
Grotesk: Abpfiff mitten im Angriff von Real Madrid
VALENCIA. War das echt? Ist das wirklich passiert? Real Madrids 2:2 am Samstagabend beim FC Valencia ist nicht nur von einer Horror-Verletzung von Mouctar Diakhaby überschattet worden. Der Verteidiger zog sich in der 86. Minute der LaLiga-Partie am 27. Spieltag offenbar einen Unterschenkelbruch zu, nachdem Aurélien Tchouaméni in einem Zweikampf mit vollem 82-Kilogramm-Körpergewicht auf sein rechtes Bein gefallen war.
Was sich nur etwas mehr als zehn Minuten später abspielte, ließ das Schicksal des 27-jährigen Franzosen – leider – in den Hintergrund rücken. Neunte Minute der Nachspielzeit: Luka Modrić tritt von der linken Seite zur letzten Real-Chance auf das Siegtor eine Ecke hinein – und dann fällt es tatsächlich. Der Ball wird von den Gastgebern zunächst aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich befördert, Brahim Díaz erobert ihn jedoch zurück und schlägt von der rechten Seite eine Flanke in die Mitte, die Jude Bellingham per Kopf verwandelt.
Der Wahnsinn, der nicht nur den Madridismo erschrocken und ungläubig zurücklässt: Während die Hereingabe von Brahim bereits in der Luft auf dem Weg ist, nimmt Schiedsrichter Jesús Gil Manzano seine Pfeife in den Mund, pfeift einmal, zweimal, ein finales drittes Mal – wie es die Unparteiischen zum Abpfiff bekanntermaßen immer machen.
Valencia-Stürmer: „Ich verstehe Real Madrid“
Ja, tatsächlich, er beendete das Spiel. All das, als Reals Angriff gerade vor seinen Augen lief und das Runde dann im Eckigen einschlug. Ein irrer, geradezu skandalöser Entschluss des Referees, der sogar über die Landesgrenzen hinaus für Entsetzen sorgt. Vereinzelte Madrilenen hatten bereits gejubelt, die Freude schwappte rasch in Fassungslosigkeit über.
Este video es lo más claro que he visto del escándalo en Mestalla.
Robo HISTÓRICO de Gil Manzano. pic.twitter.com/iwtQ3oC7Uv
— MT (@MadridTotal_) March 2, 2024
Selbst im Lager von Valencia herrschte teilweise Unverständnis. Hugo Duro, Schütze zum 1:0 und einstiger Spieler der Blancos: „Der Schiedsrichter sagte uns, dass die Ecke die letzte Aktion ist. Ich verstehe Real Madrid. Entweder pfeifst du vor der Flanke oder danach. Ich weiß nicht, warum er so lange gebraucht hat, um zu pfeifen.“
Das ist es, darin sind sich so ziemlich alle einig: Gil Manzano hätte die Partie beenden müssen, nachdem Keeper Giorgi Mamardashvili die Modrić-Ecke fürs Erste klärte, ansonsten eben nach dem Angriffsversuch des Tabellenführers. Aber nicht mittendrin! Ein höchst ungewöhnliches Vorgehen, das so wohl nur die wenigsten schon einmal in ihrem Leben erlebt hatten. Die Kommentatoren bei Realmadrid TV, das speziell seit dieser Saison nicht zimperlich mit den Unparteiischen umgeht und mit zusammenfassenden Fehlervideos Stimmung gegen sie macht, fauchten: „Diese Liga ist mal wieder eine Schande. Schiedsrichterfehler verhindern, dass Real Madrid gewinnt. Beschämend!“
Protokoll zur Nachspielzeit: Abpfiff viel zu früh
Interessant: Wenn man es genau nimmt, hätten an diesem 27. Spieltag im Estadio Mestalla de facto vielmehr noch mindestens 26 und maximal 42 weitere Sekunden absolviert werden müssen. Reals Treffer wäre also zweifellos in diese Zeit gefallen. REAL TOTAL erklärt diese rund halbe Minute anhand eines Protokolls zur Nachspielzeit.
- 89 Minuten, 56 Sekunden: Der Vierte Offizielle an der Seitenlinie zeigt die Tafel hoch, es gibt sieben Minuten Nachspielzeit.
- 90 Minuten, 26 Sekunden: Gil Manzano gibt Valencia einen Elfmeter, nachdem Duro in einem Zweikampf mit Nacho Fernández und Fran García hinfällt.
- 91 Minuten, 55 Sekunden: Der 40-Jährige erhält nach einer Prüfung durch das Videoassistenten-Team einen Hinweis, steckt die Pfeife in seinen Mund, pfeift zweimal schnell und signalisiert mit einem Viereck-Zeichen, dass er sich die Szene selbst am VAR-Monitor anschaut.
Partie in Nachspielzeit für 128 Sekunden unterbrochen – mindestens
- 92 Minuten, 34 Sekunden: Gil Manzano pfeift wieder, macht wieder das Viereck-Zeichen und revidiert seine Entscheidung. Heißt: Kein Foul, kein Elfmeter. Das Spiel ist jetzt schon seit zwei Minuten und acht Sekunden unterbrochen!
- 92 Minuten, 50 Sekunden: Ungefähr jetzt rollt der Ball wieder, das Spiel geht weiter. Ganz exakt lässt sich die Fortsetzung zeitlich nicht ermitteln, weil kurz noch eine Wiederholung des vermeintlichen Fouls im Fernsehbild gezeigt wird. Das Live-Bild geht bei 90 Minuten und 52 Sekunden weiter, als Antonio Rüdiger das runde Leder am Fuß führt. Bei dieser Annahme stand die Partie sogar zwei Minuten und 24 Sekunden still.
- 98 Minuten, 33 Sekunden: Als Modrić die Ecke ausführt, sind von dem theoretischen VAR-Zuschlag erst 93 der mindestens 128 (ab Elfmeter-Rücknahme) und maximal 144 (ab Spielfortsetzung) Sekunden verstrichen.
Wenigstens 26 Sekunden hätten es noch sein müssen
- 98 Minuten, 40 Sekunden: Gil Manzano beendet das Spiel mit dem ersten Pfiff.
- 98 Minuten, 41 Sekunden: Gil Manzano beendet das Spiel mit dem zweiten Pfiff.
- 98 Minuten, 42 Sekunden: Gil Manzano beendet das Spiel mit dem dritten Pfiff, als Bellinghams Abschluss gerade im Tor einschlägt. Jetzt sind erst 102 der mindestens 128 (ab Elfmeter-Rücknahme) und maximal 144 (ab Spielfortsetzung) Sekunden verstrichen. Es hätten also wenigstens noch 26 Sekunden gespielt werden sollen, um die verlorengegangene Spielzeit durch die VAR-Prüfung ordnungsgemäß nachzuholen.
Gil Manzano unter Beschuss: „Schreckliches Zeitmanagement“
Real ging auf die Barrikaden! Daniel Carvajal raste zum Spielleiter, nach ihm Vinícius Júnior, Fran García, Nacho Fernández, Joselu, Fran García, Andriy Lunin. Irgendwie alle. Sie alle wüteten, äußerten ihren Unmut, schlugen die Hände auf den Kopf, rissen die Augen vor Verwunderung auf. Bellingham war in einer tumultartigen Szenerie außer sich: „It’s a fucking goal!“ Rote Karte für den Engländer, Joselu sah dann noch die Gelbe. Mitglieder beider Mannschaften gerieten aneinander.
Von Gil Manzano forderten sie aus dem Real-Lager allesamt Erklärungen. Wie er diesen grotesken Pfiff ihnen gegenüber wohl erklärte? Unklar. Der FIFA-Referee machte dabei jedenfalls einen gefestigten, selbstsicheren Eindruck, könnte aber vom spanischen Fußballverband RFEF nun als Schutzmaßnahme vorerst aus dem Verkehr gezogen werden, denn es hagelt Kritik. Es sei ein „Skandal“, titeln die beiden Madrider Sportzeitungen MARCA und AS am Sonntag jeweils. „Ein unerhörter Fehler gegen die Natur des Spiels. Ein eklatanter, großer, monumentaler Fehler. Gil Manzano verdarb ein gutes Spiel“, urteilte MARCA zudem. Und AS: „Das Spiel wird wegen seines Leichtsinns in Erinnerung bleiben. Ein schreckliches Zeitmanagement des Schiedsrichters.“
Real Madrid im Mestalla: Wieder so eine Schande
Selbst auf dem Cover von SPORT, das dem FC Barcelona nahesteht, ist zu lesen: „Skandal!“ SUPERDEPORTE, eine Pro-Valencia-Zeitung aus der Stadt, bleibt sich dagegen treu: „Der Mut von Gil Manzano“ habe dafür gesorgt, dass „Madrid mit dem nicht gegebenen 2:3 in der Nachspielzeit seine eigene Medizin zu schmecken bekommt“.
Man hatte gehofft, es würde im Mestalla zwischen Valencia und Real diesmal ruhiger zugehen. Stattdessen wurde dieses Wiedersehen zu einem Abziehbild des 21. Mai 2023, als die Gemüter dort erst in einem besonders negativem Maße hochkochten – damals noch wegen der rassistischen Anfeindungen gegen Vinícius, die diesmal trotz des Doppelpacks des Brasilianers ausblieben. Nicht ausgeschlossen, dass die Königlichen in diesem Kalenderjahr wieder nach Valencia müssen, je nach Spielplan-Auslosung zur neuen Saison.
Ob es dem in den vergangenen Monaten so toxischen, so kränkelnden Fußball in Spanien – Rassismus-Eklats, ständige Schiedsrichter-Polemiken, Schiri-Korruptionsskandal rund um Barça, Funktionsärger (Stichwort Luis Rubiales) – bis dahin besser geht? Das muss es ihm schon fast, andernfalls büßt er noch mehr an Attraktivität ein…
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