
Es gab schon viele Rassismus-Eklats in LaLiga. Nicht nur um Vinícius Júnior. Nicht nur in dieser Saison. Aber nach dem insgesamt zehnten Fall mit Vinícius als Opfer – acht davon in der laufenden Spielzeit – scheint es ein davor und danach zu geben. Und Real Madrid wird nicht nur aktiv, der Verein geht auch in die Offensive. Hatte sich der spanische Rekordmeister in den letzten Wochen und Monaten bei derartigen Zwischenfällen bedeckt gehalten und für den Geschmack des einen oder anderen Fans zu wenig Vinícius‘ Rücken gestärkt, so hat die königliche Neutralität seit dem Montag ein Ende. So folgte nach der Pressemitteilung am Montagmittag (dabei wurde unter anderem mitgeteilt, Anzeige zu erstatten) am frühen Abend eine weitere Pressemitteilung, in der die Blancos zu verschiedenen Reaktionen – mal erfreuliche, mal eher unerfreuliche – Stellung beziehen. Das zweite, über 500 Wörter umfassende Kommuniqué im Wortlaut:
Real bedankt sich bei Infantino, Lula und anderen
Real Madrid bedankt sich für die zahlreichen Sympathie- und Solidaritätsbekundungen sowie für die Unterstützung, die wir aus der ganzen Welt für unseren Spieler Vinicius Júnior erhalten haben.
Hass und Rassismus müssen in unserer Gesellschaft für immer ausgerottet werden. Dies haben Persönlichkeiten aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens sowie aus verschiedenen nationalen und internationalen Institutionen nach den gestrigen Ereignissen im Estadio Mestalla zum Ausdruck gebracht.
Unser Verein dankt der höchsten Autorität im Weltfußball, FIFA-Präsident Gianni Infantino, der erklärt hat, dass Spiele, bei denen solche Hassverbrechen begangen werden, gestoppt und abgebrochen werden müssen.
Unser Dank gilt auch dem brasilianischen Präsidenten Lula da Silva, der ernsthafte Maßnahmen zur Bekämpfung dieses Problems fordert, dessen Opfer, wie er sagte, „ein junger Mann ist, der es im Leben zu etwas gebracht hat und einer der besten Fußballer der Welt wird“.
Auch seine Mannschaftskameraden haben sich mit Vinicius solidarisiert und ihn unterstützt, sowohl bei Real Madrid als auch in anderen Mannschaften auf der ganzen Welt. Legenden, Spieler und Trainer, einige von ihnen so bedeutend auf der internationalen Bühne wie Ronaldo Nazario, Kylian Mbappé, Rio Ferdinand, Neymar, Kaká, Jadon Sancho, Gary Lineker, Roberto Carlos oder Casemiro, unter Dutzenden von anderen Persönlichkeiten des Weltfußballs.
Die unglücklichen Ereignisse, die sich ereignet haben, haben die ganze Welt bewegt und unseren Fußball in Verruf gebracht, da sie in den großen internationalen Medien aufgegriffen und verurteilt wurden. Die Washington Post und die L’ÉQUIPE, um nur einige emblematische Beispiele zu nennen, haben das schwerwiegende Problem des spanischen Fußballs auf sehr eindringliche Weise hervorgehoben.
Und schließlich sind wir über die Äußerungen des Präsidenten des spanischen Fußballverbands, Luis Rubiales, erstaunt, denn als Verantwortlicher des spanischen Fußballs und des Schiedsrichterwesens hat er zugelassen, dass gemäß den FIFA-Protokollen keine strengen Maßnahmen ergriffen wurden, um die entstandene Situation zu vermeiden. Das Image unseres Fußballs ist schwer beschädigt und hat sich in den Augen der ganzen Welt verschlechtert.
Die Passivität hat zur Hilflosigkeit und Wehrlosigkeit unseres Spielers Vinicius beigetragen. Die Schiedsrichter sind weit davon entfernt, entschlossen zu handeln und die vorgeschriebenen Protokolle anzuwenden, und haben sich in den meisten Fällen dafür entschieden, sich selbst zurückzuhalten und die Entscheidungen zu vermeiden, die sie zu treffen hätten. Gestern haben sich der Schiedsrichter und die Verantwortlichen für den VAR ihrer Verantwortung entzogen und unfaire Entscheidungen auf der Grundlage unvollständiger Bilder getroffen, die nicht in ihrer Gesamtheit gesehen wurden, die voreingenommen waren und die zum direkten Platzverweis unseres Spielers Vinicius Júnior führten.
Bedauerlicherweise werden die gestrigen Ereignisse und die Art und Weise, wie sie von den Schiedsrichtern und dem VAR gehandhabt wurden, nicht als Einzelfall betrachtet, sondern als etwas, das sich in vielen unserer Spiele wiederholt hat. Das Opfer, das das Verbrechen erleidet, kann niemals dafür verantwortlich gemacht werden.
Aus all diesen Gründen sind wir äußerst besorgt darüber, dass der spanische Fußballverband in all dieser Zeit keine Maßnahmen ergriffen hat, obwohl es offensichtliche und wiederholte Warnzeichen gab, die wir von unserem Verein aus seit langem anprangern.
Real Madrid hofft, dass angesichts der Ernsthaftigkeit der gegenwärtigen Situation und des Image, das der spanische Fußball in der Welt abgibt, alle Verantwortlichen und Zuständigen sofortige und entschlossene Maßnahmen ergreifen, um Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Hass zu bekämpfen. Unser Verein wird sich weiterhin dafür einsetzen, dass die Werte, die unserer Geschichte zugrunde liegen, auch in Zukunft ein Vorbild für Koexistenz und Vorbildlichkeit sind.
Real greift Rubiales an, der giftet gegen Tebas
Interessant: Real Madrid redet von „Hilflosigkeit und Wehrlosigkeit“ und greift dabei primär nicht Liga-Chef Javier Tebas an, sondern Verbandspräsident Luis Rubiales. Dazu kommt der Vorwurf, dass sich Verfehlungen des Schiedsrichter- und VAR-Teams wiederholen – diese stehen der RFEF unter, also Rubiales, nicht Tebas‘ LFP. Während Tebas oft via Social Media auffällt, unter anderem in denen er kritische Tweets ihm und seiner Liga gegenüber kontert – so auch im aktuellen Fall mit Vinícius – hat Rubiales am Montagmorgen eine Pressekonferenz einberufen. „Wir haben schwerwiegende Probleme“, attestierte der 45-Jährige dem spanischen Fußball beim Thema Diskriminierung und griff dabei – mal wieder – Tebas an: „Ich möchte Sie (die Zuschauenden; d. Red.) bitten, das unverantwortliche Verhalten des LaLiga-Präsidenten zu ignorieren.“ Tebas und Rubiales liefern sich seit Jahren einen öffentlichen Streit unter anderem über die unterschiedlichen Zuständigkeiten und sind sich längst spinnefeind. Auch hier riecht es stark nach gegenseitigem Schuldzuschieben, auch wenn Real Madrid selbst die Verantwortlichkeit primär bei der RFEF sieht, da sie über Schiedsrichter und VAR entscheidet. Wie groß die Hoffnung auf „sofortige und entschlossene Maßnahmen“ ausfällt, bleibt abzuwarten – der öffentliche Druck in der Fußballwelt könnte aktuell zwar kaum größer sein, das gilt aber auch für die Uneinigkeiten bei den Verbänden, jahrelange Versäumnisse und generell eine oft toxische Medienlandschaft – die mittlerweile längst eskalierte Rassismus-Debatte lässt sich mehr oder weniger auch auf eine Folge von EL CHIRINGUITO zurückführen und viele nicht nur in dieser Show beheimatete Meinungsmacher und Populisten, die den 22-jährigen Brasilianer Woche für Woche als Täter statt als Opfer darzustellen versuchen.
Vinícius: „Pressemitteilungen funktionieren nicht mehr“
Vinícius selbst bleibt ebenfalls aktiv und hat mittlerweile auf seinem Instagram-Kanal einen Zusammenschnitt aus den letzten beiden Saisons geteilt, bei denen er in spanischen Stadien rassistisch beleidigt wurde. „Wie weit noch?“, endet das Video nach den berühmten Bildern vor dem Copa-Derby mit der an einer Brücke hängenden Vinícius-Gummipuppe. „Rassismus ist ein Verbrechen. Ihn nicht zu bestrafen macht einen zum Mittäter“, beendet Vinícius das Video. Im Post schreibt er dazu: „Jedes Auswärtsspiel ist eine unangenehme Überraschung. Und davon gab es in dieser Saison viele. Todeswünsche, eine hängende Puppe, viele kriminelle Schreie… Alles aufgezeichnet. Aber der Diskurs fällt immer auf ‚Einzelfälle‘, ‚ein Fan‘. Nein, es sind keine Einzelfälle. Es handelt sich um kontinuierliche Episoden, die sich über mehrere Städte in Spanien (und sogar in einer Fernsehsendung) erstrecken. Die Beweise dafür sind in dem Video zu sehen. Nun frage ich Sie: Wie viele dieser Rassisten hatten ihre Namen und Bilder auf Websites veröffentlicht? Ich antworte, um es einfacher zu machen: null. Keiner, der eine traurige Geschichte erzählt oder sich öffentlich entschuldigt. Was fehlt noch, um diese Leute zu kriminalisieren? Und die Vereine sportlich zu bestrafen? Warum klagen die Sponsoren LaLiga nicht an? Stört es die Fernsehsender nicht, diese Barbarei jedes Wochenende zu übertragen? Das Problem ist sehr ernst und Pressemitteilungen funktionieren nicht mehr. Mich zu beschuldigen, um kriminelle Handlungen zu rechtfertigen, funktioniert auch nicht. Das ist kein Fußball, das ist unmenschlich.“
Community-Beiträge