
Wie alles begann
MADRID. „Real Madrid no juega finales, las gana.“ Real Madrid spielt keine Finals, es gewinnt sie. Es gibt wohl keine Ausführung, die das Selbstverständnis des Klubs so präzise auf den Punkt bringt wie jener weit geläufiger Spruch – und dabei auch noch derartig zutreffend ist. Die Erfolgsbilanz von 14 erfolgreich bestrittenen europäischen Endspielen bei 17 Versuchen spricht eine deutliche Sprache, spätestens die jüngsten Erfolgen der Königlichen in der Champions League (2016, 2017 und 2018) bewiesen abermals, dass der spanische Rekordmeister eine besondere Affinität für Finalspiele besitzt und diese sehr häufig – und zumeist auch noch auf dramatische Art und Weise – für sich zu entscheiden vermag.
Den Anfang der glanzvollen Europapokal-Geschichte der Blancos bildete 1956 der erste Triumph im damals neu geschaffenen Europapokal der Landesmeister. Im Finale im Prinzenparkstadion zu Paris besiegte man den französischen Vertreter Stade Reims nach einer phänomenalen Aufholjagd mit 4:3 und krönte sich zum ersten von mittlerweile 14 Malen zum König von Europa. Aber dieser Sieg am 13. Juni 1956 war weitaus mehr als nur ein bloßer Titelgewinn. „Es war“, um es in den Worten von Real-Ikone Raymond Kopa, der in jenem Endspiel noch für Stade Reims auflief, zu sagen, „die Geburtsstunde der größten Mannschaft in der Geschichte des Fußballs“. Ein Mythos wurde geboren.
Ein steiniger Weg ins Finale
Der Weg in das Endspiel des auf Initiative des L’Équipe-Journalisten Gabriel Hanot neu geschaffenen Wettbewerbes war für das Team des damaligen Real-Trainers José Villalonga Llorente wahrlich kein leichter. Nachdem man sich in der ersten Runde noch sehr souverän gegen den schweizerischen Vertreter Servette Genf durchgesetzt hatte (2:0 und 5:0), geriet man im Viertelfinale gegen die Jugoslawen von Partizan Belgrad gehörig ins Straucheln. Im Hinspiel glänzte man noch vor heimischem Publikum mit einem überragenden 4:0-Sieg, beim Rückspiel im verschneiten und kalten Belgrad kam man allerdings gehörig unter die Räder, hatte letztendlich aber eine gehörige Portion Glück, dass den Osteuropäern nur ein 3:0 gelang. Juanito Alonso, zu jener Zeit Torhüter der Merengues, wird in Phil Balls „Tormenta blanca“ folgendermaßen zitiert:
„Es war furchtbar. Sie waren daran gewöhnt (an den Schnee; d. Red.). Sie legten los wie die Feuerwehr, spazierten durch die Mitte, als ob dort niemand wäre und jemand ließ einen unglaublichen Schuss los. Ich habe ihn nicht gesehen. Er prallte gegen den Pfosten und über meinem Kopf wurden zehn Kilo Schnee entladen… Ich war festgefroren. Wir kamen fast nicht aus unserer Hälfte. Sie waren uns überlegen. Wir griffen im ganzen Spiel nur einmal an und erhielten einen Strafstoß. Rial rutschte beim Schießen aus und er ging an die Oberkante der Latte. Es ist unglaublich, dass wir nur 3:0 verloren haben. Sie hätten uns überrollen müssen“, so der mittlerweile verstorbene Schlussmann über den damals glücklichen Halbfinal-Einzug.
Diese äußerst unangenehme Hürde aus dem Weg geschafft, ließ man im Semifinale schließlich auch den damals schon großen AC Mailand hinter sich. Im San Siro verlor man zwar mit 1:2, dank des 4:2-Erfolges aus dem Hinspiel im Bernabéu gelang jedoch der Sprung in das Finale. Dort sollte man also auf den französischen Spitzenklub Stade Reims treffen – und in einem hoch dramatischen Endspiel den Grundstein für einen unvergleichlichen europa- wie letztlich auch weltweiten Siegeszug legen.
Di Stéfano, der Anführer
Die Begegnung gegen den amtierenden französischen Meister begann sogleich mit einem empfindlichen Tiefschlag: Nach Treffern von Michel Leblond (6.) und Jean Templin lag man nach gerade einmal zehn Minuten bereits mit 0:2 zurück. Doch die Weißen hatten die passende Antwort parat und Alfredo Di Stéfano (14.) und Hector Rial (30.) brachten ihre Farben noch vor der Halbzeit wieder auf Kurs. Reims schlug aber seinerseits eiskalt zurück und ging durch Míchel Hidalgo abermals in Führung (62.). Nachdem Abwehrspieler Marquitos (67.) nur wenige Minuten später einer seiner überaus seltenen Treffer gelungen war, war es letzten Endes Ríal vorbehalten, in einer spannenden Schlussphase das Siegtor zu markieren (79.). Der erste Europapokal-Triumph der madrilenischen Vereinsgeschichte war perfekt!
Wenngleich Ríal als Doppel- und Siegtorschütze auf den ersten Blick dabei als Hauptprotagonist gelten mag, so gebührte der Löwenanteil an diesem Erfolg doch einem anderen: Alfredo Di Stéfano. 1953 erst nach Madrid gewechselt, legte „La saeta rubia“, „der blonde Pfeil“, mit seinem Anschlusstreffer zum 1:2 nicht nur den Grundstein für Madrids erste historische „Remontada“, er war gleichzeitig Denker und Lenker jenes „weißen Balletts“, das fortan ganz Europa verzaubern sollte. Raymond Kopa ist der Auftritt seines damaligen Gegenspielers jedenfalls noch heute im Gedächtnis: „Alfredo war nicht zu stoppen, er bog das Resultat fast allein zu seinen Gunsten um, ein wahrer Herkulesakt.“
Kopa, das fehlende Puzzlestück
Das Finale von 1956 lieferte den Königlichen allerdings noch mehr, als den ersten Triumph auf europäischer Vereinsebene. In Person von jenem Kopa fand Santiago Bernabéu das Puzzlestück, welches seinem seit 1933 mit Superstars zusammengestellten Kader den allerletzten Schliff verpassen sollte. Neben dem unvergleichlichen Di Stéfano, dem pfeilschnellen Gento und dem Vollblutstürmer Ríal mangelte es an einer offensiven Option, die in der Lage war, die Balance im Spiel der Madrilenen zu wahren. Und genau dies repräsentierte der technisch beschlagene Franzose.
Für die damalige Summe von 52 Millionen Francs (auf heute umgerechnet circa acht Millionen Euro) holte man „Kopita“ schließlich in die spanische Hauptstadt. Eine Investition, die schon alsbald ihre ersten Früchte trug. Sowohl 1957 als auch 1958 holte man sowohl die spanische Meisterschaft als auch den Europapokal der Landesmeister, an deren Gewinn der technisch beschlagene Rechtsaußen, der so herausragend mit Di Stéfano harmonierte, erheblichen Anteil hatte.
1959 verließ Kopa die Blancos zwar wieder, der internationale Erfolg hielt aber weiter an. Die Titelgewinne 1959 und 1960 bedeuteten fünf Europapokal-Erfolge in Serie. Ein Rekord für die Ewigkeit und die Begründung eines Mythos. Ein Mythos, der heute vor 66 Jahren begann, Europa zu erobern.
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