
Frage von Champion: Wie stark siehst du Real im Vergleich zur internationalen Konkurrenz um Liverpool, City oder Chelsea? Wie schnell wird es Real schaffen, die Lücke zu schließen beziehungsweise was muss geschehen, damit das gelingen kann (Trainer, Kader)?
Antwort David Paasche: Das ist eine gute Frage, für die ich ein wenig ausholen muss: Ich sehe die Königlichen dazu in der Lage, jeden Gegner in Europa zu besiegen. Wenn ich mir die Kaderstruktur genauer anschaue, sehe ich Mannschaften wie Manchester City, den FC Liverpool oder auch den FC Bayern in der Tiefe jedoch als besser aufgestellt.
Bei Real Madrid habe ich das Gefühl, dass die Last, entscheidende Momente zu kreieren, in großen Spielen von wenigen Spielern gestemmt wird (Benzema, Vinícius, Modrić). Mir fehlt so manches Mal der klare Ansatz, wie Torchancen herausgespielt und der Gegner bezwungen werden soll (dazu später mehr). Defensiv reicht die Qualität in meinen Augen, jede Offensive der Welt gut zu verteidigen. Das liegt zum einen an der immensen Klasse, die Thibaut Courtois seit inzwischen gut zwei Jahren abliefert. Zum anderen funktioniert das Duo Alaba-Militão hervorragend. Lediglich auf der Außenverteidigerposition fehlt derzeit die Konstanz (und eine gute zweite Lösung auf der rechten Seite). Hier würde ich mir zudem wünschen, dass Ancelotti Miguel Gutiérrez nicht komplett außen vor ließe.
Kurzum: Ich wünsche mir einen klar ersichtlicheren Plan im Offensivspiel, gezielte personelle Verstärkungen – und einen Trainer (damit meine ich nicht zwingend einen neuen Trainer), der die Einsatzminuten besser und auf die richtigen Spieler verteilt.
ageyouelkay: Denkst du, Real Madrid ist zuletzt unter den Trainern Ancelotti und Zidane spielerisch auf dem Niveau anderer Weltklubs gewesen? Warum finden wir aus dem Spiel heraus keine Lösungen, um Tore zu kreieren? Warum können wir kein Spiel dominieren, den eigenen Stempel aufdrücken und das Spiel machen, wenn der Gegner nicht einfach nur den Bus parkt? Unter Hinweis auf die Spiele gegen Elche, Athletic, PSG und Barcelona.
Diese Frage schließt nahtlos an meine vorausgegangene Argumentation an. In meinen Augen ist das größte Problem, dass das Real-Spiel in vielen Fällen auf Kontrolle im Mittelfeld angelegt ist, dabei jedoch nicht selten die Dynamik fehlt. Mit Dynamik meine ich dabei entweder das Aufbrechen statischer Situationen durch temporeiches Passspiel oder raumgreifendes Dribbling – jeweils im Übergangsspiel.
Agiert man aus einem eher statischen und kontrollierten 4-3-3, so wie es Real seit vielen Jahren praktiziert, sind die Wege, zum Torerfolg zu kommen, relativ eingeschränkt vorgezeichnet: Wie zu CR7-Zeiten sind dabei Unterschiedsspieler im offensiven Eins-gegen-Eins, wie etwa Cristiano Ronaldo, ein zentraler Schlüssel zum Erfolg. Sie können durch Dribbel- oder Laufwege Situationen aufbrechen und in unmittelbarer Tornähe Gleich- oder Überzahlsituationen herstellen. Hinzu kommt, dass offensivstarke Außenverteidiger à la Carvajal und Marcelo in deren Hochzeiten durch aktives Einschalten ins Offensivspiel (Überlaufen, Spiel über den Dritten) bei diesem Ansatz ebenfalls viel Verantwortung schultern. Im aktuellen Kader der Blancos sehe ich fast nur Vinícius, der diesen Anforderungen auf Weltklasse-Niveau entspricht.
Folglich müsste der Ansatz sein, aus dem Mittelfeld mehr Dynamik zu entfachen: Dafür sind Spieler wie Valverde (raumgreifendes Dribbling, Tiefenwege) und Camavinga (mutiges, scharfes Passspiel) Personalien, die es zu fördern gilt – natürlich in dem Bewusstsein, dass deren Spiel aktuell noch fehleranfälliger daherkommt.
Ergänzend stellen Umschaltspiel (offensiv) und Gegenpressing aufgrund der Zahlenverhältnisse auf dem Feld gute Erfolgsmöglichkeiten im 4-3-3 dar. Insbesondere in puncto Gegenpressing habe ich Real aber schon konstanter abliefern sehen. Hier könnte Ancelotti sicherlich ansetzen, wenngleich die Vielzahl an Spielen nicht in jeder Woche dieselbe Intensität erlaubt (beziehungsweise nur, wenn stärker rotiert wird).
Portillo: Bevorzugst du einen vermeintlichen Top-Trainer mit Erfahrung als (möglichen) Nachfolger von Ancelotti oder einen jungen unverbrauchten Trainer, der dann natürlich auch etwas mehr Zeit bekommen muss – oder würdest du Ancelotti seinen Vertrag (bis 2024) erfüllen lassen?
Tatsächlich gehe ich davon aus, dass Ancelotti seinen Vertrag erfüllt. Zumindest dann, wenn der Ligatitel eingefahren werden sollte. Grundsätzlich bin ich jungen Trainern gegenüber nicht abgeneigt – ich würde mir sowohl Raúl als auch Xabi Alonso eines Tages an der Seitenlinie wünschen. Ich bin jedoch der Meinung, dass ein Real-Trainer nicht nur top-ausgebildet sein sollte, sondern zudem bereits drei oder vier Jahre Erfahrung gesammelt haben sollte. Warum? Ganz einfach: Neben der Spielidee und der fachlichen Kompetenz, die junge Trainer wie ein Nagelsmann zu Hoffenheim-Zeiten ohne Frage bereits mitbringen, sehe ich eine gereifte Persönlichkeit als essenziell an. Denn abgesehen von der Vermittlung von Inhalten sehe ich die Fähigkeit, als Moderator zu agieren und Schwingungen innerhalb eines Teams wahrzunehmen, als unterschätzte Kompetenz.
Aber ja: Ich würde mir wünschen, dass man einem jungen Trainer, der sich im Optimalfall stark mit dem Madridismo identifiziert, als ernsthafte Alternative in Betracht zieht. Dafür sollte man sich aber im Klaren sein, welche Idee von Fußball der Wunschtrainer verkörpert – und dass die Implementierung einer Spielidee einige Monate dauern kann und zu einem gewissen Grad auch vom Personal abhängig ist.
Dave88: Welche Kritische Frage würdest du Carlo Ancelotti gerne stellen – und warum?
Tatsächlich stellen sich mir zwei Fragen: Und zwar frage ich mich schon länger, warum der Weltklassetrainer so sehr an einer auf Spielkontrolle ausgerichteten Statik festhält. Ich habe das Gefühl, dass insbesondere über die Außenverteidigerpositionen und aus dem Mittelfeldzentrum wenig Dynamik entfacht wird. Was die Außenverteidigerposition betrifft, liegt das bezüglich der rechten Seite sicher primär daran, dass Carvajal weit von seiner Top-Form entfernt ist und es keine wirkliche Alternative gibt (Vázquez sehe ich nicht als kreierenden Außenverteidiger). Auf der linken Seite würde ich mir jedoch wünschen, dass jemand wie Miguel Einsatzminuten bekommt.
Im Mittelfeld schließe ich mich der Debatte an, die einen Aufbruch von „MCK“ fordert. Sicherlich sind Modrić, Casemiro und Kroos allesamt Weltklasse-Spieler. Ich bin jedoch der Meinung, dass zumindest ein Spieler in diesem Dreiergespann mit mehr Lauf- oder Passtempo die Tiefe attackieren sollte, um in Tornähe deutlich mehr dynamische Möglichkeiten zu schaffen.
Daran anknüpfend stellt sich mir die Frage, warum Spieler wie Miguel und Blanco durchgehend ignoriert werden. In meinen Augen verpasst Ancelotti die Möglichkeit, potenzielle Identifikationsfiguren zu entwickeln.
Macmart, AmadoRM: Wie gut funktioniert der Umbruch bei Real deiner Meinung nach? Wer sollte den Verein verlassen, wer sollte kommen, für wen braucht man noch einen guten Nachfolger – und für wen hat man ihn schon gefunden? Woran liegt es, dass Real Madrid junge talentierte Eigengewächse (Hakimi, Reguilón, Llorente) ziehen lässt, obwohl wir Handlungsbedarf haben?
In meinen Augen sollten sich die Merengues zunächst einmal von einigen Spielern trennen, die wenig oder kaum Einsatzzeiten erhalten. Dabei denke ich vor allem an Spieler wie Mariano, Jović oder (den von mir verehrten) Isco.
Aufgrund der Tatsache, dass mir Spieler fehlen, die ein offensives Eins-gegen-Eins (in den Halbpositionen oder am Flügel) auflösen können, plädiere ich unbedingt für eine Mbappé-Verpflichtung. Zudem sehe ich Bedarf im Sturmzentrum und auf der rechten Außenverteidigerposition.
Eine weitere Baustelle, das zentrale Mittelfeld, kann und muss durch bereits vorhandenes Personal umstrukturiert werden. Hier fordere ich mehr Spielzeit für Valverde, Camavinga und Blanco. Das bedeutet nicht, dass Kroos, Modrić und Casemiro zu Bankdrückern werden sollen. Vielmehr bin ich der Ansicht, dass sich die Spielanteile verschieben und wir seltener die Statik des „MCK“-Mittelfelds sehen sollten, auch wenn die gewonnene Dynamik mit sinkender Spielkontrolle und höherer Pressinganfälligkeit bezahlt werden würde.
Dass junge Eigengewächse wie Llorente, Reguilón oder Hakimi den Verein verlassen haben, hat nach meinem Verständnis verschiedene Gründe. Zum einen haben die jeweiligen Trainer auf den betreffenden Positionen auf andere Spieler gesetzt. Zum anderen ist der finanzielle Aspekt nicht zu unterschätzen. So ist auch Real Madrid darauf angewiesen, teure Transfers wie jenen von Eden Hazard zu refinanzieren – speziell in Corona-Zeiten. Unter dem Strich waren dies strategisch sicherlich die falschen Entscheidungen, aber in einer Welt ohne Corona wäre zumindest Hakimi noch da und er wird auch in in paar Jahren zurückkehren.
Olifaber, Peter 89, Modrić fan, ivanrealmadrid, lukaelgendo22: Stichwort Personalien: Glaubst du, dass sowohl Mbappé als auch Haaland verpflichtet werden? Würden die beiden zusammen funktionieren? Und: Besteht Handlungsbedarf in der Defensive? Wäre es in diesem Zusammenhang sinnvoll, Hakimi zurückzuholen?
Wir bei REAL TOTAL wissen, dass längst das Wichtigste geklärt ist, und Mbappé im Sommer 2022 kommen wird, davon bin ich auch überzeugt. Einerseits braucht Real Madrid aus den zuvor dargelegten sportlichen Gründen einen solchen Unterschiedsspieler wie den Franzosen. Andererseits würde eine Mbappé-Verpflichtung in puncto Steigerung des Markenwerts und des Images eine wichtige Rolle spielen. Zwar mag Mbappés Marketing-Potenzial unter dem von CR7 liegen – ich sehe jedoch keinen anderen Spieler im Weltfußball, der so gut zur Marke Real Madrid passt wie Mbappé (wenngleich ich Real explizit als Verein und nicht als Marke begreife).
Bei Haaland bin ich mir hingegen weniger sicher: Zum einen stellt sich die Frage, ob der Norweger tatsächlich den Konkurrenzkampf mit Benzema annehmen will (sollten sich nicht grundsätzliche Systemänderungen ergeben, was ich nicht glaube). Zum anderen kann ich mir Haaland, nicht zuletzt aufgrund seines physischen Spiels, auch sehr gut im City-Trikot vorstellen. Dennoch bin ich der Meinung: Wenn der 21-Jährige nach Madrid wechselt, dann am ehesten in diesem Sommer. Für mich stellt Real zudem das attraktivere Ziel dar als Manchester City.
Noch positiver bin ich im Fall Hakimi eingestellt: Auch wenn ich nicht unbedingt im kommenden Sommer mit einer Rückkehr rechne, gehe ich inzwischen schon davon aus, dass der Rechtsverteidiger in nicht allzu ferner Zukunft den Weg zurück an die Concha Espina finden wird. Das liegt nicht nur daran, dass PSG sportlich wieder einmal hinter den hohen Erwartungen zurückbleibt. Vielmehr sehe ich Hakimi als Fußballer und Mensch als gereift und bereit an, in Carvajals Fußstapfen zu treten – auch wenn ich das noch vor einem Jahr nicht für realistisch gehalten hätte.
Im Abwehrzentrum sehe ich die Blancos mit Alaba, Militão und Nacho gut aufgestellt. Einen Spieler à la Pau Torres zu verpflichten, sehe ich zurzeit nicht als zwingend notwendig an. Nicht zuletzt, weil das zu Unzufriedenheit aufgrund von geringeren Spielanteilen führen könnte.
Florentino Pérez: Wie sehr haben wir Xavi zu Beginn seiner Amtsübernahme unterschätzt oder wie lässt sich erklären, dass er Barça so schnell wieder zu einer Top-Mannschaft geformt hat?
Ich persönlich habe Xavis Weg als Trainer vor seinem Engagement in Barcelona weniger aufmerksam verfolgt. Dass er Barça so schnell wieder in Richtung Tabellenspitze würde entwickeln können, hat vermutlich kaum jemand rund um das Bernabéu erwartet. Seine an Guardiola angelehnte (wenn auch im Spielvortrag etwas direktere) Spielidee sowie die gezielten Verstärkungen im Winter heben Barcelonas Spiel allerdings ganz klar auf ein anderes Level.
Im Unterschied zu seinen Vorgängern ist die Barça-Legende zudem ein Trainer, der seine Vision von Fußball (Ballbesitz, viele Tiefenanspielmöglichkeiten, viele Rochaden, mutige Kontersicherung, hohes Pressing) rigoros und ohne festzustellende Zweifel umsetzt. Dass die Spieler ihm aufgrund seiner Persönlichkeit folgen, spielt sicherlich ebenfalls eine große Rolle.
Santana80: Wie beurteilst du die Entwicklung seit dem letzten CL-Gewinn (2018)?
Dass nach einer nie dagewesenen Ära von vier Champions-League-Titeln in fünf Jahren eine Delle einsetzt, ist für meine Begriffe völlig normal. Ich persönlich bin zufrieden, dass Real national um Titel mitgespielt hat (wenngleich in der Vorsaison auch durchaus die Meisterschaft möglich gewesen wäre) und in der Königsklasse zumindest in der Vorsaison gut performt hat.
Ich hätte mir, wie bereits angedeutet, jedoch klarere Schritte in Richtung eines personellen Umbruchs gewünscht. Damit meine ich im Übrigen nicht eine mögliche Mbappé-Verpflichtung, die im vergangenen Sommer aufgrund der pandemiebedingten Einbußen vermutlich risikobehaftet gewesen wäre. Vielmehr hätte ich mir gewünscht, die Einsatzzeiten mehr in Richtung junger Talente zu verschieben. Denn: Nur wer Einsatzminuten erhält, kann weiter reifen.
Kroos Artist: Ich stelle bei der Aufstellung immer mehr fest, dass Real Madrid kaum mehr Spanier in der Startelf hat. (…) Natürlich sollte der Anspruch Reals sein, die besten Spieler in seinen Reihen zu haben. Dennoch ist es in gewisser Hinsicht schade, dass eine spanische Mannschaft teilweise ohne Spanier aufläuft. Wie wird dieser Fakt in Spanien generell angesehen beziehungsweise wie beurteilen es die Spanier, kaum bis keine Spanier in der Startelf (der Blancos) zu sehen?
Ich muss sagen, dass ich mich auch immer sehr freue, wenn möglichst viele Spanier auflaufen. Das Selbstverständnis von Real Madrid beinhaltet aber in erster Linie, dass die besten Spieler der Welt im Bernabéu auflaufen. Das müssen nicht unbedingt Spanier sein.
Deutlich wichtiger ist der königlichen Fan-Base in Spanien jedoch, dass möglichst viele Canteranos den Sprung in die erste Mannschaft packen. Dahingehend sind Personalien wie Hakimi oder Miguel negative Beispiele, da beide dem aktuellen Team sicherlich guttäten.
Wheeler: Wann denkst du wird das Bernabéu fertig? Verlaufen die Baumaßnahmen plangemäß? Wird es eine weiter Kostenexplosion geben? Und: Kommen kurzfristig Spieler aus der Ukraine bei Real „unter“ oder ist da nichts dergleichen geplant?
Ich bin davon überzeugt, dass Bau-Experte Forentino Pérez und Co. ziemlich genau wissen, was sie tun. Sicher: Dass der Umbau 225 Millionen Euro teurer sein würde als erwartet, ist nicht optimal. 96,7 Prozent der „Socios representantes“ stimmten der Krediterhöhung des 800-Millionen-Euro-Projektes während der Jahreshauptversammlung 2021 allerdings zu, was den Rückhalt des Umbaus im Madridismo unterstreicht. Ich gehe davon aus, dass Ende 2022/Anfang 2023 zumindest die Maßnahmen im und am Stadion selbst erledigt sein werden. Feinarbeiten rund um das Stadion werden sicherlich erst im Frühjahr 2023 abgeschlossen sein, wie die MARCA jüngst berichtete.
Was ukrainische Spieler bei Real betrifft, gehe ich davon aus, dass neben Lunin kein weiterer Spieler verpflichtet wird. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass es im Sinne der Werte des Klubs weitere Benefizaktionen geben wird.
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