Reportage

Das Jahr des Gareth Bale: Vom Buhmann zur neuen Galionsfigur

Hinter Gareth Bale liegt das wohl beste Jahr seiner Karriere. In der letzten Spielzeit führte er Real Madrid zum Champions-League-Titel und sein Heimatland Wales überraschend bis ins Halbfinale der Europameisterschaft, was dem Briten einen Platz unter den Top-3 zu Europas Fußballer des Jahres verschaffte und ihn wohl auch zu einem aussichtsreichen Kandidaten auf den Ballon d'Or machte. Eine beeindruckende Entwicklung, die nach dessen mehr als durchwachsener Vorsaison keineswegs abzusehen war. REAL TOTAL mit dem Rückblick auf ein bewegtes Spieljahr eines außergewöhnlichen Spielers.

470
Laurence Griffiths/Getty Images
Gareth Bale bejublt den Triumph in der Königsklasse – Foto: Laurence Griffiths/Getty Images

Drei Jahre voller Höhen und Tiefen

MADRID/CARDIFF. Drei Jahre steht Gareth Bale mittlerweile schon bei Real Madrid unter Vertrag – und wechselhafter hätten diese drei Jahre nicht sein können. Während seiner ersten Spielzeit an der Concha Espina kämpfte der Waliser aufgrund des erst spät abgewickelten Transfers Richtung Spanien und anfänglichen physischen Problemen lange Zeit mit Anpassungsschwierigkeiten, durch den Siegtreffer im Copa-del-Rey-Finale 2014 gegen Barcelona (2:1) sowie dem erlösenden Führungstor in der Verlängerung des Champions-League-Finales gegen Atlético (Endstand 4:1) nur wenige Wochen später hatte der Waliser schlussendlich jedoch enormen Anteil an der legendären „Décima“-Saison und schien auf dem besten Weg, sich zu einer absoluten Führungsfigur im Bernabéu zu entwickeln. In der Folgesaison gab es allerdings die große Ernüchterung: Bis auf den Gewinn des UEFA Super Cups sowie der Klub-Weltmeisterschaft blieben die Blancos diesmal ohne großen Titelgewinn und auf persönlicher Ebene verlief die Saison für den Waliser relativ enttäuschend.

Die Zahlen mit 17 Toren und zwölf Vorlagen lesen sich insgesamt zwar nicht schlecht, sein Potential brachte Bale aber nur sehr selten auf den Platz. Er ließ dabei auffällig oft jegliche Bindung zum Spiel vermissen und wirkte oftmals extrem isoliert. Gerüchte um angebliche Streitereien mit Cristiano Ronaldo, Unzufriedenheit mit der Position und die harsche Kritik von Seiten der Medien und Teilen der Fans taten ihr übriges. Nur ein Jahr nach dem grandiosen Doppel-Triumph in Pokal und Königsklasse mit dem walisischen Nationalspieler in der Hauptrolle wurde (zumindest in der Öffentlichkeit) sogar über einen frühzeitigen Abschied des Flügelstürmers aus Madrid spekuliert. Sollte das Märchen rund um den 100-Millionen-Euro-Galáctico nach rund zwei Jahren also schon wieder beendet sein? Die Antwort an all seiner Zweifler und Kritiker lieferte Bale im vergangenen Spieljahr dann aber in beeindruckender Manier auf dem Platz – und zwar mit der wohl besten Saison seiner Karriere an deren Ende der erneute Gewinn der UEFA Champions League stand und er sein Heimatland Wales bei der Europameisterschaft sensationell bis ins Halbfinale führte.

Vertrauensvorschuss unter Benítez

Was dem 27-Jährigen zu Beginn der vergangenen Saison natürlich entgegenkam, war die Tatsache, dass mit Rafael Benítez ein Trainer anheuerte, der in vollem Umfang von den Qualitäten des Außenstürmers überzeugt war. Der spanische Übungsleiter stärkte seinem Schützling öffentlich mehrere Male demonstrativ den Rücken und versuchte sogar, ihm seinen Wunsch nach einem Positionswechsel auf die zentrale Position hinter die Spitzen zu erfüllen. Verliefen die Experimente in der Vorbereitung in dieser Hinsicht noch etwas schleppend, da sich abzeichnete, dass Bale aufgrund seines Spielerprofils nur bedingt für die zentralere Position geeignet ist, legte der „walisische Express“ einen Saisonstart vom Feinsten hin. Von Benítez mit jeglichen Freiheiten ausgestattet, agierte der Brite offensiv extrem variabel und trat neben seinen Toren und Vorlagen vor allem durch dynamische Dribblings und gefährliche Pässe in die Tiefe positiv in Erscheinung. Nach zwei Sahne-Auftritten gegen Betis Sevilla und Espanyol Barcelona war es allerdings erst mal vorbei mit der bale’schen Herrlichkeit. Der Schollenmuskel in der rechten Wade machte sich erstmals bemerkbar und sorgte für eine mehrwöchige Auszeit – es sollte nicht das einzige Mal in dieser Saison bleiben.

[advert]

Wenngleich der Ausfall der Nummer 11 zu diesem Zeitpunkt den Madrilenen zusetzte, ließ der verheißungsvolle Start zumindest die Hoffnungen auf eine gute Saison wachsen. Kurz nach seinem Comeback am siebten Spieltag versetzte Bale den in ihn gesetzten Erwartungen allerdings selbst einen herben Dämpfer. Obwohl noch nicht gänzlich fit, absolvierte er 180 Länderspielminuten mit Wales – und das obwohl man nach 90 Minuten längst für die Europameisterschaft qualifiziert war. Die Quittung folgte auf dem Fuß: Die Verletzung am Schollenmuskel brach wieder auf und zog erneut eine mehrwöchige Zwangspause nach sich. Und auch die kritischen Stimmen am fahrlässigen Handeln des Walisers fielen nicht gerade milde aus.

Wer nun fürchtete, dass sich das Leistungsloch aus der Vorsaison wiederholen würde, sah sich allerdings getäuscht. Bale kämpfte sich zurück und knüpfte nahtlos an seine überragenden Leistungen von Saisonbeginn an. Mittlerweile wieder fest auf dem rechten Flügel platziert, drehte der Ex-Tottenham-Akteur gegen Ende der Hinrunde nochmals richtig auf und gewann nach und nach auch wieder die Herzen der kritischen Zuschauer im Bernabéu. Und selbst als sein Förderer Benítez nach dem 18. Spieltag seinen Hut nehmen musste, ließ sich Bale nicht mehr aufhalten. Im Gegenteil, unter Zinédine Zidane etablierte er sich endgültig als absoluter Leader des Teams und stieg letztlich neben Cristiano Ronaldo zur zweiten strahlenden Galionsfigur des madrilenischen Star-Ensembles auf.

Offensiv wie defensiv – Bale macht den Unterschied

Zwar wurde der Brite schon im zweiten Spiel unter der Leitung von „Zizou“ erneut durch seinen Schollenmuskel ausgebremst und war abermals zum Zuschauen verdammt, dafür erwies sich Madrids Nummer 11 spätestens im Saison-Endspurt als der so dringend benötigte X-Faktor im Spiel der Merengues. Auch wenn man Bale zweifelsohne bereits als gestandenen Spieler ansehen kann, legte er in der vergangenen Saison nochmals einen beachtlichen Entwicklungssprung hin. Waren dessen Anlagen in puncto Dynamik, Athletik und Schussgewalt schon immer bekannt und gefürchtet, lernte er, diese in der abgelaufenen Spielzeit noch besser einzusetzen.

Setzte er im Jahr zuvor noch oftmals kopflos zum Dribbling an oder ließ sich mit dem Rücken zum Tor zu einfach abkochen, agierte der Flügelflitzer fortan aus einer etwas tieferen Position am Flügel heraus und versuchte so seine unglaubliche Dynamik zielgerichteter und effizienter einzusetzen. Auffällig oft holte sich der Waliser den Ball relativ tief in der eigenen Hälfte ab und präsentierte sich durch seine so offenere Stellung zum Tor erheblich ballsicherer, was letztlich einen guten Gegenpart zum doch eher in Richtung Tor orientierten und geradlinigeren Ronaldo darstellte. Zudem schaffte er auf diese Weise Räume für den hinter ihm postierten Daniel Carvajal. Des Weiteren legte Bale in dieser Saison endlich auch wieder das so dringend benötige Selbstvertrauen an den Tag, was sich auch maßgeblich in seiner Leistung widerspiegelte. Sich seiner Fähigkeiten bewusst, scheute er nur selten das Risiko und setzte auch seinen robusten Körper immer wieder gewinnbringend ein. Mit teilweise spektakulären Kopfballtoren gab er auch immer wieder Kostproben seiner überragenden Sprungkraft und Athletik ab und ließ seine herausragenden Abschlussqualitäten aufblitzen.

Ticketbis_Eintrittskarten_Bernabeu_980x572px

Doch nicht nur offensiv verhalf Bale Real zu einem Qualitätssprung, auch defensiv erwies er sich letztlich als eines der entscheidenden Puzzleteile auf dem Weg zum Königsklassen-Triumph. Beim situativen Umschalten auf ein defensives 4-4-2 legte der Waliser Spiel für Spiel ein enormes Laufpensum an den Tag, um seine rechte Seite entsprechend abzusichern und der Mannschaft zu mehr Stabilität zu verhelfen. Neben der Installierung von Casemiro als absichernder Sechser hinter Toni Kroos und Luka Modrić wohl einer der entscheidenden Schachzüge Zidanes auf dem Weg Richtung elftem Europapokal-Titel.

Bale – „Leader qua Technik“

Den Schwung seines überragenden Saison-Finales nahm der Flügelflitzer gleich mit zur Europameisterschaft nach Frankreich, wo er im Team der Waliser zwar eine völlig andere Rolle inne hatte, aber dennoch in vollem Umfang zu überzeugen wusste. Im 3-5-2 holte er sich trotz seiner eigentlichen Rolle als Stürmer immer wieder extrem tief die Bälle ab und lenkte zusammen mit Arsenals Aaron Ramsey und dem Ex-Liverpooler Joe Allen das Aufbauspiel, sorgte aber gleichzeitig auch für die nötige Torgefahr. Bale trat als echter Anführer auf – auch wenn er dafür nicht viele Worte verlieren musste. Carlo Ancelotti würde seinen ehemaligen Schützling als einen „Leader qua Technik“ bezeichnen: Ein Spieler, der nicht viel redet, aber durch seine Leistung und sein Auftreten vorangeht und Verantwortung für sich und das Team übernimmt. Genau das hat der in Cardiff geborene Außenspieler in diesem Jahr eindrucksvoll bewiesen, sowohl im Verein als auch im Nationalteam.

Viel beeindruckender als die Leistungen und Errungenschaften des Walisers an sich, ist jedoch der Umstand, wie es Bale gelang, die negative Stimmung der vorangegangen Saison zu seinen Gunsten zu drehen und sich aus diesem Tief zurückzukämpfen. Neben der Demonstration seiner schier unbändigen spielerischen Qualität legte er so besonders ein Zeugnis seiner starken (Kämpfer-)Mentalität ab und bewies enorme mentale Stärke. Abgesehen von der nun möglichen Wahl als Europas Fußballer des Jahres oder gar zum Weltfußballer hat Bale in diesem Jahr einiges mehr erreicht: Er ist neben Ronaldo und Sergio Ramos zu einem der Gesichter der Königlichen, zu einer neuen Galionsfigur herangewachsen. In der kommendes Spielzeit will Bale diese Geschichte nun weiterschreiben.

Jetzt bestellen: Real Madrids neues Heim-, Auswärts- und Ausweich-Trikot

0.00 avg. rating (0% score) - 0 votes
von
Yannick Frei

Hauptberuflich im Nachwuchsfußball zuhause. Von den Großmeistern Figo und Zidane verzaubert, bin ich bis heute ein glühender Anhänger des größten Klubs der Welt.

Kommentare
Hoffe er geht ab hab auf ihn bei comunio gesetzt ;)
 

Verwandte Artikel

Vinícius: Der Freifahrtschein ist weg – und Rodrygo sitzt im Nacken

Vinícius Júnior gehört auch für Xabi Alonso zu den fundamentalsten Spielern bei...

Keiner trifft öfter: Kylian Mbappé wird gerade erst warm

Es war die wohl am meisten diskutierte Verpflichtung in der jüngeren Vereinsgeschichte...

Alaba: Neue Rolle unter Alonso – Berater macht Ansage

David Alaba scheint bei Real Madrid plötzlich kein reiner Verteidiger mehr zu...

Der jüngste Kader der Liga

Das gab es lange nicht mehr: Real Madrid hat den jüngsten Kader...