
1. Alaba hat das Zeug zum Leader
Mögen zu Saisonbeginn noch einige Madridistas daran gezweifelt haben, dass das Duo David Alaba/Éder Militão dazu in der Lage ist, die riesigen Fußstapfen von Sergio Ramos und Raphaël Varane zu füllen, so haben Alaba und Militão spätestens im Clásico unter Beweis gestellt, dass sie auch auf der ganz großen Bühne des Weltfußballs gemeinsam bestehen können.
Während Militão nach einem schwierigen ersten Jahr in Madrid sukzessive an sportlichem Wert gewonnen und sich seit der Endphase der Vorsaison mit guten Leistungen als Stammspieler etabliert hat, scheint sein Wert für das Kollektiv in der Frühphase der Saison 2021/22 nochmals gestiegen zu sein. So wirkt der Brasilianer deutlich reifer als in den vergangenen Jahren. Und auch wenn „Mili“ hier und da, wie etwa im Duell mit Memphis Depay (26.), noch wackelt, so wirken seine Spielweise und sein Auftreten deutlich souveräner als in der Vergangenheit.
Hinzu kommt, dass Nebenmann Alaba die Rolle des Abwehrchefs vom ersten Tag im Trikot der Blancos angenommen hat und seither mit viel Leidenschaft und Courage ausfüllt. Mit seinem ersten Treffer für die Merengues (und das in einem Clásico!) – den er zudem mit einem Energieakt selbst einleitete – ist er endgültig an der Concha Espina angekommen.
2. Vinícius kann auch große Spiele
Sieben Tore (fünf davon in LaLiga) und fünf Assists (drei davon in LaLiga) in zwölf Partien – das sind die herausragenden Statistiken der bisherigen Saison des Vinícius Júnior. Als Chancentod mit schlechter Entscheidungsfindung abgestempelt, hat sich der Brasilianer unter Carlo Ancelotti erheblich weiterentwickelt und verkörpert dieser Tage einen der seltenen Unterschiedsspieler (wenngleich er diesen Status noch langfristig bestätigen muss).
Besonders bemerkenswert: „Viní“ überzeugt nicht nur bei deutlichen Siegen der Königlichen gegen vermeintlich „kleine Gegner“ – sondern auch gegen einen (zumindest auf dem Papier) Fußball-Giganten wie den FC Barcelona. So spielte der 21-Jährige seinem Gegenspieler Óscar Mingueza am Sonntag immer wieder Knoten in die Beine und hatte auch vor Alabas Führungstreffer seine Füße entscheidend mit im Spiel. Performt der Flügelspieler konstant weiter auf diesem Niveau, dürften auch die letzten Kritiker verstummen.

3. Verlust der offensiven Leichtigkeit?
Wirkten die Merengues in den ersten Wochen unter Carlo Ancelotti deutlich variabler und torhungriger im Offensivspiel als in den letzten Monaten unter „Zizou“, so ist seit einigen Partien wieder öfter ein primär auf defensive Sicherheit bedachtes, wenig inspirierend daherkommendes Real Madrid beobachtbar.
Natürlich lesen sich ein 2:1-Erfolg beim zugegebenermaßen taumelnden Erzrivalen FC Barcelona sowie 20 Punkte aus neun Ligaspielen gleichbedeutend mit Tabellenplatz zwei nicht schlecht und sprechen auf dem Papier klar für Ancelotti – in den letzten Wochen nahm die Attraktivität des königlichen Spiels allerdings merklich ab. Gut möglich, dass der „Mister“ angesichts einer erheblichen defensiven Anfälligkeit (zu Saisonbeginn) vor allem in Auswärtsspielen von der Marschroute des bezaubernden Offensivfußballs im Sinne einer höheren Ergebnisökonomie abgewichen ist.
Ancelotti selbst kommentierte den Auftritt seines Teams entsprechend positiv hinsichtlich Titel-Chancen: „Wir können auf jeden Fall überall ein Wörtchen mitreden. Das Team ist sehr stabil, man sollte schon berücksichtigen, dass wir gegen ein großartiges Team gespielt haben. Der Umstand, dass wir in der Lage sind, gemeinsam zu leiden und den Ball nicht zu verlieren, ist eine Tugend.“ Will Ancelottis Real sich deutlich vom Spielstil in Zidanes zweiter Amtszeit abheben, bedarf es abgesehen von guten Ergebnissen auch wieder mehr Spielwitz, Positionsrochaden und Tempo im Offensivspiel.
4. Modrić-Casemiro-Kroos: Zeit der Unantastbarkeit abgelaufen?
In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, ob die Zeit der Unantastbarkeit des nahezu in allen (wichtigen) Spielen gesetzten Mittelfeldtrios Modrić-Casemiro-Kroos abgelaufen ist und ob jüngere Spieler wie Eduardo Camavinga oder Federico Valverde allmählich mehr Spielzeit erhalten sollten, um selbst zu Schlüsselspielern zu reifen. Da insbesondere Toni Kroos zwar für Kontrolle und Struktur im Mittelfeld, weniger aber für raumgreifende Dribblings oder gar risikoreiches vertikales Spiel steht und Luka Modrić mit 36 Jahren definitiv im Spätherbst seiner Karriere angekommen ist, scheint eine Neuverteilung der Einsatzzeiten folgerichtig und nötig.
So verkörpern Camavinga und Valverde eben jenes raumgreifendes, risikofreudiges Spiel, das die Attraktivität des Offensivspiels des Rekordmeisters deutlich anheben könnte und von großen Teilen der königlichen Anhänger vehement eingefordert wird. Mit Blick auf die Clásico-Performance ist zwar unstrittig, dass sowohl Casemiro als auch Kroos und Modrić noch immer auf Weltklasse-Niveau performen und zudem vor allem in solchen Partien von Nutzen sein können, in denen Ancelotti auf Kontrolle im Mittelfeld abzielt. Klar ist aber auch, dass die „zweite Reihe“ mehr Einsatzminuten und -Gelegenheiten erhalten muss, will das Spiel der Blancos nicht zu eindimensional daherkommen und das enorme Potenzial von Spielern wie Camavinga und Valverde nicht verschenkt werden. Und die älteren Spieler nicht überbelastet werden.
5. Vorteil Madrid: Real und Atlético laufen Barça den Rang ab
Mit dem vierten Clásico-Sieg in Serie haben die Königlichen am Sonntag ein Kunststück vollbracht, was ihnen zuletzt im Jahr 1965 gelang. Kassierten die Königlichen in den vergangenen eineinhalb Dekaden mitunter herbe Klatschen (2:6 in 2009, 0:5 in 2010, 0:4 in 2015 oder 1:5 in 2018), verkaufen sich die Blancos in den direkten Duellen mit den Katalanen seit einigen Jahren deutlich stabiler und erfolgreicher.
Und auch wenn das Gipfeltreffen in der Post-Ronaldo/Messi-Ära fraglos etwas an Strahlkraft verloren haben dürfte, so impliziert die Entwicklung der Ergebnisse in den direkten Aufeinandertreffen auch eine Verschiebung der Machtverhältnisse im spanischen Fußball. Während der FC Barcelona in den letzten 15 Jahren den nationalen Fußball in vielen Jahren dominierte (acht Meistertitel seit 2007), wirken die Madrider Klubs Real und Atlético, das Barça jüngst mit 2:0 auf die Heimreise schickte, dieser Tage deutlich gefestigter. Folglich könnte die aktuelle Clásico-Performance ein Fingerzeig dahingehend sein, dass Real dem FC Barcelona den Rang nachhaltig abgelaufen hat. Zumal Ronald Koeman aus den bisherigen sechs Liga-Duellen mit den Madrid-Klubs erst einen Punkt generierte.
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