Historie

Fünf Geier und Hugo – als Real die Liga dominierte wie niemand zuvor

Nie dominierte ein Team LaLiga so wie Real Madrid in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre. Grund dafür war ein außergewöhnlicher Jahrgang, der für verrückte Zustände im spanischen Fußball sorgte. Schlussendlich fehlte in den wichtigen Momenten ein kleines bisschen, um die internationale Vollendung zu erlangen.

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Europas beste Nachwuchsabteilung – nicht erst seit 2017

MADRID. “La Fábrica” – die gerne übersehene Fußballschule der Königlichen. Aus keiner anderen Jugendabteilung stammten zuletzt so viele Profis in Europas Top-Ligen wie aus der Real Madrids. Ihren bisherigen Höhepunkt erlebte die königliche “Fabrik” allerdings vor vier Jahrzehnten: 1980 war diese derartig gut aufgestellt, dass Real Madrid im spanischen Pokalfinale tatsächlich auf die eigene zweite Mannschaft traf. Die Castilla hatte die nationale Konkurrenz hinter sich gelassen und erst im Finale im Bernabéu mit 1:6 gegen die Erste verloren – weshalb sie später sogar international spielte.

“Das Quintett des Geiers” war geboren

Nur wenige Jahre später – die “großen” Blancos erlebten eine spielerisch etwas fade Phase – besuchten, kein Scherz, mehr Zuschauer die Spiele der begeisternden Castilla als die der ersten Mannschaft. Schon bald sollten die besten königlichen Nachwuchsspieler für Höheres bestimmt sein, nachdem der zweite Anzug 1983/84 sogar Zweitliga-Meister geworden (der Aufstieg jedoch logischerweise nicht möglich) war. Die fünf Auserwählten wurden “la Quinta del Buitre” gerufen – so viel wie “das Quintett des Geiers”. Getauft nach ihrem besten Spieler: Emilio Butragueño, Spitzname “el Buitre”, der Geier. Diesen fünf Supertalenten gelang Mitte der 80er den mehr oder weniger direkten Sprung zum Stammspieler.

Von links: Sanchís, Míchel, Pardeza, Butragueño und Vázquez – Foto: imago images / Cordon Press/Diario AS

Stürmer Butragueño, Abwehrchef Manuel Sanchís und Rechtsaußen Míchel González sollten jahrelang für Real spielen und sich zu großen Legenden des Vereins entwickeln – aber auch die beiden offensiven Mittelfeldspieler Martin Vázquez und Miguel Pardeza sollten zunächst zum nun wesentlich attraktiveren Spiel der Königlichen beitragen. Gleich 1985 und 1986, durch alte Haudegen wie José Antonio Camacho, Juanito oder Santillana zu einer homogenen Einheit komplettiert, konnte ein neues Madrid den UEFA Cup – zu dieser Zeit manchmal mit größerer Konkurrenz als der Landesmeister-Cup – gewinnen und verteidigen.

Als legendär bleiben besonders die Duelle mit Inter Mailand und Borussia Mönchengladbach wie auch die generelle Unbesiegbarkeit im heimischen Bernabéu in Erinnerung – speziell nach fahrlässigen Hinspiel-Niederlagen. Der berühmte spanisch-italienisch vermischte Ausspruch “90 minuti en el Bernabéu son molto longos” von Juanito rührt aus dieser Zeit und besitzt seine Gültigkeit (teilweise) bis heute.

Rekord egalisiert: Fünf Liga-Titel in Folge

Zur gleichen Zeit begann in der Liga eine Serie, die in Spanien seitdem nicht wiederholt werden konnte: Das Team von Luis Molowny, Leo Beenhakker und John Toshack errang von 1986 bis 1990 fünf Meisterschaften in Folge. Butragueño war, in erster Linie bei der WM 1986, zu einem der besten Stürmer Europas avanciert, nur einer schien in der damaligen Primera Divison noch besser zu sein: Hugo Sánchez aus Mexiko.

Atléticos Torschützenkönig holten die Merengues quer durch die Stadt ins Bernabéu – und “Hugol” sollte sich als perfekter Deckel für den fast nur aus Spaniern bestehenden Real-Topf herausstellen. Insbesondere im SDuo mit dem technisch versierten Butragueño kombinierte der Mexikaner, der bei Real vier weitere “Pichichi”-Trophäen einheimste, Effektivität mit blankem Wahnsinn: Nicht einmal Zlatan Ibrahimović schoss derart – perdón – abartige Tore wie Seitfallzieher-, Flugkopfball- und Fallrückzieher-Fetischist Sánchez. Einmal bugsierte er einen spektakulären Scherenschlag derartig in den Winkel, dass Trainer Beenhakker das Spiel unterbrechen und allen Spielern Sekt spendieren wollte. Dank der fünf Geier plus “Hugol” gab es in Spanien nur noch eines: Real Madrid!

Die unvollendete Generation: Europapokal als Albtraum

Auch ohne den 1987 endgültig abgewanderten Pardeza dominierten die Blancos den nationalen Wettbewerb, ehe Barça ab 1991 vier Jahre in Folge feiern sollte. Trotz glorreicher Meisterschaften schien in Reals Epoche allerdings nicht alles rosig: Alljährlich grüßte der Niederschlag, wenn man im Europapokal der Landesmeister, heute die Champions League, wieder einmal ausgeschieden war. Die “Quinta del Buitre” sollte ihn tatsächlich nie gewinnen! Und das, obwohl man speziell 1988 die beste Mannschaft stellte, den vermeintlichen Angstgegner FC Bayern ausknipste, aber schließlich doch im Halbfinale gegen den späteren Titelträger Eindhoven ausschied – auf extrem unnötige Art und Weise.

So blieb es bei Reals nur national erfolgreichster Epoche der letzten 50 Jahre, die bei der WM 1990 ihren letzten schönen “Höhepunkt” erlebte, als kurzzeitig alle fünf “Jahrgangsbesten” gemeinsam für Spanien auf dem Platz standen. Auch Sanchís, Míchel, Pardeza, Vázquez und Butragueño konnten Spaniens Achtelfinal-Aus gegen Jugoslawien allerdings nicht verhindern.

111 Gründe, Real Madrid zu lieben

Danach ging es an der Concha Espina bergab. Sánchez wurde zu alt, zerstritt sich mit dem Verein und verließ diesen 1992. Der geniale Vázquez, auf den nie wirklich genug gesetzt wurde, musste für Fehleinkauf Gheorghe Hagi weichen – Geier Butragueño konnte den Laden alleine nicht mehr schaukeln. Als Real Barcelonas folgende Dominanz wieder umbiegen konnte, war Fan-Liebling Butragueño bereits durch das aufkommende Supertalent Raúl ersetzt worden, so ließ der heutige Direktor für institutionelle Beziehungen seine Karriere von 1995 bis 1998 beim mexikanischen Atlético Celaya ausklingen. Und auch Míchel, immer mehr Co-Star als Star, kehrte Real Madrid bald den Rücken, ehe er “el Buitre” nach Mexiko folgte – jedoch auf die schönste Art und Weise.

Heute ist „el Buitre“ Reals Direktor institutioneller Beziehungen – Foto: REAL TOTAL

Einzig Dauerbrenner und Kapitän Sanchís, dessen Vater sich schon das weiße Dress übergestreift hatte, durfte den Henkelpott doch noch in die Höhe recken. 1998 gewann Madrid seinen ersten großen Europapokal nach 32 Jahren, und auch 2000 war “Manolo” noch dabei. So ist die “Quinta del Buitre”, eine der faszinierendsten Generationen der Vereinshistorie Real Madrid, irgendwie doch nicht unvollendet geblieben.

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Baumgart's Fussballblog

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