, dass noch weitaus mehr Potential in ihm schlummert.
Sorgenkind Cheryshev
Zeigt die Formkurve bei Casemiro, Vázquez oder auch Jesé seit der Vorbereitung mehr oder weniger nach oben, ist die Entwicklung bei Denis Cheryshev leider konträr. Hinterließ der Russe in der Vorbereitung noch den besten Eindruck aller jungen, frischen Spieler, ist der 24-Jährige gegenwärtig weit abgeschlagen. Auf kumuliert 58 Einsatzminuten bringt es der Linksaußen in dieser Spielzeit gerade, in vier Partien gelang nicht einmal der Sprung in den Kader. Dabei präsentierte sich der Rückkehrer aus Villarreal in den Testspielen in sehr guter Verfassung und vor allem sehr spritzig und dynamisch. Der russische Nationalspieler galt von allen zurückgekehrten Spielern als am weitesten.
Seit Saisonstart ist jedoch der Wurm drin. Ging der Kurzeinsatz gegen PSG noch völlig in die Hose, zeigte der Osteuropäer gegen Vigo wenigstens vielversprechende Ansätze und ließ zumindest erahnen, weshalb er vergangene Saison bei Villarreal mit großen Lobeshymnen überhäuft wurde. Abgeschrieben hat Benítez seinen Schützling keineswegs, trotzdem scheint ein Abschied im Winter nicht mehr unwahrscheinlich. Bereits kurv vor Transferschluss im Sommer machten Gerüchte über einen Transfer nach Valencia die Runde, letztendlich entschied man sich aber dennoch für einen Verbleib. Wie sich die Situation im Winter darstellen wird, ist allerdings noch völlig offen.
Benítez’ Mut wird belohnt – bis jetzt
Alles in allem lässt sich aber resümieren, dass sich die Entscheidung, bei Investitionen in die Breite des Kaders eher auf bekannte (und billigere) Eigengewächse zu setzen denn auf teure Neueinkäufe, bislang zumindest nicht als gänzlich falsch erwiesen hat. Im Vergleich zur vergangenen Saison besitzt man nun ausreichend Alternativen, um auch mehrere Ausfälle auffangen zu können. Und besonders das Spiel in Paris sollte als klarer Beweis dienen, dass man neben der Breite auch an Qualität gewonnen hat. Ihre erste Reifeprüfung haben Casemiro und Co. jedenfalls mit Bravour bestanden und dabei gezeigt, dass Real – zumindest nach jetzigem Stand – auch in der zweiten Reihe absolut konkurrenzfähig ist. Insbesondere Benítez ist mit diesem Weg ein enormes Risiko gegangen, wenn man die enorme Erwartungshaltung in Madrid und auch die Vorurteile gegen dessen Person miteinbezieht. Umso schöner ist es, dass dieser Mut nach jetzigem Stand dementsprechend belohnt wird.
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