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Der neue Sheriff in der Stadt

Mit Sheriff Tiraspol befindet sich in der Champions-League-Gruppe von Real Madrid nicht nur ein Neuling für die Blancos, auch in der Königsklasse sind die Moldauer zum ersten Mal überhaupt vertreten. REAL TOTAL hat einen Blick auf den nächsten Gruppengegner geworfen und ist dabei auf einige dubiose wie wissenswerte Hintergründe gestoßen.

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Beim ersten CL-Auftritt der Vereinsgeschichte setzte Sheriff Tiraspol (schwarze Trikots) direkt eine Duftmarke – Foto: Vitalii Kliuiev / IMAGO

Der Newcomer, die große Unbekannte oder auch einfach nur der Underdog: Egal, wie man Sheriff Tiraspol umschreiben mag, die „Wespen“ haben direkt zum Auftakt der Königsklasse gezeigt, dass man sie nicht ganz auf die leichte Schulter nehmen darf, als man mit Shakhtar Donetsk vielleicht kein Spitzenteam, jedoch zumindest einen Königsklassen-Dauergast in dessen Schranken zu verweisen vermochte. Wer aber denkt, diese Überraschung sei schon das erstaunlichste, was der Klub zu bieten hat, für den lohnt sich dann definitiv noch ein intensiverer Blick auf den Neuling.

Serienmeister im fremden Lande

Gegründet als Fotbal Club Sheriff Tiraspol, wurden die Gelb-Schwarzen erst vor weniger als einem Vierteljahrhundert, genauer im April 1997, aus der Taufe gehoben. Als Serienmeister Moldaus hatte der Klub zuvor 18 Anläufe benötigt, um schließlich in diesem Jahr erstmals die Qualifikation zur Königsklasse zu überstehen. Auf dem Weg zu diesem größten Erfolg der Vereinsgeschichte „mussten” seit 2001 schlappe 19 Meistertitel eingestrichen werden. Zehn Pokalsiege hat man nebenbei in der jungen Vereinsgeschichte bereits einheimsen können. Der Moldauer Fußball ist also Sheriff – dabei ist Sheriff eigentlich überhaupt nicht Moldau.

Denn jetzt wird es politisch: Während Tiraspol in Transnistrien liegt, einem Gebiet zwischen der Ukraine und Moldau – zuweilen auch Moldawien genannt -, schwebt man als sogenanntes „De-facto-Regime“ in einer außenpolitischen Grauzone. Klingt kompliziert, ist es auch. Denn seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion kämpft Transnistrien für seine Unabhängigkeit, vergleichbar mit der Region Donbass in der Ukraine. 1992 starben gar hunderte von Menschen bei Auseinandersetzungen zwischen moldawischen Militärs und russisch-transnistrischer Freischärler. Die Waffen ruhen zwar inzwischen, aber der Konflikt an der scharf bewachten innereuropäischen Grenze brodelt unterschwellig weiter. Während die moldawische Regierungschefin immer wieder Annäherungsversuche in Richtung EU wagt, geht die politische Tendenz der allenfalls akzeptierten, jedoch keineswegs anerkannten, separatistischen Region klar zu Putins Russland.

„Feindliche Übernahme”

Unter anderem orchestriert vom russischen Machthaber, hat man tatsächlich in Transnistrien eine eigene Regierung, Währung, Verwaltung oder auch Militär installiert, während politisch jedoch das Gebiet von keiner Nation als souveräner Staat anerkannt wird und das Gebiet deshalb de jure weiterhin zu Moldau gehört. Der Versuch des Klubs, eine eigene Liga zu gründen, erstickte bereits an der Thematik nicht vorhandener Konkurrenz in der circa 450.000 Einwohner fassenden Region, schon bevor die Eigenständigkeit Transnistriens überhaupt thematisiert werden konnte, denn auch UEFA und FIFA bewegen sich auf dem Standpunkt der verweigerten Anerkennung. Und so blieb Sheriff zwangsläufig in Moldau – genauer in der Liga “Divizia Națională” –  und brachte dort seine Dominanz auf die Straße, die „feindliche Übernahme” war eingeläutet.

In der eigenen Liga unaufhaltbar, in der Königsklasse vermeintlich der Underdog: Für das Duell mit Real schoss sich Tiraspol mit einem 7:0 warm – Foto: IMAGO / Pixsell

Doch woher rührt diese Dominanz? Die Ursache steckt kurz ausgedrückt im Namen, beziehungsweise der Möglichkeiten, welche sich durch diesen Namen ergeben. Denn Sheriff ist ein Imperium, erwachsen aus einer Sicherheitsfirma, die von den Wirren der post-sowjetischen Epoche profitierte, und im Laufe der Zeit zu einer „Krake“ mutierte, die quasi bei jedem verdienten Rubel im Land in irgendeiner Form mitkassiert. Supermarktketten, Tankstellen, Mobilfunkanbieter, Banken oder auch diverse Medien – das Unternehmen, welches sich stets dem Vorwurf mafiöser Strukturen ausgesetzt sieht, hat mit russischer Gunst in der gesamten transnistrischen Region seine Finger im Spiel und gibt sich zeitgleich öffentlich als großzügiger Gönner, unter anderem durch Geld, welches in den Sport gepumpt wird. So spielt Tiraspol in einem hochmodernen und circa 200 Millionen Dollar teuren Sportkomplex mit dem Sheriff-Stadion als Ankerpunkt, während der Rest der Liga zumeist in maroden Bunkern aus Zeiten des Kommunismus seine Heimspiele bestreitet.

„Werkself 2.0″

Sheriff, ein Unternehmen dessen Name tatsächlich daher rührt, dass zwei ehemalige Polizisten hinter dem Imperium stecken, ist dabei so viel mehr, als einfach nur ein Sponsor. Das wäre deutlich zu eng für das gefasst, was das der Mischkonzern alles bewegt: Hinter Sheriff steckt somit der hauptsächliche Geldgeber, aus dem Konzern wachsen Vorstand, Präsident und weitere Funktionäre heran, oder politische Interessenvertretungen werden zugunsten des Vereins in der Regierung integriert und parallel dazu nach belieben die Medienlandschaft beeinflusst. Dazu kommt: Die Partei „Erneuerung”, die als politischer Arm von Sheriff gilt, verfügt im transnistrischen Parlament über 29 der 33 verfügbaren Sitze – nur ein Beispiel der Leuchtkraft des Klubs. Die wirtschaftliche Wichtigkeit des Konzerns belegen eindrucksvoll die Zahlen: Zum Beispiel stammen über 50 Prozent des gesamten Staatsbudgets von Transnistrien aus Steuergeldern vom Konzern Sheriff. Gar für 60 Prozent des Bruttoinlandproduktes der Region zeichnet sich das Unternehmen verantwortlich.

Ein wahres Schmuckkästchen, vor allem in Anbetracht der Verhältnisse im Land, ist das Sheriff-Stadion von Tiraspol – Foto: Vitalii Kliuiev / IMAGO

Und so kam es über die Jahre dazu, dass nicht zuletzt aufgrund des politischen Drucks zuerst die nationale Ausländerregelung auf drängen des Klubs ad acta gelegt wurde – inzwischen befinden sich im Kader 23 Ausländer unter den 30 Akteuren – und mit einem Marktwert der Mannschaft von 13 Millionen Euro wird nahezu die halbe Summe der gesamten restlichen Liga erreicht. Tiraspol ist der Goliath im Fußball Moldaus und dreht seit 20 Jahren, befeuert durch dubiose Konzern-Machenschaften, einsam seine Runden im „fremden Land”. Alles für ein Ziel: Europa. Und wieder Paradox: Für das abtrünnige Transnistrien ist der Verein das Sprachrohr aller separatistischen Bewegungen und das Streben nach Freiheit, für Moldau wird zeitgleich der Klub als Aushängeschild für die Annäherung an die EU genutzt.

Stechende Wespen

In der Champions League kommt es für Sheriff nun unter anderem zum Aufeinandertreffen mit den Königlichen. Dort wechseln die Paradigmen wieder und der Goliath wird zu einem Underdog. Die Dimensionen, welche in Moldau für den FC Sheriff Tiraspol sprechen, sind in der Königsklasse lapidar. Die Blancos können dem Marktwert der Mannschaft aus Transnistrien mit schlappen 794 Millionen Euro entgegnen, so sollten die Fronten grundsätzlich schon geklärt sein. Doch dass die „Wespen“ auch stechen können, weiß man inzwischen nicht mehr nur in Transnistrien oder Moldau, sondern auch in der Ukraine wurde man böse überrascht. Ist Tiraspol nun für die nächste gewaltige Überraschung gut, wenn Benzema und Co. den „neuen Sheriff in der Stadt” zum Duell bitten?

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von
Christian Graber

Anhänger der Königlichen seit dem bitteren Halbfinalaus in der Champions League-Saison 2001 gegen die Bayern und seitdem Verehrer der Klubphilosophie. Spezifische Kenntnisse des Fußballmarktes in Lateinamerika und bekennender Freund der "Joga-Bonito-Kultur".

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