Reportage

Reals 27 Brasilianer: Kurzarbeiter und Ikonen

Zu Marcelo und Casemiro gesellt sich erst Vinícius Júnior, jetzt kommen auch Rodrygo Goes und Éder Militão. Verpflichtungen aus Brasilien schlugen bei Real Madrid längst nicht immer ein. Rückblickend lassen sich aber diverse Tendenzen und für die nächsten Jahre gute Vorzeichen erkennen.

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Real-Ikonen: Linksverteidiger Roberto Carlos (r.) und sein Nachfolger Marcelo im Jahr 2007 – Foto: Pierre-Philippe Marcou/AFP/Getty Images

MADRID. Der Startschuss war eine Platzpatrone: Er erfolgte in Person von Fernando Giudicelli (32, Sporting Lissabon) bereits 1935 – nach nur einem Einsatz im königlichen Dress, wegen eines Streits mit Trainer Francisco “Paco” Bru, verabschiedete sich der Mittelfeldspieler schon wieder gen Frankreich. Von kaum längerer Dauer war 1959 das bittere Missverständis – Alfredo di Stéfanos Antipathie trug entscheidend dazu bei – mit Weltmeister-Stratege Didi (30, Botafogo RJ). Auch der Ausnahmekönner gilt wegen seiner Adaptionsschwierigkeiten als Flop, nur eine Saison hielt Didi (19 Spiele, sechs Tore) es in der spanischen Hauptstadt aus.

Barças Knipser zündet nicht – Sündenbock Rocha

Zu viele Weltklasse-Köche kümmerten sich in jenen glorreichen Tagen bereits um den königlichen Brei. Mit Canário (25, America RJ) folgte noch 1959 daher ein Außenstürmer, der “lediglich” eine qualitativ hochwertige Ergänzung darstellte und hin und wieder in der Startelf stand – wie auch im legendären Landesmeister-Endspiel 1960 gegen Eintracht Frankfurt (7:3). Den Sprung zum Star verpasste Canário.

Als eine große königliche Ära sich 1962 dem Ende neigte, sollte ausgerechnet vom FC Barcelona auch Knipser Evaristo entgegenwirken. Er kam 29-jährig für knapp drei Spielzeiten, in denen er leider häufig verletzt war und seine tollen Statistiken nicht wiederholen konnte (19 Spiele, fünf Tore). Der nächste etablierte Name, der “scheiterte”.

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Die Blancos ließen einige Zeit verstreichen, ehe sie sich wieder einen der als charakterlich speziell geltenden Brasilianer anlachten. 1991 war mit Ricardo Rocha (28, São Paulo) ein Verteidiger an der Reihe: Mit seinem Namen assoziiert man beim spanischen Rekordmeister allerdings kaum Gutes, vielmehr fielen in seine beiden Jahre in Madrid die beiden Saisonfinals, in denen Real jeweils gegen Teneriffa 1992 und 1993 noch die Meisterschaft verspielen sollte. Beide Male profitierte Barcelona, beim ersten Mal auch wegen eines Eigentores von Rocha.

Der “neue Cafú” und zwei Robertos

Kein wirklicher Treffer in diversen Dekaden – trotzdem wollten die Merengues nicht aufstecken. Mit Vitor (20, São Paulo), der 1993/94 gerade einmal drei Partien für Real bestreiten durfte, hatte man sich jedoch nicht den erhofften “neuen Cafú” geangelt. Im Jahr 1996 kam es schließlich zum großen Wendepunkt: Zé Roberto (22, Portuguesa), in jungen Jahren noch mehr auf der linken Seite als im Zentrum beheimatet, konnte sich zwar nicht durchsetzen und kehrte Real nach kurzer Zeit wieder den Rücken – er war jedoch am von Inter Mailand abgeworbenen Roberto Carlos (23) gescheitert.

Aus “RC3” (viermal Meister, dreimal CL-Sieger) wurde in elf Jahren an der Concha Espina Titelgarant und Vereinslegende – der erste brasilianische Kracher bei den Königlichen. Wohl auch, weil ihm die nötigen Chancen gegeben wurden.

Zé Roberto 1997/98 im Trikot Real Madrids – Foto: Denis Doyle/Getty Images

Flügelstürmer Sávio (23, Flamengo) konnte zwischen 1997 und 2002 nicht nur den hohen Erwartungen der Brasilianer (“neuer Zico”) nicht gerecht werden und blieb Ergänzung, Mittelfeldspieler Rodrigo Fabri (22, Flamengo) bestritt nie ein offizielles Spiel für Real. Der vielversprechende Innenverteidiger Júlio César (20, Valladolid) – nicht der Turiner/Dortmunder – wurde zwei seiner drei Jahre in Madrid verliehen.

Ein spanischer und ein Weltmeister

Im Jahr 2000 sollten die Königlichen unter Neu-Präsident Florentino Pérez dann wieder einen Treffer landen. Mit Flávio Conceição (26) vom amtierenden Meister Deportivo La Coruña kam ein von der Spielanlage zweiter Makélélé. Als solcher wurde er (seltener als der Franzose) drei Jahre lang eingesetzt, für mehr als die Rolle des regelmäßigen Ergänzungsspielers reichte es auch deshalb nicht, weil Conceição immer wieder an Verletzungen zu laborieren hatte.

Madrid, SPAIN: Real Madrid Brazilian Ronaldo jubilates after scoring during their Spanish league football match against Espanyol Barcelona at the Santiago Bernabeu stadium in Madrid, 04 february 2006. AFP PHOTO/PHILIPPE DESMAZES (Photo credit should read PHILIPPE DESMAZES/AFP/Getty Images)
Ronaldo traf in 177 Spielen 104 Mal für Real – Foto: Philippe Desmazes/AFP/Getty Images

In die erfolgreiche Zeit unter Trainer Vicente del Bosque reiht sich auch der Transfer des dritten “Galácticos” ein: Ronaldo (25, Inter Mailand). Als frisch gebackener Weltmeister schoss “Il Fenômeno” Real 2003 umgehend zur Meisterschaft, jedoch blieb dem Ausnahmestürmer auch beim Rekordsieger der Champions League der Henkelpokal verwehrt. Aus der absoluten Weltklasse verabschiedete sich “R9” schleichend bereits nach seiner Debütsaison, von Verletzungen, Verdauungsstörungen und seinem aufwendigen Lebensstil gezeichet. 104 Tore in 177 Spielen sprechen dennoch für sich.

Kurzzeitig zauberte Ronaldo noch an der Seite Robinhos (21, FC Santos). Der vermeintliche “neue Pelé” gab ein spektakuläres Debüt gegen Cádiz, war in drei Jahren bis 2008 aber stets leistungsschwankend und umstritten. Zwei Meisterschaften wurden auch von ihm eingefahren (137 Spiele, 35 Tore), das immense Potenzial jedoch nie wirklich entfaltet. 2008 verließ er Madrid in Richtung Manchester, auch zu seiner Überraschung in den himmelblauen Stadtteil. Mit zu viel Trubel im Gepäck entwickelte sich – außer Roberto Carlos – kaum ein Brasilianer bei “Glitzer-Klub” Real weiter.

Hatte in Madrid mit Alkoholproblemen zu kämpfen: Rechtsverteidiger Cicinho – Foto: Denis Doyle/Getty Images

Alkohol- und Trainerprobleme

Der trotz den Meistertiteln 2007 und 2008 eher misslungene Umbruch nach den “Galáctico”-Jahren schreibt auch das Kapitel Cicinho (25, São Paulo), der 2005 langsam aber sicher Rechtsverteidiger Míchel Salgado hätte ablösen sollen. Sein Scheitern lag vor allem an extremen Alkoholproblemen (“Ich musste bis zum Umfallen trinken.”), die er erst später einräumte und bekämpfte. Zur gleichen Zeit kam Offensivallrounder Júlio Baptista (23, FC Sevilla), der zwar seinen Clásico-Moment hatte, auf der anderen Seite aber auch verliehen wurde und nie den Durchbruch schaffte.

Auf der Durchreise war Routinier Émerson (30, Juventus), der als Stabilisator unter Fabio Capello nur ein Jahr an der Concha Espina verweilte. 2007 kam allerdings der 18-jährige Außenbahnspieler Marcelo von Fluminense, der sich dank zahlreicher Einsatzzeiten (und eigener Geduld) zum besten Linksverteidiger der Welt und bis heute zu einem der beliebtesten Madridistas schlechthin entwickelte (“Ich hab’ den sch*** Vertrag so schnell unterschrieben!”). Der Nachfolger für Roberto Carlos war gefunden!

Als Florentino Pérez 2009 mit einem großen Transfersommer zu Real Madrid zurückkehrte, führte er neben Cristiano Ronaldo auch einen anderen Weltfußballer ins Bernabéu: Kaká (27, AC Mailand) konnte seine Extraklasse auch wegen kleinerer Wehwehchen und den ihn nicht zwingend inkludierenden Plänen Manuel Pellegrinis sowie José Mourinhos zunächst nur manchmal – und am Ende fast gar nicht mehr auf den Platz bringen.

Mit dem amtierenden CL-Sieger Fabinho und dem heutigen Real-Sociedad-Stürmer Willian José durften zu Beginn der 2010er-Jahre zwei für die Castilla verpflichtete Spieler ein wenig Luft in der ersten Garde der Königlichen schnuppern, mehr nicht.

Unterschiedliche Entwicklungen nahmen etwa parallel im defensiven Mittelfeld Casemiro (21, São Paulo) und Lucas Silva (21, Cruzeiro): Während Ersterem (vierfacher CL-Sieger) auch eine produktive Leihe nach Porto half, um zum Klasse-Abräumer zu reifen, schien Letzterer weder in Madrid noch bei den Leih-Klubs Marseille und Cruzeiro das nötige Niveau an den Tag zu legen. Seinem Durchbruch stand tragischerweise auch ein angeblicher Herzfehler im Weg.

Real Madrid Trikot

Rechts ungleich links – und Chancen für die Jugend

Danilo (23, Porto) führte – konträr zu Roberto Carlos oder Marcelo auf der linken Seite – einen kleinen Rechtsverteidiger-Fluch der königlichen Brasilianer fort, zu unbeständig konnte er sich in zwei Jahren nicht gegen Dani Carvajal durchsetzen.

Womöglich auf der Suche nach dem “nächsten Neymar” holte Pérez mit Vinícius Júnior (18, Flamengo) 2018 und Rodrygo Goes (18, Santos) 2019 zwei junge brasilianische Angreifer in die spanische Hauptstadt. Nachdem “Viní” trotz Castilla-Einstand in einer miserablen Saison 2018/19 – Solaris Vertrauen sei Dank – zu Reals Durchstarter avancierte, könnte auch Rodryo zeitnah seine Chancen bekommen. Als kurzfristig dritter und langfristig leistungstragender Innenverteidiger soll zudem Éder Militão (21, Porto) das “weiße Ballett” verstärken – und eine neue erfolgreiche Mannschaft Real Madrids prägen.

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: Rodrygo hält seine Präsentation mit einem “Star-Selfie” fest – Roberto Carlos ist an der Concha Espina zu einer Institution gereift – Foto: Oscar del Pozo/AFP/Getty Images

Fazit: Je jünger, desto vielversprechender

Die wenigsten Brasilianer sind bei Real Madrid wirklich alt geworden. Über Marcelos (31) Zukunft wird wohl die kommende Saison entscheiden. Casemiro (27) ist zwar nicht gut in Form, als Spielertyp nicht zuletzt wegen des Llorente-Abgangs unverzichtbar.

Glaubt man der Historie, könnten sich die spannenden Transfers der jungen Vinícius (weiterhin), Rodrygo und Militão als vielversprechend herausstellen. Denn in Reals Geschichte waren es statt der großen Stars zumeist junge “No Names”, die sich im Bernabéu besser entwickeln und Real Madrid über mehrere Jahre prägen konnten. Mit Vizekapitän Marcelo steht das beste Beispiel noch im Kader.

Die beste Formel für königliche Brasilianer scheint seit jeher, hungrigen und unbedarften Talenten faire Chancen zu geben. Gleich dreimal können, ja müsste Trainer Zinédine Zidane versuchen. Es könnte sich einmal mehr als sinnvoller herausstellen, als die großen Namen der “Seleção” für das ganz große Geld einzutüten. Denn: Wozu einen Neymar kaufen, wenn man sich einen “eigenen” machen kann?

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von
Baumgart's Fussballblog

Baumgart's Fussballblog ist für die „wahren“ Fußballfans. Nostalgie, Hintergrundberichte und interessante Fakten. Auch hier bei REAL TOTAL!

Kommentare
Im Artikel nur als Ergänzungsspieler aufgelistet war er jedoch nicht unwesentlich daran beteiligt dass die Jahre 2007-2002 Real die Rückkehr auf den europäischen Thron beschert haben.
Ach ja Savio, was hab ich den geliebt!
 

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