Historie

Als Alfredo Di Stéfano entführt und gefangen gehalten wurde

Alfredo Di Stéfano kann getrost als der erste Weltstar des Fußballs bezeichnet werden. Sein Talent und die daraus resultierenden Erfolge brachten ihm große Aufmerksamkeit ein, er selbst interessierte sich nur für seinen geliebten Sport und machte Sätze wie „Fußball ohne Tore ist wie ein Tag ohne Sonne“ berühmt. Trotz seiner politischen Neutralität wurde Di Stéfano zur Spielfigur linksradikaler Proteste. 1963 eskalierte die Situation und der Argentinier wurde in Venezuela zur Geisel genommen – der Preis für seinen Weltruhm.

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1963 wurde Di Stéfano drei Tage gefangen gehalten – Foto: Terry Disney/Central Press/Getty Images

Über River Plate und Millonarios zu Real Madrid

In Lateinamerika besitzt Alfredo Di Stéfano bereits Heldenstatus, bevor man ihn in Europa auf dem Zettel hat. Er war schon mit River Plate 1945 und 1947 Meister in Argentinien gewesen und stand in Kolumbien bei den Millionarios aus Bogotá unter Vertrag, als der junge Di Stéfano vermeintlich zum ersten Mal als Spielball der Politik herhält. Zu diesem Zeitpunkt ging es darum, welcher Klub den torgefährlichen Offensivmann unter Vertrag nimmt: Real Madrid oder der FC Barcelona. Es entwickelt sich ein Transferstreit, der bis heute Diskussionen in beiden Lagern nach sich zieht.

Die beiden spanischen Großmächte richteten ihre Aufmerksamkeit auf „La Saeta Rubia“ (der blonde Pfeil) und waren gewillt, sich dessen Dienste zu sichern. Die Katalanen schienen das Tauziehen bereits für sich entschieden zu haben, doch nach einigen Freundschaftsspielen im blau-roten Trikot ging Di Stéfano 1953 dann doch in die Hauptstadt. Präsident Santiago Bernabéu leistete ganze Arbeit, und nach einem Verbands-Urteil konnte Di Stéfano am 23. September 1953 den Fans präsentiert und eine neue Fußball-Ära eingeläutet werden. Denn in Madrid avancierte der Mann aus Buenos Aires zum Star der Mannschaft und kam bis 1964 in 396 Spielen zu 308 Toren und 17 Titeln, darunter die legendären ersten fünf ausgetragenen Europapokale.

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Di Stéfano wird zum Testimonial des Separatismus

Diese Erfolge führten zu enormer Strahlkraft des „blonden Pfeils“ und der resultierende Ruhm rückte ihn parallel noch weiter in den Fokus politischer Bewegungen. Als die Königlichen 1963 in Venezuela zu einem internationalen Turnier gastierten, wurde seine Bekanntheit Di Stéfanos zum Verhängnis: Früh am Morgen des 24. Augusts klopfte es an seinem Zimmer im Hotel Potomac in Caracas, drei uniformierte Männer standen vor seiner Tür. Sie gaben sich als Polizisten zu erkennen und baten den Argentinier, sie auf das Revier zu begleiten. Der Fußballer soll unter Verdacht stehen, Drogen zu besitzen – wie sich herausstellte nur ein Vorwand.

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70 Stunden entführt

Mit dem Gedanken, lediglich Opfer eines Missverständnisses zu sein, begleitete Di Stéfano die Gruppe. Die vermeintlichen Polizisten offenbarten später im Wagen, von der Gruppierung „Fuerzas Armadas de Liberacion Nacional“ (FALN), einer linksradikal gerichteten Guerilla-Organisation zu sein. Die Entführer machten ihm klar, dass sie ihn als Geisel nehmen würden, ihm aber nichts zustoßen würde, wenn er sich an die Regeln halte. „Wir haben nichts gegen Sie, wir machen das einfach nur, damit sich die Presse für uns interessiert“, sollen sie dem Fußballer erklärt haben. Die separatistische Bewegung, bestehend aus Regimekritikern, Revoluzern und radikalisierten Mitgliedern der kommunistischen Partei, hatte es sich zum Ziel gemacht, gegen die Regierung des damaligen venezolanischen Präsidenten Rónulo Betancourt zu protestierten.

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Opfer gibt sich verständnisvoll

Die Idee fruchtete: Durch die Entführung des erfolgreichsten Fußballers jener Zeit erhielt die FALN Einzug in das Interesse der Medien und der Öffentlichkeit. Die  Entführung schmückte die Titelseiten von Zeitschriften auf der ganzen Welt. Der Erfolg der Aktion schien sich sogar für Di Stéfano als Glücksfall zu entpuppen. Weil das einzige Ziel – Aufmerksamkeit für die Verhältnisse in Venezuela zu erwecken – mit der Entführung erreicht wurde, konnte Di Stéfano nach 70 Stunden in Gewahrsam wieder freigelassen werden. Die Entführer brachten den Spieler in die Avenida Libertadores und forderten ihn auf, auszusteigen. Von dort aus nahm er sich ein Taxi und fuhr zur spanischen Botschaft. Irgendwie irrational. Noch kuriosier: Das Opfer selbst zeigte Verständnis für die Ziele und Anliegen der Bewegung: „Das waren Altruisten, die haben Ideale“, gab sich der Fußballer anschließend empathisch.

Letztlich kam Alfredo Stéfano Di Stéfano Laulhe mit dem Schrecken davon und blieb unversehrt. Auf Wunsch des Präsidenten Bernabéu ging er sogar am Tag seiner Freilassung bereits wieder seiner Berufung nach, spielte eine Halbzeit gegen São Paulo, ehe er mangels Kraft ausgewechselt werden musste. Im Nachhinein kursierten sogar Meldungen, „el Viejo“ (der Alte) habe während der Gefangenschaft mit seinen Entführern Karten und Schach gespielt, als hätte der Argentinier neue Freundschaften geschlossen: „Zuhause hängt ein Bild, abgezeichnet von einem der Entführer. Er schickte es mir, um mich für die Leiden zu entschädigen.“ Ob er in Kontakt mit seinen Entführern geblieben ist, wird nicht berichtet. Aufgrund des glimpflichen Ausgangs der Aktion konnte Di Stéfano jedenfalls wieder das tun, was ihm am meisten Freude bereitete: Tore schießen. Ganz getreu seiner Weisheit, „Fußball ohne Tore ist wie ein Tag ohne Sonne.“ 

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von
Christian Graber

Anhänger der Königlichen seit dem bitteren Halbfinalaus in der Champions League-Saison 2001 gegen die Bayern und seitdem Verehrer der Klubphilosophie. Spezifische Kenntnisse des Fußballmarktes in Lateinamerika und bekennender Freund der "Joga-Bonito-Kultur".

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