
Klopp: Militãos Treffer spielentscheidend
47. Minute im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League zwischen dem FC Liverpool und Real Madrid. Luka Modrić schreitet in seitlicher linker Position zum Freistoß und bringt den Ball scharf und ansatzlos in Richtung Fünfmeterraum. Dort findet er den eingelaufenen und völlig blank stehenden Éder Militão, der sich nicht zweimal bitten lässt und humorlos einnickt. 3:2 für die Blancos. In Anfield. Nach 0:2-Rückstand. Spiel gedreht. Am Ende steht ein furioses 5:2 zu Buche. Der höchste Auswärtssieg an der Merseyside in einem europäischen Wettbewerb jemals. Die Königlichen haben ihrem Namen mal wieder alle Ehre gemacht und für eine weitere denkwürdige europäische Nacht, inklusive fast typischer Remontada, gesorgt.
Für „Reds“-Trainer Jürgen Klopp die mit spielentscheidende Szene in dieser Begegnung: Militãos Treffer zum 3:2 kurz nach Wiederanpfiff. „Es kann nicht sein, dass jemand so viel Platz hat. Das hilft dir dann gegen ein Team nicht, das einfach außergewöhnlich ist. Wir haben ihnen in die Karten gespielt“, kritisierte der 55-Jährige seine Mannen scharf. Zugegeben: So sträflich frei zum Kopfball kommend, hätte dort vermutlich nahezu jeder Real-Akteur den Ball eingenickt. Dass diesen Treffer dennoch ausgerechnet der brasilianische Innenverteidiger erzielt – schon sein fünftes Saisontor –, ist aber durchaus bezeichnend für dessen Entwicklung in den letzten Monaten und seinen mittlerweile erlangten Status im Team: Militão ist immer dann zur Stelle, wenn ihn sein Team am meisten braucht. Der 1,86 Meter Mann strahlt unfassbares Selbstbewusstsein und eine gesunde Arroganz aus, die Gewinnermentalität steht ihm aktuell buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Der Treffer kurz nach der Pause war auch ein Statement: Wir sind zurück und für euch gibt es hier heute nichts mehr zu holen. Und wer Reals Nummer 3 beim Torjubel in die Augen blickte, der wusste, dass es so war.
Militão macht den nächsten Schritt
Bei seiner Verpflichtung vom FC Porto in 2019 wurde Militão zwar enormes Potential nachgesagt, bisweilen aber ebenso der Ruf des Bruder Leichtfußes. Und so gestaltete sich die Anfangszeit der Brasilianers in der spanischen Hauptstadt auch äußerst wechselhaft: Starke Auftritte, in denen er sein Können aufblitzen ließ, wechselten sich regelmäßig mit schwächeren Leistungen ab. Da die Konkurrenz zu jenem Zeitpunkt zudem noch auf die Namen Sergio Ramos und Raphaël Varane hörte, musste der damals 21-Jährige auch noch öfters mit einem Bankplatz Vorlieb nehmen. Spätestens mit dem Abgang der beiden Innenverteidiger-Granden im Sommer 2021 sollte sich das aber ändern. Wenngleich durchaus von einigen Zweifeln begleitet, mauserte sich der brasilianische Nationalspieler an der Seite des erfahrenen David Alaba zum unverzichtbaren Stammspieler und war eines der Gesichter des europäischen königlichen Siegeszugs der vergangenen Saison.
Das Erfreuliche: Militão schaffte es in dieser Saison nach einem schwächeren Start diese Leistungen zu konservieren und sein Niveau sogar noch einmal anzuheben. Zudem überzeugt er dieses Jahr auch merklich mit Führungsqualitäten und schwingt sich nach und nach zum neuen Abwehrboss auf, auch weil Alaba in dieser Spielzeit des Öfteren mit Verletzungsproblemen zu kämpfen hat beziehungsweise links hinten aushelfen musste. Tatsächlich erinnert der 25-Jährige in seiner Spielweise mehr und mehr an einen Ex-Blanco, zu dessen Nachfolger er schon während seiner Zeit beim FC Porto auserkoren wurde: Niemand Geringeres als Pepe Képler Lima. So zeichnet sich Militão, ähnlich wie einst der Portugiese, dabei durch seine enorme Aggressivität, seine immense Kopfballstärke und seine Fähigkeit, Eins-gegen-Eins-Situationen auch über große Distanzen in einer hohen Linie verteidigen zu können, aus. Hinzu kommen eine gute Spieleröffnung und die Offensivkopfballstärke, die sich jedoch noch zu selten in Toren niederschlägt. Ein ziemlich starkes und komplettes Paket für einen Innenverteidiger. So sagte Carlo Ancelotti zuletzt nicht umsonst: „Er spielt sehr gut, hat auch noch Verbesserungspotential. Ich stimme dem zu, dass er einer der Besten der Welt ist. Er hat alles, ist zweifellos einer der Besten.“
Um zu den besten der Welt der zu gehören, bedarf es aber auch einer entsprechenden Persönlichkeit. Und auch hier ist beim Brasilianer eine deutliche Entwicklung erkennbar. Während des Spiels agiert er ohnehin immer lautstark, dirigiert seine Vorderleute und bejubelt auch mal eine erfolgreiche Abwehraktion gestenreich. Vor allem aber setzt er sich für seine Kollegen ein und ist sich keineswegs zu Schade – in bester Ramos- und Pepe-Manier – auch mal eine Rudelbildung auszulösen. So geigte er Valencias Gabriel Paulista nach dessen mit Rot geahndetem Einsteigen gegen Vinícius Júnior ordentlich die Meinung und verteidigte seinen Landsmann vehement gegen die Aggressionen der Valencianos. So wie man es von einem Leader eben erwartet.
Militão kann eine Ära prägen
Das Beste an Militãos rasanter Entwicklung aus Real-Sicht: Das Ende der Fahnenstange scheint noch längst nicht erreicht. Mit 25 Jahren ist der Brasilianer für einen Innenverteidiger noch immer vergleichsweise jung, wenngleich es natürlich enormer Arbeit im athletischen Bereich bedarf, um die körperlichen Attribute, die ihn aktuell auszeichnen, auf diesem Level zu halten. Schafft er es nun vor allem, seine sich immer mal wieder einschleichenden Leichtsinnsfehler zu minimieren und die phasenweise auftretenden Unzulänglichkeiten in der Strafraumverteidigung abzustellen, ist der finale Schritt in das alleroberste Regal nicht mehr allzu fern. Konstanz lautet das Schlüsselwort für die kommenden Monate und Jahre. Dann könnte dieser Militão die nächste Defensiv-Ära bei den Königlichen prägen. So wie es ein gewisser Portugiese schon einmal getan hat.
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