Reportage

Grande, Luka – Reals Herzstück

Nach seinem Siegtreffer über Granada übertreffen sich die Medien mit Lobeshymnen auf Luka Modrić, doch eigentlich ist der Kroate schon seit geraumer Zeit fast nicht zu ersetzen. Technisch brilliant und taktisch genial zählt der 30-Jährige aktuell ganz klar zu den besten Mittelfeldspielern der Welt und hebt Real durch sein Spiel gar auf ein anderes Level. Nach anfänglichen Schwierigkeiten hat sich der „Mozart vom Balkan“ zum Herzstück des Madrider Spiels entwickelt.

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Luka Modrić steht seit 2012 bei Real Madrid unter Vertrag

„Unverzichtbar“ für Madrids Spiel

MADRID. Sergio Ramos sprach nach dem 2:1 über Granada das aus, was man bei Real Madrid über Luka Modrić eigentlich schon längst weiß: „Vielleicht hat ihn dieses Tor heute mehr ins Blickfeld gerückt, so der Kapitän, aber in meiner Sicht auf den Fußball ist Modrić unverzichtbar. „Unverzichtbar“, ein Prädikat, das man bei den Königlichen in den letzten Jahren vielleicht mit Cristiano Ronaldo in Verbindung brachte, doch die Zeiten haben sich geändert. Schon im „Décima“-Jahr unter Carlo Ancelotti, als dem Kroaten nach Anlaufschwierigkeiten unter Vorgänger José Mourinho endlich der Durchbruch gelang, entwickelte er sich zu einem der wichtigsten Bausteine im Mannschaftskonstrukt. Vergangene Saison schaffte es Madrids Nummer 19 diese Leistung zu konservieren und gar eine Schippe draufzulegen, ehe ihn eine schwere Oberschenkelverletzung unsanft ausbremste. Als sich „Lukita“ kurz nach seinem Comeback dann erneut am Knie verletzte, verspielte Real Madrid in der Folge sowohl Meisterschaft als auch die Champions League und stand am Ende ohne großen Titel da.

Bereits da war ersichtlich: Das Spiel der Königlichen steht und fällt mit Modrić. Der Mittelfeld-Regisseur aus Zadar vermag selbst ein derart prominent bestücktes Weltklasse-Team wie Madrid auf ein anderes Level zu heben und ist vielleicht das wichtigste Puzzleteil im real’schen Spielkonstrukt. Bereits unter Rafael Benítez zählte der Kroate zu den wenigen Spielern, die die Spielidee des spanischen Übungsleiters zu verstehen schienen, und lieferte sehr beständig starke Leistungen ab. Nach einem kurzen Durchhänger gegen Ende der Hinrunde verlieh auch ihm der Trainerwechsel hin zu Zinédine Zidane einen enormen Schub und der „Mozart vom Balkan“ beweist Woche für Woche, dass er zu den besten Mittelfeldspielern dieses Planeten gehört. Aber was macht den mit 1.72 Metern Größe und 65 Kilogramm Gewicht eigentlich eher schmächtigen Profi eigentlich so wertvoll?

Grandioser Techniker mit zauberhaftem Außenrist

Besonders charakteristisch für Modrić sind dessen schnelle und gleichzeitig grazil anmutenden Wendungen auf engstem Raum, durch die er reihenweise Gegenspieler ins Leere laufen lässt. Für Ex-Blanco und Landsmann Davor Šuker besitzt der Rechtsfuß durch die perfekte Kombination seiner herausragenden Technik und seines niederigen Körperschwerpunktes gar ein Alleinstellungsmerkmal im internationalen Spitzenfußball: Nur wenige Spieler sind dazu in der Lage, mit einer simplen Täuschung zwei Spieler hinter sich zu lassen. Seine großartige Technik ist der Schlüssel, aber auch sein Körper. Aufgrund seiner Physik kann er sich schnell drehen, sobald er sich fallen lässt und sich mit dem Ball perfekt orientiert. Ebenjene Eigenschaften sind im offensiven zentralen Mittelfeld elementar, um gegebenenfalls auch einmal mit dem Rücken zum Gegenspieler das Spiel aufdrehen und das Angriffsspiel nach vorne fortsetzen zu können. Oftmals sorgt er durch anschließende Tempoläufe in die Tiefe für enormen Raumgewinn und auch Überzahlsituationen. Nicht selten ist es außerdem der Fall, dass der kroatische Nationalspieler zwei Gegenspieler im Zentrum auf sich zieht und sich durch eine geschickte Körpertäuschung den entscheidenden Freiraum verschafft, um den Außen Überzahlsituationen auf den Flügeln zu ermöglichen.

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Neben seinen herausragenden Fähigkeiten in der Ballbehauptung und seinen Fähigkeiten im Dribbling auf engsten Raum verfügt der zweifache Vater auch über ein exzellentes Passspiel. Dessen Außenrist-Pässe über lange Distanzen lassen die Fans nicht selten mit heruntergefallenen Kinnladen zurück, sogar Zidane höchstpersönlich zeigte sich von dessen Qualitäten mit dem Außenrist beeindruckt. Noch viel entscheidender ist allerdings Modrićs Vision vom Spiel. Während Toni Kroos auf der defensiven Sechser-Position eher strategische Aufgaben erfüllt und für die Wahrung der Balance sorgen soll, ist der ehemalige Tottenham-Akteur für das vertikale Spiel zuständig. Der 30-Jährige verleiht dem Angriffsspiel der Blancos die nötige Kreativität und ist meist der erste Abnehmer im Aufbauspiel, um das Spiel in die Tiefe fortzusetzen. Die Pässe in die Schnittstellen der gegnerischen Abwehr sorgen durchgängig für Gefahr und sind bei den Rivalen berüchtigt wie gefürchtet. Vor allem aber ermöglichen sie fast immer eine aussichtsreiche Abschlusssituation.

Gegen Granada zeigte Modrić endlich auch mal eine Qualität, die er insgesamt wohl viel zu selten an den Tag legt: seine Abschlussstärke aus der Distanz. Bis auf seinen Treffer gegen Donetsk (4:3) in der diesjährigen Vorrunde der Champions League erzielte er jegliche weitere Treffer (acht insgesamt) von außerhalb des Strafraums. Nicht wenige davon der Marke Traumtor (VIDEO). Nicht umsonst forderte Zidane auf der Pressekonferenz nach dem Arbeitssieg in Andalusien: Er muss noch häufiger schießen.“

Auch taktisch ein Genie

[dataset id=36]Am wertvollsten ist Reals Edeltechniker allerdings aufgrund seiner enormen taktischen Intelligenz. Offensiv versteht es Modrić immer wieder das richtige Timing zu finden, um sich in den rechten Halbraum fallen zu lassen und so den Spielaufbau zu initiieren. Macht der Gegner die Räume dicht, zieht es den Champions-League-Sieger von 2014 mehr in die Tiefe und Kroos übernimmt die Initiative. Wie gut der Mittelfeldmann das Spiel jedoch versteht, wird im Spiel gegen den Ball noch ersichtlicher. Das defensive Positionsspiel beherrscht er herausragend. Ob aggressives Pressen nach vorne oder Einrücken in die Kette, um die ausrückenden Innenverteidiger abzusichern – Modrić trifft eigentlich immer die richtige Entscheidung. Um die Balance zu wahren, hilft er bisweilen sogar auf der rechten Verteidiger-Position aus, um den aufgerückten Daniel Carvajal abzusichern.

Trotz seiner mittlerweile auch schon 30 Jahren ist der Kroate zudem weiterhin enorm spritzig, was in der Arbeit gegen den Ball extrem zum Tragen kommt. Während Partner Kroos die absichernde Rolle einnimmt und eher auf die zweiten Bälle lauert, läuft Modrić aggressiv an und provoziert Pass- oder Stockfehler. Auch hier kommen dessen physische Voraussetzungen hervorragend zum Tragen, gelingt es doch immer wieder auch körperlich stärkere Gegenspieler aufgrund seiner guten Beweglichkeit und seiner Handlungsschnelligkeit vom Ball zu trennen. Mit welcher Intensität Madrids drittältester Spieler dabei von Spiel zu Spiel zu Werke geht, ist beeindruckend. Der Wert für das Team gar nicht genug in Worten aufzuwiegen.

Achillesferse Physis

Gleichzeitig ist die aufopferungsvolle und physisch enorm belastende Spielweise in gewisser Weise auch Modrićs wunder Punkt. Die schwere Oberschenkel-Verletzung der Vorsaison resultierte eindeutig aus einer Überbelastung, die folgende Knieverletzung ist vermutlich auf eine zu schnelle intensive Belastung zurückzuführen. Klar ist: Über eine ganze Spielzeit wird der Kroate nicht mit dieser Intensität agieren können. Benítez wusste um diese Gefahr und bescherte dem Regisseur viele Pausen. Da die Merengues im Januar aufgrund des Copa-Ausscheidens keine englischen Wochen zu bestreiten hatten, konnte Zidane bisher in vollem Umfang auf seinen Mittelfeld-Chef setzen, doch auch „Zizou“ wird in den nächsten Monaten nicht umhin kommen, dem Leistungsträger die nötigen Verschnaufpausen zu verschaffen. Modrić arbeitet zwar seit dieser Saison mit einem persönlichen Trainer zusammen, um an der Stabilität zu arbeiten, verfolgt auch ein entsprechendes Ernährungsprogramm und gab selbst an, sich in einer körperlich besseren Verfassung zu sehen, in Anbetracht der bevorstehenden englischen Wochen werden Ruhephasen aber wohl unabdingbar sein.

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Denn klar ist auch: Modrić lebt bis zu einem gewissen Punkt von seiner Physis. Gegen Ende der Hinrunde wirkte der filigrane Techniker ein wenig müde und nicht gänzlich spritzig, was sich auch in dessen Auftritten widerspiegelte. Der Spielstil, den der Kroate zu spielen pflegt, ist zeitweise auch mit enorm viel Risiko verbunden. Nämlich, wenn er im Aufbau mit dem Rücken zum Gegner agiert. Kann er dabei seine flinken Bewegungen nicht mit der nötigen Geschwindigkeit ausführen oder verpasst er den richtigen Moment für das Abspiel, steht die Abwehr in vielen Fällen entblößt dar. So resultierte der 0:1-Gegentreffer gegen Villarreal, der gleichzeitig auch die Niederlage im El Madrigal bedeutete, beispielsweise aus einer ebensolchen Situation. Und auch das Gegentor gegen Granada, wenngleich der Schiedsrichter in jener Szene nicht gänzlich unschuldig war, wies einen ähnlichen Verlauf auf. Ein gewisses Risiko gehört besonders auf dieser Position dazu und ist bisweilen auch notwendig, in manchen Situationen stellt die Sicherheitsvariante mit dem direkten Rückpass aber vielleicht doch die bessere Option dar, um vermeidbaren Kontern aus dem Weg zu gehen.

Insgesamt ist der bisweilen zu große Mut zum Risiko jedoch der einzige „Makel“, den man dem Kroaten vorwerfen kann. Aufgrund seiner spielerischen und vor allem taktischen Fähigkeiten verdient er das Prädikat „unverzichtbar“ aktuell so sehr wie kein anderer Spieler im Kader. Will man in dieser Saison noch um die Meisterschaft und vor allem um die Königsklasse mitspielen, braucht man einen Modrić in Top-Form. Und es wird auch Zidanes Aufgabe sein, dafür zu sorgen, dass er diese am Ende der Spielzeit auf den Platz bringen kann.

Real-Trikot mit MODRIC-Aufdruck – weiß-kurzgraublau und weiß-lang

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von
Yannick Frei

Hauptberuflich im Nachwuchsfußball zuhause. Von den Großmeistern Figo und Zidane verzaubert, bin ich bis heute ein glühender Anhänger des größten Klubs der Welt.

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