
Das Streben nach einem großen Stadion, um Geld einzunehmen, um sich die besten Spieler der Welt leisten zu können? Diesen Wunsch hatte einst ein Mann namens Santiago Bernabéu. Es war der Traum, der zum Fundament der königlichen Philosophie heranwuchs und der das Verhalten am Transfermarkt seit jeher prägte. Die königliche Erfolgsgeschichte beruht auf diesem Ansatz. Und auch heute noch ist die Zeit vor dem Saisonstart für Fußballfans aufreibend, wenn es um die Verpflichtung neuer Stars geht. Überall kursieren Gerüchte und je namhafter die beteiligten Klubs sind, desto spannender ist der Ausgang der Verhandlungen und umso größer werden die Summen, die im Raum stehen. Signifikant steigende Ausgaben haben den Fußball-Markt sicher aufgeheizt, spätestens seitdem Cristiano Ronaldo seinen Wechsel nach Saudi-Arabien vollzogen hat, mischen sogar ganz neue, bisher unbekannte Akteure im Poker um die besten Spieler mit und nichts scheint mehr unmöglich zu sein. Da heißt es für die Manager der Spitzenklubs kühlen Kopf zu bewahren und nicht jedem Kaufrausch zu verfallen. Doch ist der Ruf einer kaufwütigen Maschinerie bei Real Madrid tatsächlich überhaupt noch gerechtfertigt? Holt sich Real echt nur wahllos Spieler aus aller Welt? Oder gibt es ganz andere Klubs, die schamlos mit Geld um sich werfen?
Ein Youngster, ein Top-Transfer und weitere Fragezeichen
Neben Jude Bellingham fanden diesen Sommer bereits Arda Güler (20 Millionen Euro) und Fran García (5 Mio.) ihre Wege an die Concha Espina, Joselu wurde von Espanyol gegen eine eher bescheidene Gebühr ausgeliehen. Auch wenn das Sommer-Transferfenster noch nicht geschlossen ist, stehen vorerst in dieser Periode rund 128 rote Millionen Euro, da auf der Einnahmenseite bisher noch nichts passiert ist. Karim Benzema, Marco Asensio und Mariano Díaz hatten Madrid jeweils ablösefrei verlassen, Jesús Vallejo wurde erneut verliehen und beim „wandelnden Missverständnis” Eden Hazard erfolgte eine einvernehmliche Vertragsauflösung. Das brachte zwar keine Erlöse auf dem Transfermarkt, aber zumindest muss das horrende Gehalt nicht weiter beglichen werden. Und wer weiß? Womöglich ergibt sich ja auch noch ein Verkauf, mit dem man bisher noch nicht gerechnet hatte. Gänzlich ohne Transfereinnahmen haben die Blancos in der jüngeren Vereinsgeschichte jedenfalls noch keinen Sommer beendet.

Solide Transferpolitik, entgegen aller Vorurteile
Das momentane Transferminus ist allerdings in diesen Zeiten der teils abstrusen Ablösesummen für Real Madrid nicht mehr derart typisch, wie sich das der eine oder andere Beobachter vielleicht denken mag. Während momentan viele Klubs, subventioniert von Scheich-Millionen oder anderen Mäzenen, nur so mit Geld um sich werfen, hatten die Blancos sowohl 2022/23 (12 Millionen Euro), als auch 2021/22 (47 Mio.) und 2020/21 (104 Mio.) Überschüsse am Transfermarkt erzielt. Zum Vergleich: In der Saison 2022/23 alleine kam Chelsea auf Transferausgaben von satten 611 Millionen Euro, welchen lediglich Einnahmen von 68 Millionen Euro gegenüberstanden. Das Financial Fairplay lässt grüßen und die Londoner sind mit diesen Kennzahlen das absolute Non-Plus-Ultra, was innerhalb eines Jahres je investiert wurde. Aus königlicher Sicht war im vergangenen Transfersommer Aurélien Tchouaméni mit 80 Millionen Euro zwar ebenso kein günstiger, aber immerhin der einzige Neuzugang für den Geldmittel flossen. Zudem Ausgaben, die durch Transfers wie von Casemiro (70 Mio.), Borja Mayoral (10 Mio.) oder auch Takefusa Kubo (6,5 Mio.) bereits mehr als gedeckelt waren.
Das Jahr zuvor blieb man mit der Verpflichtung von Eduardo Camavinga für 31 Millionen von Stade Rennes noch viel sparsamer. Ein weiterer Top-Transfer, von David Alaba ist die Rede, ging gar ablösefrei über die Bühne. Erlöse für Raphael Varane (40 Mio.), Martin Ødegaard (35 Mio.) und die Leihgebühr von drei Millionen Euro für Brahim Díaz sorgten auch 2021/22 für die schwarzen Zahlen. Noch ein Jahr früher konnten die Königlichen gleich dreistellige Millionengewinne verkünden, in dem Corona-bedingt schlichtweg überhaupt nichts ausgegeben wurde, aber aufgrund der Pandemie mit Achraf Hakimi (43 Mio.) und Sergio Reguilón (30 Mio.) zusammen mit vielen kleineren Transfers das Konto gehörig aufgefrischt werden konnte. Nur Chelsea war es aus dem Pool der Champions-League-Sieger der vergangenen zehn Jahre gelungen, mit gut 112 Millionen Euro (Saison 2019/20) etwas höhere Erlöse zu generieren. Dafür hatten die „Blues” allerdings auch die Jahre zuvor einen recht aufgeblähten Kader angestaut.
Doppeltes Rekordjahr 2019/20
Anders sah es für Real Madrid zur Saison 2019/20 aus, als Florentino Pérez die Geldkoffer so richtig öffnete. Auch wenn der Königstransfer jenes Sommers in Form des bereits angesprochenen Hazard und den einhergehenden 115 Millionen Euro nahezu vollkommen floppte und auch die 63 Millionen für Luka Jović kein sonderlich gutes Invest gewesen sind, fanden heutige Leistungsträger wie Éder Militão (50 Mio.), Ferland Mendy (48 Mio.) oder auch Rodrygo Goes (45 Mio.) in jenem Sommer ihren Weg in die spanische Hauptstadt. Insgesamt wurden damals den Rekord bedeutende 355 Millionen Euro in die Hand genommen und trotz ebenso hochkarätiger Abgänge wie von Mateo Kovačić (45 Mio.), Marcos Llorente (30 Mio.), Theo Hernández (23 Mio.) oder auch Keylor Navas (15 Mio.) ergab sich in diesem Sommer das bis dato letzte, aber durchaus satte Minus von 219 Millionen Euro. Es war übrigens die größte Transferoffenisve in der Vereinshistorie: Selbst als 2009/10 Cristiano Ronaldo, Karim Benzema, Kaká, Xabi Alonso, Raúl Albiol, Álvaro Arbeloa und andere verpflichtet wurden, gaben die Blancos damals „nur” 258 Millionen Euro aus. Doch auch auf der Erlös-Seite blieb 2019 mit 137 Millionen Euro ein Rekord an Einnahmen hängen.

Ein Minus von über 28 Millionen Euro stand auch im Jahr 2018/19 zu Buche, allerdings sicherte man sich in diesem Transfer-Fenster unter anderem Vinícius Júnior (45 Mio.) sowie Thibaut Courtois (35 Mio.) und damit zwei Protagonisten, welche eine jahrelange Erfolgsgeschichte entscheidend prägten und noch heute absolute Leistungsträger sind. Aus reiner Investmentsicht ist Vinícius zudem bereits heute nicht nur viele Titel reicher, sondern besitzt inzwischen einen Marktwert von 150 Millionen Euro – der Transfer des damals 16-Jährigen, welcher erst zu dessen 18. Jahrestag an die Concha Espina kommen durfte, hat sich also bezahlt gemacht. Weil in diesem Jahr auch CR7 für 117 Millionen Euro nach Turin wechselte, hielt sich der Gesamtverlust zudem im Rahmen, zumal bereits im Jahr zuvor (Saison 2017/18) mit Verkäufen von Álvaro Morata (66 Mio.) oder auch Danilo (30 Mio.) 92 Millionen Euro an Überschuss generiert wurden.
Wirtschaftlich stabilste Transferpolitik im Zirkus der Großen
Klammert man die laufende Transferperiode noch aus und blickt auf die vergangenen zehn Jahre königlicher Transferpolitik zurück, steht unter dem Strich ein Spielerinvest von über einer Milliarde Euro, der allerdings auch Einnahmen von 974 Millionen Euro entgegenstehen. Unter dem Strich bleibt so eine Differenz von 121 Millionen Euro über die letzte Dekade. Eine stolze Summe, unbestritten, aber der Vergleich mit den anderen Spitzenteams aus den europäischen Top-Ligen relativiert diese Zahlen enorm: Selbst die als vernünftig geltenden Bayern haben im selben Zeitraum ein Minus von 343 Millionen Euro erwirtschaftet, der FC Barcelona kommt gar auf 619 Millionen Euro Verlust.
Den negativen Spitzenwert hält übrigens Champions-League-Sieger Manchester City mit 986 Millionen Euro inne, dicht gefolgt von bereits erwähntem FC Chelsea (862 Mio.) und Paris Saint-Germain (831 Mio.). Mit einem Minus von 430 Millionen ist auch Juventus deutlich weniger wirtschaftlich unterwegs, als es die Königlichen sind. Übrigens gelang es den Merengues in den letzten zehn Jahren gleich fünf Mal, schwarze Transferzahlen zu schreiben, was ebenfalls keiner der letzten Champions League-Sieger aufzuzeigen hatte: Barça, Liverpool und Chelsea gelang das je drei Mal, der FC Bayern und ManCity hatten jeweils nur ein Mal Transferüberschüsse in den letzten zehn Jahren.
Seit 2013: Fünf CL-Titel und ein Minus von „nur“ 121 Mio.
Geld schießt Tore?! Ein bisschen zumindest schon! Legt man sich nun die Transferausgaben der jeweiligen Spielzeit als Schablone auf die spätere CL-Sieger, kann man zumindest grob ableiten, was der Titel in der Königsklasse „gekostet” hat. Auch da sind in den letzten zehn Jahren die englischen Teams vorne dabei: Chelsea investierte für seinen Titel 2020/21 247 Millionen Euro, nahm in dieser Zeit lediglich Erlöse von 57 Millionen Euro ein und kommt damit auf ein Defizit von über 190 Millionen Euro. Auch der FC Liverpool generierte ein Transferminus von über 140 Millionen, als er 2018/19 den Henkelpott gewinnen konnte. Aktueller Champion Manchester City schneidet mit einem seichten Plus von knapp zehn Millionen fast schon überraschend gut in dieser Kategorie ab. Allerdings war die Saison 2022/23 nach Jahren des unbekümmerten Investierens die erste Spielzeit seit 2005/06, in der man kein Defizit ausweisen musste. Den Titel des wirtschaftlichsten Champions-League-Sieges heimst dennoch Real Madrid ein: 2017/18 generierten die Königlichen 92 Millionen Euro auf dem Transfermarkt und konnten trotz Spielerverkäufe von 132 Millionen Euro die europäische Krone ergattern. Der teuerste Titel für die Königlichen war übrigens „La Décima“ 2013/14, als ein Invest von 175 Millionen bei einem Erlös von 113 Millionen zu einem Transfer-Defizit von 62 Millionen führte.

Ein kurzer Blick in die Vergangenheit reicht bereits aus, um zu verstehen, dass nicht jedes Jahr dem anderen gleicht. Doch Real Madrid hat gewiss einen Wandel der Demut in den vergangenen Jahren durchgemacht – zumindest wenn man die Thematik ins Verhältnis setzt: War man um die Jahrtausendwende noch als transferbesessenes Monster verschrien – was zugegeben auch zur von Bernabéu vorgelebten DNA der Königlichen gehört – hat man sich doch sehr zurückhaltend positioniert indem man ein vernünftiges Portfolio aus Jugendarbeit, langfristiger Entwicklung und punktueller Paukenschläge aufgebaut hat. Madrid möge gegebenenfalls immer noch den Ruf haben, aber die Zeit der Geldverbrennung ist vorbei! Das zeigt der Quervergleich mit allen konkurrenzfähigen Klubs, wobei man sogar gegen die als so vernünftig geltenden Münchener sehr gut weg kommt und zudem weit hinter den Ausgaben der englischen Vertreter taxiert. Florentino Pérez hat ein besonnenes Régime um sich aufgebaut, welches im turbulenten Fußballzirkus kühlen Kopf bewahrt und nicht mehr bei jedem Wettbieten dabei sein muss. Eine Denkweise, mit der Real Madrid zuweilen an der Seitenlinie verharrt, während sich die neureichen „Geld-Granden” übertrumpfen. Die tadellosen Finanzen – denn auch so sieht es wirtschaftlich für die Königlichen super aus – gepaart mit dem sportlichen Erfolg sprechen für sich und nahezu jeder Klub der Welt kann davon nur träumen. Und wenn es einmal wieder sein muss, ist Pérez dadurch jederzeit im Stande, seinen Wunschspieler zu verpflichten und bleibt damit bereit, erneut tief in die Tasche zu greifen und zuzuschlagen – genau, wie es einst Santiago Bernabéu vorgelebt hatte.
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