
Nicht erst seit dem Debakel der Merengues beim FC Valencia (1:4) ist klar, Marcelo steckt in einem tiefen Loch. “In der Verteidigung kann man sich nicht auf ihn verlassen”, kritisierte bereits die MARCA nach dem Spiel in der Champions League gegen Donetsk (2:3): “Er ist Lichtjahre von dem brillanten Spieler entfernt, der er einmal war.”
Eindrucksvoll belegen das Zahlen, die Bände sprechen – gegen den 32-jährigen Routinier. Ein Beispiel? Seit 57 Spielen hält Zidane wieder das Heft des Handelns an der Seitenlinie der Königlichen in der Hand, seitdem war Marcelo in 28 Spielen mit von der Partie. In dieser Zeit feierte Real Madrid 16 Siege, trennte sich drei Mal unentschieden und musste bei neun Begegnungen als Verlierer vom Platz gehen. Damit ist Marcelo der einzige Akteur der Blancos, welcher bei allen Niederlagen in diesem Zeitraum involviert gewesen ist. Bei den 29 Paarungen ohne ihn gab es hingegen keine Niederlage, neun Unentschieden und ganze 20 Siege. Das ergibt einen Punkteschnitt pro Spiel von 2,38 ohne den Brasilianer gegenüber 1,82 Punkten mit ihm auf dem Feld.
El Real Madrid en la segunda etapa de Zidane en sus 54 partidos de La Liga:
CON MARCELO (26 partidos): 15 victorias (57.7%), 3 empates y OCHO derrotas (30.7%).
SIN MARCELO (28 partidos): 19 victorias (67.9%), 9 empates y CERO derrotas (0%). pic.twitter.com/vnOBp39Cr3
— MisterChip (Alexis) (@2010MisterChip) October 17, 2020
Flügelstürmer im Körper eines Verteidigers
Zahlen lügen nicht! Aber sie können täuschen. Leider ist es jedoch ebenso der Fall, dass neben den quantitativen Werten des Linksverteidigers, Marcelo auch in subjektiver Hinsicht seit Monaten einiges vermissen lässt. Sein Spielwitz einstiger Tage weicht immer wieder der Schlafmützigkeit, wie zum Beispiel bei seinem Foulspiel zum Elfmeter in Valencia, welcher letztlich zum 1:3 für die “Fledermäuse” führte. Auch wiederkehrende Passivität im Pressing, zu beobachten vor dem 0:1 gegen den FC Cádiz, dazu langsame Rückwärtsbewegung gegen Shakhtar werden dem stellvertretenden Kapitän zum Vorwurf gemacht. Lethargie und Trägheit begleiten Marcelo inzwischen viel zu häufig über das Feld, als dass man darüber den Mantel des Schweigens legen könnte. Sergio Ramos soll sich seinen Kollegen unlängst zur Brust genommen haben. Wenn man früher schon dem Lockenkopf die Vernachlässigung der Defensive vorwerfen mochte, beruhte das zumindest auf der Tatsache, dass er als gefühlter Flügelstürmer im Gegenzug auch die Offensive anzutreiben wusste. Diese viel gefürchteten Flankenläufe und die eigene Torgefahr nahmen allerdings zunehmend ab, während die persönliche Defensivleistung im Umkehrschluss dennoch nicht an Stabilität gewinnen konnte – eher im Gegenteil.

Schon länger ist der Mann aus Rio de Janeiro kein unangefochtener Stammspieler mehr, sein Platz wird ihm von Ferland Mendy durchaus streitig gemacht. Vielsagend auch: Mit Mendy kassieren die Blancos in LaLiga durchschnittlich nur alle 180 Minuten ein Gegentor, mit Marcelo klingelt es alle 72 Minuten!
Der Glanz vergangener Tage, wie bei seiner Sternstunde im Champions-League-Viertelfinale am 18. April 2017, als er beim 4:2-Sieg die Bayern-Defensive (unter anderem) mit einem Sololauf im Alleingang auszuhebeln wusste und damit die vielleicht beste Performance eines Außenverteidigers in der Königsklasse geliefert hatte, ist verblichen. Es bleibt die Frage nach dem “Warum”? Was ist los mit Marcelo? Und vor allem auch: Dürfen wir den alten Marcelo nochmal in Madrid erleben?
Verschleiß als Tribut oder bloße Trägheit?
Einerseits soll dem Mann, welcher in der Jugend von Fluminense am Zuckerhut ausgebildet wurde und seit November 2006 bei den Königlichen unter Vertrag steht, zugute gehalten werden, dass er die letzten beiden Spielzeiten immer wieder an diversen “Wehwehchen” – von Wadenverletzungen über Zerrungen bis hin zu Nacken- oder auch Rückenproblemen – zu laborieren hatte. Es wirkt ein wenig so, als würde der Allrounder allmählich den körperlichen Tribut für seine intensive Spielweise zahlen. In immerhin 514 Auftritten im weißen Trikot kommt Marcelo bis dato auf stattliche 38 Tore sowie 99 weitere Vorbereitungen. Zusätzliche 58 Länderspiele (sechs Treffer) für sein Heimatland bedeuten eine enorme Belastung für einen Sportler und das hinterlässt durchaus Spuren.
Der Verschleiß über die Jahre und das inzwischen fortgeschrittene Alter sind sicher relevante Faktoren für den Leistungsabfall der letzten Wochen und Monate. Verlernt hat Marcelo das Fußballspielen sicherlich nicht, denn das liegt dem charismatischen Verteidiger in seiner brasilianischen Seele. Vielleicht schlummert darin aber auch das größte Manko der Nummer 12: Fehlt dem 1,74 Meter-Mann tatsächlich (schon) die Energie für Spitzenleistungen oder hat die Bequemlichkeit in seinem Alltag Überhand genommen, wie es schon manchen seiner Landsmänner im Karriereherbst widerfahren sollte? Mit vier Champions-League-Titeln, fünf Meisterschaften und zwei Pokalsiegen hat Marcelo jedenfalls alles erreicht, was man an Trophäen einheimsen kann. Nicht nur der Körper wird müde, auch psychisch ist es nur menschlich, dass diese letzten Quäntchen für Höchstleistungen inzwischen fehlen (könnten).

In den Kopf von Marcelo kann niemand blicken und da es sich ohnehin um ein unterbewusstes Phänomen handeln dürfte, kann der Spieler selbst diese Frage nicht beantworten. Es bleibt zu hoffen, dass das Formtief nur eine Phase darstellt, aus welcher der Sympathieträger wieder einen Ausweg findet. Lange bleibt ihm dafür sicher keine Zeit. Erfolge vergangener Tage werden in Madrid zwar nicht vergessen, denn unlängst schwebt Marcelo in Sphären von Legenden wie Roberto Carlos, aber sich darauf auszuruhen wird im Dunstkreis des Bernabéu-Stadions nicht akzeptiert. Die Leistung muss stimmen für den Anspruch der absoluten Weltspitze. Wenn das nicht bald wieder der Fall sein sollte, ist spätestens nach dem Vertragsende 2022 für den Brasilianer Schluss an der Concha Espina. Mit einem Wechsel zu Juventus Turin oder Inter Mailand wurde bereits diesen Sommer (mal wieder) kokettiert, ein Tapetenwechsel wäre auch eine Option. Die Uhr von Marcelo steht also auf kurz vor 12 und wir sind gespannt, wie es weitergehen wird mit Reals Nummer 12.
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