Unter dem Strich agierten beide Mannschaften wie erwartet: Real in der Raute mit zurückfallendem Zehner, Liverpool im 4-3-3 mit zurückfallendem Stürmer. Die Weißen versuchten den Ball zu behalten, die Roten versuchten, ihn mit aggressivem Pressing zu gewinnen. Zunächst gelang das den Roten sehr gut, später nicht mehr.

Liverpool schließt die Flügel und nimmt Casemiro in die Verantwortung
Liverpools hohes 4-3-3-(0)-Mittelfeldpressing zeigte sich in der Anfangsphase als gutes Mittel gegen Reals Flügelüberladungen im Aufbauspiel. Achter und Flügelstürmer konnten zusammen gegen die königlichen Außenverteidiger und Achter pressen. Mittelstürmer Firmino wartete im Zentrum und ging dann nach vorne, um den Rückpass abzuschneiden.
Henderson schob auf der Sechs oftmals bis zum Flügel durch und überließ das Zentrum dem ballfernen Achter. Dadurch waren Iscos Überladungen auf außen nicht wirkungsvoll. Zudem überzeugte Klopps Mannschaft wie üblich durch sehr starke Basics im Pressing: Die Abstände fielen gering aus, die Deckungsschatten wurden gut genutzt, Pressingtrigger waren klar definiert und wurden gut erkannt und der Druck im richtigen Moment kollektiv verschärft.

Das schien sehr schwer auszuspielen. Die Schlüsselposition dabei hatte Casemiro inne, der hinter Firmino am ehesten eine freie Position inne hatte. So wurde Casemiro von Liverpool etwas in die Verantwortung genommen, das Spiel aufzubauen. Klopp hatte aber wie üblich schon die Pressingfalle aufgebaut: Wenn Casemiro an den Ball kam, wurde er gleich von drei, vier Seiten unter Druck gesetzt und der Raum um ihn wurde schnell verknappt. So verlor der Brasilianer zu Beginn ein paar gefährliche Bälle.
Umgedreht! Leichte Anpassungen in Reals Aufbaustruktur
Es war zunächst der Abwehr und vor allem mal wieder Varane zu verdanken, dass die “Reds” aus der anfänglichen Überlegenheit kein Kapital schlagen konnten. Mané und Salah kamen nicht hinter die letzte Linie und im Strafraum auch zu keinen klaren Abschlüssen – trotz zahlreicher vielversprechenden Situationen.
Im Laufe des Spiels ließ die Intensität des Liverpooler Pressings dann nach. Außerdem wurde Reals Aufbaustruktur leicht angepasst: Das Mittelfeldzentrum nutzte einmal mehr den Kniff, sich quasi „umzukehren“. Casemiro ging etwas nach vorne, in eine tiefe Zehnerposition um Henderson herum. Kroos und Modrić gaben indes eine sehr breite Doppelsechs, wobei aber bei Bedarf einer von beiden in die zentrale Sechserposition rücken konnte.

Liverpool hatte nun größere Schwierigkeiten, die Bälle auf den Flügel zu fokussieren und Pressingtrigger zu finden. Kroos und Modrić gelang es erneut hervorragend, im richtigen Moment dem Druck auszuweichen und mögliche Pressingsituationen schon im vorhinein zu verhindern. Ab und zu konnten die Liverpooler noch aggressiv nach vorne rücken, wenn die Flügelstürmer direkt Varane oder Ramos von außen attackierten. Meist waren sie aber gezwungen, sich tiefer zurückzuziehen.
Raumsuchender Zehner: Benzema wie Özil
Dass letzterer Kniff nicht öfter funktionierte, lag auch an Benzema. Der französische Mittelstürmer zeigte eine brillante Leistung – als Zehner. Bei Ballbesitz besetzte er kaum das Sturmzentrum, das war eher Ronaldos Aufgabe. Benzema hingegen bewegte sich im Rücken Hendersons durch den Raum zwischen den Linien.

Im Stile eines Mesut Özils zeigte er sich meist genau im richtigen Moment im Halbraum. Wenn Liverpools Achter sich nach vorne respektive außen orientierten, um den Druck zu verschärfen und die Innenverteidiger oder Sechser von Real unter Bedrängnis gerieten, forderte er den Ball. So konnte Real die Pressingversuche Liverpools häufig mit einem direkten Vertikalpass auf den „Mittelstürmer“ auflösen. Benzema hielt diese Bälle dann stark gegen mehrere Gegenspieler und verteilte sie auf die Flügel.
Isco schafft Raum für Marcelo
Isco hingegen, der nominelle Zehner, bewegte sich fast permanent auf die Flügel. Im Laufe der ersten Hälfte fand er sich immer öfter links an der Seitenlinie wieder. Dort gab Isco die Breite und ermöglichte damit Marcelo, vermehrt diagonal in die Mitte zu dribbeln. Auch auf diese Weise kam Real einige Male um die erste Pressinglinie der “Reds” herum.
Als die Kräfte schwanden
Durch diese vielen zurückfallenden Bewegungen hatte Real gerade in der ersten Halbzeit nur sehr wenig Druck auf die letzte Linie. Ronaldo war meist allein auf weiter Flur und es gab zunächst kaum Strafraumszenen der Madrilenen. Und das schien durchaus Zidanes Plan!
Das änderte sich dann im zweiten Durchgang und vor allem in den letzten 20 Minuten zusehends. Liverpools Verschieben im Raum fiel immer langsamer aus. Außerdem fehlten den “Reds” am Ende die Kräfte, nach Ballverlust schnelle Läufe nach vorne zu machen, um die Offensivspieler bei den Kontern zu unterstützen. So kam Liverpool immer seltener hinten heraus und sorgte für wenig Entlastung.
Wenn die Briten einmal am eigenen Strafraum gebunden waren, brachte Real dann mehr Spieler in die gefährlichen Offensivpositionen. Mit Bale kam für Isco ein weiterer Angriffspieler, der beim entscheidenden 2:1-Treffer dann auch für die englische Hintermannschaft nicht mehr zu kontrollieren war.
Drei Titel in Folge: Die Strategie für die Königsklasse
Nur eine Meisterschaft, aber drei Champions-League-Siege in drei Jahren: Diese historische Real-Mannschaft ist ein Spezialist für große Spiele, für große Gegner und den einen ganz großen Triumph. Schon seit 2013/14 hat sich die Mannschaft um einen klaren Spielerstamm herum entwickelt und sich auf eine Strategie festgelegt, die unheimlich schwer zu schlagen ist.
In diesen Jahren passierte es selten, dass Zidanes Mannschaft einen Gegner völlig außeinander nahm, gerade im ersten Durchgang gab es das beinahe nie. Häufig begannen die Spiele der Blancos ausgeglichen oder sogar mit Übergewicht für den Gegner. Doch dann ist es fast immer das gleiche Muster: Im Laufe der 90 Minuten kommen die Madrilenen immer besser in die Partie, beginnen irgendwann konstant den Ballbesitz zu kontrollieren, die Gegner müssen immer öfter an den eigenen Strafraum zurück und dort haben sie dann keine Chance mehr auf die Flucht nach vorne und werden mit Flanken und Standards bombardiert.
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Die Grundstruktur der Mannschaft ist ungewöhnlich und sehr defensiv: Die Kreativräume im offensiven Mittelfeld werden häufig gar nicht besetzt. Sehr viele Spieler stehen tief und außen. Das Spiel wird mit sieben, manchmal sogar acht Feldspielern aufgebaut, kaum jemand lauert in gefährlichen Räumen, um Angriffe zielstrebig voranzutreiben und zu finalisieren. Es geht zunächst nur darum, den Ball zu behalten, von links nach rechts zu spielen und dadurch den Gegner zu bewegen und müde zu machen. Nach vorne gibt es nur hier und da „Nadelstiche“ durch lange Bälle oder vereinzelte Vorstößen von Marcelo oder Modrić.
Das Ziel dabei scheint primär, Kräfte zu sparen, während der Gegner sich auspowert, und dabei keine Fehler zu machen, die zu Kontern führen können. Real gibt sich immer erst einmal mit dem 0:0 zufrieden. Entweder reichen in dieser Phase die besagten Nadelstiche oder der Gegner macht einen Fehler, der zur Führung führt. Wenn der Gegner nichts riskiert, bleibt es meist lange beim 0:0 (oder sonst einem knappen Ergebnis).
In der Königsklasse genial, in LaLiga ein Problem
Das ist gegen die defensiv eingestellten Gegner in der Liga häufig ein Problem und zum Schluss fehlt dann manchmal die Zeit, weshalb es 2017/18 auch zehn Unentschieden und sechs Pleiten in LaLiga setzte. Gegner wie Juve, Bayern oder Liverpool sind allerdings normalerweise nicht mit dem 0:0 zufrieden, sondern versuchen Druck auszuüben und mit mehr Spielern anzugreifen. Gegen Reals sensationell starke Innenverteidigung ist es aber immer schwierig, ein Tor zu erzielen, und Kontergelegenheiten bekommt man selbst mit starkem Pressing fast nie. So kann Real auch bei Unterlegenheit das Spiel knapp halten und geht dann mit mehr Kräften in die Endphase.
Dort hilft dann die enorme Ballsicherheit in der Mannschaft, um das Spiel zu dominieren und den Gegner immer weiter nach hinten zu schieben. Am und im Strafraum hat man dann herausragende individuelle Qualität, auch bei Standardsituationen ist man brandgefährlich. Dies ist letztlich der absolute Schlüssel von Reals neuem Erfolg: Die Mannschaft ist überragend zusammengestellt – kann alles! Enorme Ballsicherheit im Mittelfeld, überragende Athletik hinten, überragende Athletik vorne und dazwischen ein paar geniale Strategen und ein paar sehr kreative Spieler.

Das Gefüge der Merengues scheint gut balanciert und in den einzelnen Mannschaftsteilen ist man quasi jedem Gegner überlegen. Die positionelle Struktur der Mannschaft wird dann zuweilen zweitrangig und dient nur dazu, negative Zufälle zu vermeiden und positive Zufälle zu begünstigen. Für den vielleicht besten Kader der Fußballgeschichte ist das eine clevere Strategie, um auch von den besten Mannschaften der Welt einfach nicht geschlagen zu werden. Und wer nicht geschlagen wird, der hat eine sehr gute Chance, am Ende zu gewinnen.
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