Reportage

Ancelottis Spiel mit dem Feuer

Real Madrid gewinnt auch das letzte Vorrundenspiel bei Union Berlin mit 3:2 und schließt die Gruppenphase somit mit sechs Siegen aus sechs Spielen ab. Dass Carlo Ancelotti dabei in Anbetracht der sportlich eher geringen Bedeutung der Partie nur bedingt rotiert, sorgt durchaus für ein wenig Verwunderung. Spielt der Italiener mal wieder zu sehr mit dem Feuer?

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Carlo Ancelotti sieht keine Gründe, Jude Bellingham eine Pause zu geben – Foto: Maryam Majd/Getty Images

Ancelotti sieht bei Bellingham „keinerlei Risiko“

Sechs Spiele, sechs Siege. Der zuletzt mit der Chancenverwertung hadernde Joselu durfte einen Doppelpack bejubeln. Daniel Ceballos meldete sich nach seiner Verletzungspause mit einer guten Leistung endgültig zurück und erinnerte phasenweise an seine starken Auftritte aus der letzten Spielzeit. Bei Real Madrid gab es im Anschluss an den durchaus umjubelten 3:2-Erfolg bei Union Berlin eigentlich wenig zu meckern. Da wirkte es fast ein wenig wie das berühmte Suchen nach dem Haar in der Suppe, als auf der obligatorischen Pressekonferenz nach der Partie ein Journalist Carlo Ancelotti fragte, ob der Einsatz von Jude Bellingham – der in dieser Saison immerhin bereits 19 von 22 möglichen Pflichtspielen absolviert hat – nicht ein gewisses Risiko dargestellt hätte?

Eine Frage, die der italienische Trainer in seiner gewohnt stoischen Art nonchalant wegmoderierte: „Bellingham ist sehr gut in Form, seine physische Verfassung ist optimal. Da gab es keinerlei Risiko. Er hat uns sehr geholfen, dieses Spiel zu gewinnen.“ Selbige Frage hätte man ebenso hinsichtlich Rodrygo Goes stellen können, schließlich kam der Brasilianer bisher in allen 22 Pflichtspielen zum Einsatz und sprang zuletzt sogar trotz Knieproblemen für den kurzfristig erkrankten Brahím Díaz ein. Die Antwort von Ancelotti wäre vermutlich ähnlich ausgefallen.

Es mag in Anbetracht der makellosen Vorrunde in der Königsklasse sowie der bisherigen guten LaLiga-Saison durchaus ein wenig seltsam anmuten, die Personalentscheidungen Ancelottis zu hinterfragen. Doch ist es eben genau jene aktuell dünne Personaldecke bei den Blancos, die dem einen oder anderen Anhänger mit Blick auf Leistungsträger wie Bellingham oder Rodrygo ein wenig Sorgen bereitet. Schließlich fehlen mit Vinícius Júnior, Eduardo Camavinga, Aurelién Tchouaméni sowie Daniel Carvajal aktuell bereits vier Stammspieler längerfristig. Einen zusätzlichen Ausfall von Bellingham oder Rodrygo könnte Reals Offensive vermutlich nur bedingt auffangen.

Bloß kein erneutes 2014/15

Und dass derartige Bedenken nicht von ungefähr kommen, zeigt ein Blick in die Spielzeit 2014/15: Auch damals legte man die perfekte Gruppenphase hin und marschierte in der Hinrunde durch die heimische Liga, ehe man in der entscheidenden Saisonphase vor allem in den wichtigen Spielen (Atlético, Barcelona, Bilbao, Valencia, Turin) Federn ließ und am Ende ohne einen großen Titel da stand. Der Trainer damals: Carlo Ancelotti. Einer der Hauptgründe für den damaligen Leistungseinbruch: Die Verletzungen von Luka Modrić und Karim Benzema, die die Mannschaft in den entscheidenden Momenten nicht kompensieren konnte und unter anderem dafür sorgten, dass Sergio Ramos im Champions-League-Halbfine gegen Juventus Turin im defensiven Mittelfeld auflief. Auch damals der große Kritikpunkt an Ancelotti: Die fehlende Rotation, vor allem im ersten Halbjahr, die sich leider in der wichtigsten Phase schließlich auch bemerkbar machte.

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Vinícius als warnendes Beispiel

Nun gehört zur ganzen Wahrheit aber auch, dass der aktuelle Kader in puncto Breite durchaus mehr hergibt als vor neun Jahren und Ancelotti diese Breite bisher – für seine Verhältnisse – durchaus auch nutzt. Mit eben der einen oder anderen Ausnahme. Der Italiener wird dabei auch nicht müde, immer wieder die Belastbarkeit Bellinghams oder Rodrygos zu betonen. Aufgrund ihres Alters und ihrer makellosen körperlichen Verfassung, seien sie durchaus in der Lage, diese Belastungen wegzustecken. Ähnliche Sätze waren letzte Saison auch immer wieder über Dauerbrenner Vinícius Júnior zu hören, nun  muss der Brasilianer in dieser Spielzeit bereits zum zweiten Mal längerfristig zuschauen. Auch die Körper junger Sportler sind eben nur bis zu einem gewissen Grad belastbar.

Deshalb verwundert es eben umso mehr, warum nicht beispielsweise der zuletzt gut aufgelegte Brahím Díaz oder auch Nachwuchsjuwel Nico Paz gegen Union ihre Chance von Beginn an erhielten, denn allzu viele Möglichkeiten, Bellingham oder Rodrygo in den nächsten Wochen zu schonen, wird es nicht geben, da Vinícius und Co. voraussichtlich erst gegen Ende Januar zurückkehren werden. Bleibt zu hoffen, dass Ancelotti in dieser Hinsicht nicht zu sehr mit dem Feuer spielt…

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von
Yannick Frei

Hauptberuflich im Nachwuchsfußball zuhause. Von den Großmeistern Figo und Zidane verzaubert, bin ich bis heute ein glühender Anhänger des größten Klubs der Welt.

Kommentare
Klar, medizinisch gibt's bei Rodrygo und Bellingham aktuell kein Problem und die biometrischen Daten werden das wohl reihenweise bestätigen. Nur schade, dass der Mensch auch einen Kopf besitzt und Leistung, Form und physische Unversehrtheit zu sehr großen Teilen vom Kopf mitbestimmt werden. Abgesehen davon stehen auch Gegner auf dem Platz, die gerade bei Spielern, die den Ball eng führen, gerne mal zu spät kommen...

Die Frage stellt sich doch: Warum unnötiges Risiko eingehen?
Mit Brahim und Paz hätte man gestern ohne weiteres guten Ersatz auf der Bank gehabt. Beide wurden erst in der 80. und 90. Minute eingewechselt! Ich hätte es noch verstanden wenn man klassisch 60/30 gemacht hätte aber so? Klar haben wir heuer besonderes Verletzungspech, aber vieles ist eben auch hausgemacht und der Verletzungsgefahr könnte vorgebeugt werden.
 
Den Rückstand auf Girona sollten wir auf jeden Fall nicht unnötig anwachsen lassen, denn am Ende glauben die dort wirklich noch dran, dass sie heuer die Meisterschaft holen! Girona wird gegen Alaves einen Pflichtsieg einfahren. Atleti könnte in Bilbao Federn lassen, genauso wie Barca in Valencia. Ich würde das Jahr 2023 gern an der Tabellenspitze abschließen...
Viel Spass in der zweiten Saisonhälfte :)

Wenigstens gibt es jetzt Pause bis Sonntag und Villareal spielt noch am Donnerstag!
 
Den Rückstand auf Girona sollten wir auf jeden Fall nicht unnötig anwachsen lassen, denn am Ende glauben die dort wirklich noch dran, dass sie heuer die Meisterschaft holen! Girona wird gegen Alaves einen Pflichtsieg einfahren. Atleti könnte in Bilbao Federn lassen, genauso wie Barca in Valencia. Ich würde das Jahr 2023 gern an der Tabellenspitze abschließen...

Bei Barca in Valencia wäre ich mir nicht sehr sicher :D Ich hoffe die lassen weiter Punkte liegen.
 
Dass Dauerbrenner Bellingham und Rodrygo durchweg spielen, finde ich gar nicht so schlimm, zumindest im Sinne der Entlastung. Viel gravierender finde ich, dass die dann 90 Minuten durchspielen. Man muss Leistungssportler jetzt auch nicht in Watte packen, sicher nicht nach 14. Spieltagen. Wenn jede Woche ein Spieler zur Entlastung auf die Bank gesetzt wird, kann sich kein neues System nachhaltig etablieren. Allerdings sehe ich solche Spiele vielmehr als eine Chance, auch mal die jüngeren Nachwuchskicker eine realistische Chance zu geben. Modric schön und gut, aber wieso kein Paz? Weshalb kein Vini Tobias oder ein anderer begnadeter RV aus der Jugend?

Sind denn viele Verletzungen von uns hausgemacht? Vinicius fällt ohne Fremdeinwirkung zum Start fünf Wochen aus. Camavinga und Tchouameni waren zwar mehr oder weniger gesetzt, aber keine Dauerbrenner. Bei Ceballos steht das "a" für außergefecht. Militao und Thibo erleiden einen Kreuzbandriss, sehr viel Pech. Carvajal verletzt sich auch ohne Startelfeinsatz. Güler ebenfalls. Wer war noch alles verletzt?

Das Training scheint der Belastung ebenfalls angepasst zu sein, sodass dies eher weniger intensiv geführt wird. Am Ende ist es eine Kombination aus allem, aber jetzt Spieler krankhaft auf die Bank zu setzen, sehe ich nicht. Lieber mal ab der 65. runternehmen, statt 90 Min. durchspielen zu lassen
 
Genau im Spiel gegen Union wäre eine gute Option für einen massiven Wechsel in der Startelf gewesen. JB hätte, falls nötig, in der zweiten HZ eingewechselt werden können.
Bei Rodrygo sehe ich das Problem auch nicht. Sobald Vini eingermassen fir ist, wird er gesetzt sein für 90 Min. Rodrygo kann sich die andere Aussenbahn mit Brahim und Valverde teilen - zumindest so wurde es bis zur Verletzung Vinis gehandhabt.
 
Ich glaube, dass Ancelott die Zeitpunkte der Verletzungen vieler potenzieller Stammspieler in die Karten spielen dürfte (sollte man so natürlich nicht sagen). Genau zur heissesten Phase der Saison im Frühling werden wohl die meisten wieder spielbereit sein. Real spielt immer noch ohne Vini, Cama, Tchou, Militao, Courtois, Carvajal..! Was gestern halt einfach wirklich schade war, dass Ancelotti es verpasst hat, ein positives Zeichen für die Castilla-Jungs zu setzen. Bei einem Spiel, bei dem es um gar nichts geht, muss doch ein Paz mindestens 30 Minuten spielen können. Wann sonst will man einen Vini Tobias testen? Glaubt man an diese Spieler überhaupt nicht oder gibt es da andere Gründe dafür? Ich habe irgendwo gelesen, dass z.B Paz bei weiteren Minuten in der CL von der U-19 ausgeschlossen werden könnte bei Europäischen Spielen. Ob das stimmt weiss ich nicht.
 
Ich weiss nicht, ich denke der Finanzielle Aspekt spielt doch da auch immer mit. Sind ca. 1.5 Millionen die man einnimmt pro Sieg...oder?
Selbst für Real Kohle die man gerne einrechnet.

Und da es ein vermeintlich einfacher Gegner war ging man da auf "Alles oder nichts"

Denke man möchte nicht leichtsinnig diese Geldsumme durch die Hände schlittern lassen ;-)
 

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