
“Nach oben zu kommen”, sagte einst nicht nur Mentalitäts-Monster Oliver Kahn, “ist nicht so schwer. Oben zu bleiben, ist viel schwieriger.” So scheiterten jahrelang sensationelle Mannschaften aus Mailand, München oder Barcelona am unmöglich erscheinenden Vorhaben, die 1992/93 eingeführte Champions League zu verteidigen – bis Real Madrid es nicht nur 2017, sondern gleich auch noch 2018 tat.
Für dieses Triple der besonderen Sorte unabdingbar: Abwehrboss Sergio Ramos. Und das nicht nur wegen seiner entscheidenden Treffer. Die Stabilität, die Ramos in wichtigen Spielen fast immer garantiert, sowie sein meist cleveres Lesen und Aufbauen des königlichen Spiels führten Real ebenso zu vier Henkelpötten in fünf Jahren, wie die zahlreichen Tore von Cristiano Ronaldo.
Di Stéfanos Gegenstück baut die Serie aus
Als es den Blancos zu Beginn der Europapokal-Ära 1955/56 gelang, gleich fünfmal hintereinander den frisch aus der Taufe gehobenen Landesmeister-Cup zu gewinnen, spielte der Uruguayer José Emilio Santamaría, Sohn spanischer Eltern, eine vergleichbar entscheidende Rolle. Mit fünf im Trikot von Nacional Montevideo errungenen Meistertiteln im Gepäck wechselte der damals 28-Jährige 1957 über den Atlantik – und sorgte an der Concha Espina dafür, dass den Königsklassen 1956 und 1957 auch noch die der Jahre 1958, 1959 und 1960 folgten.
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Bis dato hatte das einmalige Offensiv-Orchester um Alfredo di Stéfano manch Mängel im königlichen Team (über-)kompensieren können. Doch die Weltklasse-Stürmer wurden älter, es machte sich speziell nach Miguel Muñoz‘ Karriereende bemerkbar, dass gegen den Ball Weltklasse-Leute fehlten. In einer Rolle zwischen Libero und klassischem Vorstopper avancierte der gelernte Offensivspieler Santamaría bei Real schnell zum gesuchten und benötigten Abwehrchef.
Jedes Jahr zehn Gegentore weniger
In 337 Spielen für die Merengues gelangen dem Blondschopf lediglich zwei Tore, im Vergleich zu “Knipser” Ramos eine spärliche Ausbeute. Dafür war der 1,84-Meter-Mann – im Angriff wirbelten schließlich zahlreiche Goalgetter – aber nicht geholt worden. Teils stoisch führte er Defensiv-Regie, ohne sich regelmäßig zu riskanten Spaziergängen hinreißen zu lassen.
In den vier Jahren zwischen Di Stéfanos Ankunft in Madrid und der von Santamaría fing sich Real (pro 30-Spiele-Liga) in etwa 36 Gegentore ein – in den acht aufeinanderfolgenden Spielzeiten, die der stets zuverlässige Santamaría vollständig bestritt, waren es nur 26! Nicht ohne Grund wurde er “die Wand” gerufen. In Santamaría fand Real den Gegenpol zum Traum-Sturm und baute die Serie im Landesmeister-Cup gerade auch deswegen auf fünf Titel aus.
Anschließend – viele Leistungsträger waren bereits weit jenseits der 30 – erwies sich der Ausnahme-Verteidiger zumindest national als personifizierter fließender Übergang: Santamaría war auch in den 1960er-Jahren beständigster Mannschaftsteil des Teams, das sich überwiegend aus Jugendspielern zusammensetzte, fünf spanische Meisterschaften in Folge feiern konnte und als Real Madrid “yé-yé” 1966 nicht nur den sechsten Henkelpott, sondern auch die Herzen der spanischen Jugend gewann.

Den WM-Titel verpasst – Länderspiele für zwei Nationen
In neun Jahren bei Real Madrid sammelte Santamaría insgesamt sechs Meisterschaften, viermal den Europapokal der Landesmeister, einmal die Copa del Rey und 1960 den uraufgeführten Weltpokal. Neben in erster Linie Di Stéfano, Ferenc Puskás und Francisco “Paco” Gento darf er dabei als wichtigster Spieler dieser großen Epoche betrachtet werden.
Auf Nationalmannschaftsebene hatte “die Wand” ein wenig Pech: Nacional wollte Santamaría 1950 – wie vom Verband gewünscht – skurrilerweise nicht als Offensivmann abstellen. Uruguay wurde ohne ihn Weltmeister. Vier Jahre später (Halbfinal-Aus gegen Ungarn) wurde er immerhin ins All-Star-Team gewählt. Nach 20 Länderspielen für Uruguay bestritt der Doppel-Staatsbürger ab 1958 zudem 16 Partien für das spanische Nationalteam. Das Vorrunden-Aus bei der WM 1962 konnte allerdings auch er nicht verhindern.
Nach seiner aktiven Karriere versuchte sich Santamaría ohne große Unterbrechung als Trainer. Zunächst als königlicher Assistenzcoach unter Ikone Miguel Muñoz, anschließend vor allem im Nachwuchsbereich der spanischen Selección. Aber auch zwischen 1971 und 1977 bei Espanyol Barcelona, das er in der Primera Division zweimal unter die ersten Vier führte.
Seine letzte Trainerstation war die spanische A-Mannschaft, mit der er bei der Heim-WM 1982 immerhin die Zwischenrunde erreichte. Daraufhin wandte sich José Santamaría anderen Dingen zu: So übernahm der siebenfache Familienvater etwa die Geschäftsleitung einer spanischen Bäckereikette. Dem Fußball blieb er lange Zeit als Kolumnist erhalten. Heute wird einer der vergessenen sportlichen Gründerväter Real Madrids stolze 90 Jahre alt – feliz cumple, crack!
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