
Zu Beginn des Jahres war Real Madrid keine Mannschaft. Real Madrid war eine uneinheitliche Ansammlung von launischen Stars, die sich bis auf wenige Ausnahmen gegen ihren Trainer auflehnten. Auch wir hatten die Saison des spanischen Rekordmeisters zwischenzeitlich schon abgeschrieben, für tot erklärt. Pokal-Aus, zwölf Punkte Rückstand in der Liga, Formschwankungen bei Leistungsträgern wie Cristiano Ronaldo – es sah nach einer weiteren freudlosen Spielzeit aus.
Mit der Beförderung von Zinédine Zidane hat sich das Blatt jedoch gewendet. Wieder einmal wurde klar, wie gut Real ein Trainer mit Charisma tut. Und dass es eigentlich keine Rolle spielt, ob nun ein Mann mit oder ohne Trainer-Erfahrung an der Seitenlinie steht. Die Vita von Rafael Benítez lässt sich nicht anzweifeln, doch an der Concha Espina ist ein strenger und nüchterner Taktiker schlichtweg fehl am Platz. Die Spieler opferten sich nicht für ihren Vorgesetzten auf, anders als unter Carlo Ancelotti und zuvor auch unter José Mourinho. Zidane, allein wegen seiner Vorgeschichte bei Real, setzte vor allem aus psychologischer Sicht einen wichtigen Impuls.

Die Spielphilosophie des Franzosen lässt sich nach so kurzer Zeit weder definieren noch beurteilen. Auch muss man einräumen, dass der Weg ins Champions-League-Finale schon steiniger und spektakulärer verlief. Aber wen interessiert das am Ende? Einen fulminanten 4:0-Sieg in der Allianz Arena feiert man eben nur einmal pro Jahrzehnt. Meine Anerkennung hat Zidane. Ich verneige mich davor, dass er den Spielern die verloren gegangene Siegermentalität wieder eingepflanzt hat.
Hätte Real den Clásico im Camp Nou unter Benítez gewonnen? Hätte Real das 0:2 gegen den VfL Wolfsburg unter Benítez gedreht? Ich glaube nicht. Allen voran Ronaldo, der in der Hinrunde ausgelaugt und miesepetrig wirkte, hat endlich wieder Spaß am Fußball. Dass die Galionsfigur auf einen langfristigen Verbleib von Zidane pocht, kommt nicht von ungefähr. Die Harmonie ist zurück, auch wenn es nach wie vor das eine oder andere Sorgenkind wie James Rodríguez gibt. Aber das spielt keine Rolle. Unter Zidane zählt wieder das große Ganze, das Wappen auf der Brust. Einer für alle, alle für einen.
In Mailand bietet sich Real am 28. Mai die große Chance, eine bärenstarke Rückserie zu veredeln und auf Europas Thron zurückzukehren. Ja, es wartet mit Atlético der unangenehmste Gegner, doch Real liegen solche Alles-oder-nichts-Spiele. Seit dem Bestehen der Königsklasse verlor man kein Finale. Und dass die rot-weiße Mauer in einem Spiel zu durchbrechen ist, hat der FC Bayern München am vergangenen Dienstag allemal bewiesen.
Mit einem Sieg gegen Diego Simeone, dem Gewinn von „la Undécima“ in seiner ersten Saison als Übungsleiter der Profis, würde Zidane auch seine letzten Kritiker verstummen lassen. Er selbst weiß: „Wir haben etwas erreicht, aber noch nichts gewonnen.“ Unabhängig von dem Ausgang der Partie muss ich ihm danken. Merci, Zizou. Merci dafür, dass du dem Madridismo wieder Freude und Hoffnung bescherst.
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