
Flügelspieler statt Achter: Reals 4-4-2
PARIS. Gegen PSG trat Zinédine Zidanes Mannschaft ohne die taktisch wohl wichtigsten Akteure an: Toni Kroos und Luka Modrić saßen nur auf der Bank. Stattdessen bot der französische Übungsleiter ein 4-4-2, bei dem Casemiro von Mateo Kovačić flankiert wurde. Marco Asensio sowie Lucas Vázquez gaben die Flügelstürmer. Man wollte der Pariser Spielstärke mit Kompaktheit begegnen.
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Auf dem Papier brachte das die Gäste erst einmal in eine schwierige Situation: Gegen Paris’ 4-3-3 agierte man im Mittelfeldzentrum in Unterzahl. Die ballsicheren Motta, Verratti und Rabiot waren dadurch schwierig abzuschirmen oder unter Druck zu setzen und konnten meist den Ball sichern. Damit schien das Fundament der Pariser Spielanlage – Ballbesitz im Mittelfeldzentrum – nicht ernsthaft gefährdet.
Real hält ein offenes Zentrum dicht
Die Madrilenen waren auf diese Situation aber sichtlich gut eingestellt und agierten bei der Verteidigung des Zentrums äußerst konzentriert. Dabei half zum einen Karim Benzema, der sich immer wieder eng vor die Doppelsechs fallen ließ. Zum anderen verteidigten Vázquez und Asensio höchst diszipliniert, sodass die Mittelfeldlinie in der Horizontalen sehr kompakt daher kam, was wiederum dazu führte, dass die Sechser auch immer wieder herausrücken konnten. Oft entstand eine dichte 4-3-2-Defensivformation (mit Ronaldo in einer lauernden Position für Konter).

Die vertikale Kompaktheit zwischen Abwehr und Mittelfeld hingegen ließ häufig zu wünschen übrig. PSG fehlte im 4-3-3 allerdings der Zehner, um die Räume zwischen den Linien zu bespielen. Di María rückte im ersten Durchgang noch häufiger ein; in diesem Fall half dann das individuelle Geschick von Casemiro und Kovačić sowie die gute Horizontalkompaktheit: Die Passwege auf Di María konnten oft zugestellt oder attackiert werden, woraus auch Konter entstanden.
Individuelle Dominanz in der Abwehr und auf den Flügeln
Trotz der guten Defensivarbeit der Mittelfeldlinie hatte Paris im defensiven Mittelfeld und auf den Flügeln genug Raum, um den Ball zu halten und vorwärts zu kommen. Gerade, wenn Real versuchte ins Angriffspressing aufzurücken, konnten sich die Franzosen meist herausspielen. Dem zwölffachen Europapokalsieger fehlte hier die Intensität, um dann in engen Situationen auch in Zweikämpfe zu kommen. Oder anders herum: Verratti und Co. agierten auch unter direktem Gegnerdruck ruhig und sauber genug, um den Ball zu halten.
In Szenen wie diesen entstanden dann zuweilen große Räume für PSG. Einige Male konnten die Stürmer in Eins-gegen-Eins-Situationen gehen, in denen Reals Abwehr wenig oder gar keine Absicherung besaß. Schalteten sich die Außenverteidiger mit ein, gab es auch viele Zwei-gegen-Zwei oder Drei-gegen-Drei-Situationen mit ausreichend Raum für die Gastgeber.
In diesen Situationen setzte sich aber ein ums andere Mal die Klasse der königlichen Abwehrspieler durch. Gerade am Flügel verlor Paris sehr viele Bälle in Gleichzahl und konnte sich nur selten durchsetzen. Beispielsweise verzeichnen Marcelo und Carvajal phänomenale zwölf Balleroberungen durch Tackles. Die Pariser Außenverteidiger halten mit einem einzigen Tackle dagegen.

Casemiro als Libero in der Flügelverteidigung
Ein interessantes Detail der Abwehrarbeit bildete die Rolle Casemiros: Da die Pariser keinen Zehner aufboten und die Achter selten aufrückten, blieb sein Raum oftmals unbesetzt. Dafür hatte Unai Emerys Team oft einen der Achter mit am Flügel, was Reals Flügelstürmer in der Mitte band. Als Reaktion darauf rückte einige Male Marcelo oder Carvajal auf den gegnerischen Außenverteidiger heraus und der Innenverteidiger dahinter übernahm den jeweiligen Pariser Flügelstürmer. Ebenso mussten Ramos und Varane zuweilen herausrücken, um die Außenverteidiger im Eins-gegen-Eins abzusichern.
In diesen Situationen ließ sich Casemiro dann einige Male in die Abwehrlinie zurückfallen und agierte quasi als Libero. Dadurch schienReal stabiler bei Flanken und die ballnahen Abwehrspieler konnten aggressiver agieren und mehr Bälle erobern. Bei Abprallern in den Sechserraum rückte Casemiro dann wieder wuchtig heraus. Diesen Raum so zu öffnen, hätte durchaus ins Auge gehen können, doch der Ligue-1-Klub verpasste es, auf diesen Mechanismus zu reagieren.

Überladungsspieler statt Mittelstürmer
Auch in der Offensive zeigten sich flexible Rollen bei den Gästen. Das klassische 4-4-2 besitzt oftmals das Problem, wegen des fehlenden dritten Zentrumsspielers ein schwaches Ballbesitzspiel zu haben. Real spielte bei Ballbesitz dann aber eher ein 4-4-2-0, denn die beiden nominellen Mittelstürmer waren nur selten auch im Angriffszentrum zu finden. Benzema und Ronaldo rochierten noch mehr ins Mittelfeld als sonst und wichen vor allem immer wieder auf die Flügel aus. Damit übernahmen sie teilweise die Funktion, die Kroos und Modrić sonst haben: Durch frühzeitiges Ausweichen und Zurückfallen aus der Position Überzahlen herzustellen und damit den Ballbesitz zu sichern und das Tempo aus dem Spiel zu nehmen.

Ein sehr wirkungsvoller Nebeneffekt dieser Änderung: Reals Flügelüberladungen fanden in dieser Partie weiter vorne statt als in anderen Partien. Während die Spanier den Ballbesitz sonst auf Höhe der Abwehr festigen, wurde der Ball gegen Paris oft auf Höhe des Mittelfelds gehalten – und damit im Rücken der Pariser Außenstürmer. Durch die mangelnde Rückwärtsarbeit von Mbappé und Di María schien das zum einen leichter umsetzbar. Und zum anderen wurden die beiden dadurch nach hinten gezwungen und Madrid besaß oft einen zusätzlichen Spieler in dieser Zone, um Konter über die beiden Dribbler zu verhindern.
So konnte Real mit und gegen den Ball eine gute Stabilität erzeugen und dann im richtigen Moment zuschlagen. Beim ersten Treffer wurde der Ball durch das kompakte Mittelfeld erobert. Dann waren zunächst Ronaldo und auch Benzema in Flügelpositionen, was wiederum Raum für Vázquez eröffnete, der dann den startenden CR7 am zweiten Pfosten bediente.
Dank Zidanes personeller wie taktischer Variabilität entwickelte sich das Spitzenspiel der Königsklasse zu einem kontrollierten und souveränen Auswärtssieg des doppelten Titelverteidigers gegen die finanzstarken und (mal wieder) auf ganzer Linie gescheiterten Franzosen.
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