Special

Talente statt Galácticos: Wie sich Real Madrids Transferstrategie geändert hat

Nach einigen sparsamen Jahren hat Real Madrid im Sommer mal wieder Geld in die Hand genommen und schreibt bisher rote Zahlen. Dieses Minus stellt mittlerweile jedoch eine Ausnahme dar, denn aufgrund der immer weiter wachsenden Konkurrenz mussten die Königlichen ihre Transferstrategie längst anpassen. Kleckern statt klotzen, Talente statt Galácticos. Und trotzdem hat man damit mehr Erfolg als andere Champions-League-Sieger der letzten Jahre.

2.4k
vinicius bellingham güler rodrygo
Vinícius, Bellingham, Güler und Rodrygo waren nicht die einzigen Talente, die in den letzten Jahren nach Madrid kamen – Fotos: realmadrid.com

Das Streben nach einem großen Stadion, um Geld einzunehmen, um sich die besten Spieler der Welt leisten zu können? Diesen Wunsch hatte einst ein Mann namens Santiago Bernabéu. Es war der Traum, der zum Fundament der königlichen Philosophie heranwuchs und der das Verhalten am Transfermarkt seit jeher prägte. Die königliche Erfolgsgeschichte beruht auf diesem Ansatz. Und auch heute noch ist die Zeit vor dem Saisonstart für Fußballfans aufreibend, wenn es um die Verpflichtung neuer Stars geht. Überall kursieren Gerüchte und je namhafter die beteiligten Klubs sind, desto spannender ist der Ausgang der Verhandlungen und umso größer werden die Summen, die im Raum stehen. Signifikant steigende Ausgaben haben den Fußball-Markt sicher aufgeheizt, spätestens seitdem Cristiano Ronaldo seinen Wechsel nach Saudi-Arabien vollzogen hat, mischen sogar ganz neue, bisher unbekannte Akteure im Poker um die besten Spieler mit und nichts scheint mehr unmöglich zu sein. Da heißt es für die Manager der Spitzenklubs kühlen Kopf zu bewahren und nicht jedem Kaufrausch zu verfallen. Doch ist der Ruf einer kaufwütigen Maschinerie bei Real Madrid tatsächlich überhaupt noch gerechtfertigt? Holt sich Real echt nur wahllos Spieler aus aller Welt? Oder gibt es ganz andere Klubs, die schamlos mit Geld um sich werfen?

Ein Youngster, ein Top-Transfer und weitere Fragezeichen

Neben Jude Bellingham fanden diesen Sommer bereits Arda Güler (20 Millionen Euro) und Fran García (5 Mio.) ihre Wege an die Concha Espina, Joselu wurde von Espanyol gegen eine eher bescheidene Gebühr ausgeliehen. Auch wenn das Sommer-Transferfenster noch nicht geschlossen ist, stehen vorerst in dieser Periode rund 128 rote Millionen Euro, da auf der Einnahmenseite bisher noch nichts passiert ist. Karim Benzema, Marco Asensio und Mariano Díaz hatten Madrid jeweils ablösefrei verlassen, Jesús Vallejo wurde erneut verliehen und beim wandelnden Missverständnis” Eden Hazard erfolgte eine einvernehmliche Vertragsauflösung. Das brachte zwar keine Erlöse auf dem Transfermarkt, aber zumindest muss das horrende Gehalt nicht weiter beglichen werden. Und wer weiß? Womöglich ergibt sich ja auch noch ein Verkauf, mit dem man bisher noch nicht gerechnet hatte. Gänzlich ohne Transfereinnahmen haben die Blancos in der jüngeren Vereinsgeschichte jedenfalls noch keinen Sommer beendet.

Eden Hazard Real Madrid
Mit 115 Millionen Euro Ablösesumme war Eden Hazard nicht nur der teuerste Transfer in der Vereinsgeschichte, für viele gilt er auch als der größte Flop – Foto: Thomas Coex/AFP via Getty Images

Solide Transferpolitik, entgegen aller Vorurteile

Das momentane Transferminus ist allerdings in diesen Zeiten der teils abstrusen Ablösesummen für Real Madrid nicht mehr derart typisch, wie sich das der eine oder andere Beobachter vielleicht denken mag. Während momentan viele Klubs, subventioniert von Scheich-Millionen oder anderen Mäzenen, nur so mit Geld um sich werfen, hatten die Blancos sowohl 2022/23 (12 Millionen Euro), als auch 2021/22 (47 Mio.) und 2020/21 (104 Mio.) Überschüsse am Transfermarkt erzielt. Zum Vergleich: In der Saison 2022/23 alleine kam Chelsea auf Transferausgaben von satten 611 Millionen Euro, welchen lediglich Einnahmen von 68 Millionen Euro gegenüberstanden. Das Financial Fairplay lässt grüßen und die Londoner sind mit diesen Kennzahlen das absolute Non-Plus-Ultra, was innerhalb eines Jahres je investiert wurde. Aus königlicher Sicht war im vergangenen Transfersommer Aurélien Tchouaméni mit 80 Millionen Euro zwar ebenso kein günstiger, aber immerhin der einzige Neuzugang für den Geldmittel flossen. Zudem Ausgaben, die durch Transfers wie von Casemiro (70 Mio.), Borja Mayoral (10 Mio.) oder auch Takefusa Kubo (6,5 Mio.) bereits mehr als gedeckelt waren.

Das Jahr zuvor blieb man mit der Verpflichtung von Eduardo Camavinga für 31 Millionen von Stade Rennes noch viel sparsamer. Ein weiterer Top-Transfer, von David Alaba ist die Rede, ging gar ablösefrei über die Bühne. Erlöse für Raphael Varane (40 Mio.), Martin Ødegaard (35 Mio.) und die Leihgebühr von drei Millionen Euro für Brahim Díaz sorgten auch 2021/22 für die schwarzen Zahlen. Noch ein Jahr früher konnten die Königlichen gleich dreistellige Millionengewinne verkünden, in dem Corona-bedingt schlichtweg überhaupt nichts ausgegeben wurde, aber aufgrund der Pandemie mit Achraf Hakimi (43 Mio.) und Sergio Reguilón (30 Mio.) zusammen mit vielen kleineren Transfers das Konto gehörig aufgefrischt werden konnte. Nur Chelsea war es aus dem Pool der Champions-League-Sieger der vergangenen zehn Jahre gelungen, mit gut 112 Millionen Euro (Saison 2019/20) etwas höhere Erlöse zu generieren. Dafür hatten die Blues” allerdings auch die Jahre zuvor einen recht aufgeblähten Kader angestaut.

Doppeltes Rekordjahr 2019/20

Anders sah es für Real Madrid zur Saison 2019/20 aus, als Florentino Pérez die Geldkoffer so richtig öffnete. Auch wenn der Königstransfer jenes Sommers in Form des bereits angesprochenen Hazard und den einhergehenden 115 Millionen Euro nahezu vollkommen floppte und auch die 63 Millionen für Luka Jović kein sonderlich gutes Invest gewesen sind, fanden heutige Leistungsträger wie Éder Militão (50 Mio.), Ferland Mendy (48 Mio.) oder auch Rodrygo Goes (45 Mio.) in jenem Sommer ihren Weg in die spanische Hauptstadt. Insgesamt wurden damals den Rekord bedeutende 355 Millionen Euro in die Hand genommen und trotz ebenso hochkarätiger Abgänge wie von Mateo Kovačić (45 Mio.), Marcos Llorente (30 Mio.), Theo Hernández (23 Mio.) oder auch Keylor Navas (15 Mio.) ergab sich in diesem Sommer das bis dato letzte, aber durchaus satte Minus von 219 Millionen Euro. Es war übrigens die größte Transferoffenisve in der Vereinshistorie: Selbst als 2009/10 Cristiano Ronaldo, Karim Benzema, Kaká, Xabi Alonso, Raúl Albiol, Álvaro Arbeloa und andere verpflichtet wurden, gaben die Blancos damals nur” 258 Millionen Euro aus. Doch auch auf der Erlös-Seite blieb 2019 mit 137 Millionen Euro ein Rekord an Einnahmen hängen.

Bei seiner Vorstellung im Bernabéu war für kaum jemanden absehbar, was Vinícius Júnior alles werden könnte – Foto: PIERRE-PHILIPPE MARCOU/AFP/Getty Images

Ein Minus von über 28 Millionen Euro stand auch im Jahr 2018/19 zu Buche, allerdings sicherte man sich in diesem Transfer-Fenster unter anderem Vinícius Júnior (45 Mio.) sowie Thibaut Courtois (35 Mio.) und damit zwei Protagonisten, welche eine jahrelange Erfolgsgeschichte entscheidend prägten und noch heute absolute Leistungsträger sind. Aus reiner Investmentsicht ist Vinícius zudem bereits heute nicht nur viele Titel reicher, sondern besitzt inzwischen einen Marktwert von 150 Millionen Euro – der Transfer des damals 16-Jährigen, welcher erst zu dessen 18. Jahrestag an die Concha Espina kommen durfte, hat sich also bezahlt gemacht. Weil in diesem Jahr auch CR7 für 117 Millionen Euro nach Turin wechselte, hielt sich der Gesamtverlust zudem im Rahmen, zumal bereits im Jahr zuvor (Saison 2017/18) mit Verkäufen von Álvaro Morata (66 Mio.) oder auch Danilo (30 Mio.) 92 Millionen Euro an Überschuss generiert wurden.

Wirtschaftlich stabilste Transferpolitik im Zirkus der Großen

Klammert man die laufende Transferperiode noch aus und blickt auf die vergangenen zehn Jahre königlicher Transferpolitik zurück, steht unter dem Strich ein Spielerinvest von über einer Milliarde Euro, der allerdings auch Einnahmen von 974 Millionen Euro entgegenstehen. Unter dem Strich bleibt so eine Differenz von 121 Millionen Euro über die letzte Dekade. Eine stolze Summe, unbestritten, aber der Vergleich mit den anderen Spitzenteams aus den europäischen Top-Ligen relativiert diese Zahlen enorm: Selbst die als vernünftig geltenden Bayern haben im selben Zeitraum ein Minus von 343 Millionen Euro erwirtschaftet, der FC Barcelona kommt gar auf 619 Millionen Euro Verlust.

Den negativen Spitzenwert hält übrigens Champions-League-Sieger Manchester City mit 986 Millionen Euro inne, dicht gefolgt von bereits erwähntem FC Chelsea (862 Mio.) und Paris Saint-Germain (831 Mio.). Mit einem Minus von 430 Millionen ist auch Juventus deutlich weniger wirtschaftlich unterwegs, als es die Königlichen sind. Übrigens gelang es den Merengues in den letzten zehn Jahren gleich fünf Mal, schwarze Transferzahlen zu schreiben, was ebenfalls keiner der letzten Champions League-Sieger aufzuzeigen hatte: Barça, Liverpool und Chelsea gelang das je drei Mal, der FC Bayern und ManCity hatten jeweils nur ein Mal Transferüberschüsse in den letzten zehn Jahren.

Seit 2013: Fünf CL-Titel und ein Minus von „nur“ 121 Mio.

Geld schießt Tore?! Ein bisschen zumindest schon! Legt man sich nun die Transferausgaben der jeweiligen Spielzeit als Schablone auf die spätere CL-Sieger, kann man zumindest grob ableiten, was der Titel in der Königsklasse gekostet” hat. Auch da sind in den letzten zehn Jahren die englischen Teams vorne dabei: Chelsea investierte für seinen Titel 2020/21 247 Millionen Euro, nahm in dieser Zeit lediglich Erlöse von 57 Millionen Euro ein und kommt damit auf ein Defizit von über 190 Millionen Euro. Auch der FC Liverpool generierte ein Transferminus von über 140 Millionen, als er 2018/19 den Henkelpott gewinnen konnte. Aktueller Champion Manchester City schneidet mit einem seichten Plus von knapp zehn Millionen fast schon überraschend gut in dieser Kategorie ab. Allerdings war die Saison 2022/23 nach Jahren des unbekümmerten Investierens die erste Spielzeit seit 2005/06, in der man kein Defizit ausweisen musste. Den Titel des wirtschaftlichsten Champions-League-Sieges heimst dennoch Real Madrid ein: 2017/18 generierten die Königlichen 92 Millionen Euro auf dem Transfermarkt und konnten trotz Spielerverkäufe von 132 Millionen Euro die europäische Krone ergattern. Der teuerste Titel für die Königlichen war übrigens „La Décima“ 2013/14, als ein Invest von 175 Millionen bei einem Erlös von 113 Millionen zu einem Transfer-Defizit von 62 Millionen führte.

Gareth Bale, der für 101 Millionen Euro nach Madrid wechselte, war 2013 ein entscheidender Baustein für den Gewinn des zehnten Champions-League-Titels – Foto: Oscar Gonzalez / i-Images

Ein kurzer Blick in die Vergangenheit reicht bereits aus, um zu verstehen, dass nicht jedes Jahr dem anderen gleicht. Doch Real Madrid hat gewiss einen Wandel der Demut in den vergangenen Jahren durchgemacht – zumindest wenn man die Thematik ins Verhältnis setzt: War man um die Jahrtausendwende noch als transferbesessenes Monster verschrien – was zugegeben auch zur von Bernabéu vorgelebten DNA der Königlichen gehört – hat man sich doch sehr zurückhaltend positioniert indem man ein vernünftiges Portfolio aus Jugendarbeit, langfristiger Entwicklung und punktueller Paukenschläge aufgebaut hat. Madrid möge gegebenenfalls immer noch den Ruf haben, aber die Zeit der Geldverbrennung ist vorbei! Das zeigt der Quervergleich mit allen konkurrenzfähigen Klubs, wobei man sogar gegen die als so vernünftig geltenden Münchener sehr gut weg kommt und zudem weit hinter den Ausgaben der englischen Vertreter taxiert. Florentino Pérez hat ein besonnenes Régime um sich aufgebaut, welches im turbulenten Fußballzirkus kühlen Kopf bewahrt und nicht mehr bei jedem Wettbieten dabei sein muss. Eine Denkweise, mit der Real Madrid zuweilen an der Seitenlinie verharrt, während sich die neureichen Geld-Granden” übertrumpfen. Die tadellosen Finanzen – denn auch so sieht es wirtschaftlich für die Königlichen super aus – gepaart mit dem sportlichen Erfolg sprechen für sich und nahezu jeder Klub der Welt kann davon nur träumen. Und wenn es einmal wieder sein muss, ist Pérez dadurch jederzeit im Stande, seinen Wunschspieler zu verpflichten und bleibt damit bereit, erneut tief in die Tasche zu greifen und zuzuschlagen – genau, wie es einst Santiago Bernabéu vorgelebt hatte.

0.00 avg. rating (0% score) - 0 votes
von
Christian Graber

Anhänger der Königlichen seit dem bitteren Halbfinalaus in der Champions League-Saison 2001 gegen die Bayern und seitdem Verehrer der Klubphilosophie. Spezifische Kenntnisse des Fußballmarktes in Lateinamerika und bekennender Freund der "Joga-Bonito-Kultur".

Kommentare
Toller Bericht, welcher ich gerne so einigen Kollegen zeigen werde :) Ich finde jedoch, dass man beim Thema Investment unsere Scouting Legende Calafat und der Mann im Hintergrund Jose Angel Sanchez nicht vergessen darf zu erwähnen. Durch sie ist es möglich, dass die grössten Talente wie Tchou, Cama, Bellingham etc. auch wirklich bei Real Madrid landen, obwohl die Konkurrenz namhaft und stinkreich ist. So lässt es sich auch einfacher zukunftsorientiert und meistens auch günstiger die Spieler zu holen. Alles in allem ist es ein fantastischer Job, welches unsere Führungsetage leistet. Ich hoffe, dass Real nach Papa Perez einen würdigen Nachfolger findet. Hala Madrid!
 
Toller und informativer Artikel! Finde auch gut, dass das hartnäckige Märchen von dem ach so vernünftigen deutschen FCB widerlegt wird, weil sie in den letzten 10 Jahren ein sattes Minus von 343 Mio. so besonnen erwirtschaftet haben, während Real Madrid auf nur 121 Mio. kommt. Aus deren Richtung kommen ja gerne Finanz-Spitzen gegen andere Klubs, aber das eigene Handeln ist ja natürlich immer astrein. Hoffentlich schraubt ein potenzieller Mbappe-Transfer Madrids Zahlen nicht unnötig nach oben. Dass City im selben Zeitraum auf wahnwitzige Minus 986 Mio. kommt, hinterlässt ein deutliches Geschmäckle bei deren erkauften Erfolgen. Wählt man den Zeitraum von 13/14 bis 23/24, dann wächst ihr Minus auf über eine Milliarde! Genauso wie bei Stadtrivale United und dem so sympathischen Arsenal.

P.S. Die Erinnerung an Varanes mickrige Ablöse von nur 40 Mio. tut schon weh, weil ein absoluter Weltklasse-Verteidiger im besten Alter deutlich mehr hätte einbringen müssen. Ich verstehe aber auch Gentleman Flo, dass er ihm keine Steine in den Weg für seine neue Herausforderung legen wollte. Andererseits war die Ablöse für WanderVogel Morata (66 Mio.) richtig gut.
 
Finde das beschreibt das Vermächtnis von Perez auch sehr gut wie er den Verein gewandelt hat in die komplett richtige Richtung, mögen wir noch lange das Vergnügen haben mit dir
 
Jetzt noch die französische DIVA dazu und wir haben wieder eine Messerscharfen Kader für die nächsten Jahre!
 
Schöner Artikel !!! Gefällt mir !!!
Ist schon echt interessant, wie Real im Vergleich zu den anderen dasteht. Ich hoffe das bleibt so und wird nicht durch einen gewissen Transfer zunichte gemacht.
 
Ja ist auch Richtig und ist ja auch gute Entwicklung auch von uns . Aber manchmal in Ausnahmefällen müssen wir uns einen Galactico (NOCH) gönnen wie im Fall. Jude Bellingham oder auch Mbappè/Haaland z.b
 

Verwandte Artikel

Die Chroniken von VARnia

Es tut sich etwas in Spanien. Endlich, könnte man meinen – nicht...

Top-Momente 2024: Unsere größten Erinnerungen rund um Real Madrid

Fünf Titel, noch mehr Partidazos und genauso viele große Präsentationen wie Abschiede....

Fans bitten um Verbleib: Kroos reagiert bei CL-Party in Madrid

Real Madrid ist Champions-League-Sieger und setzt dem Coup mit den Feierlichkeiten in...

Zehn Jahre La Décima! Was wäre gewesen, wenn Ramos nicht…

Heute vor zehn Jahren gewann Real Madrid seinen zehnten Champions-League-Titel - die...