
Cheryshev als Linksverteidiger, Di María mimt Alonso
LYON. Nach dem locker-leichten 6:0-Testspielsieg über AFC Bournemouth stand heute ein erstes „Spitzentestspiel“ an – ein Härtetest gegen Olympique Lyon, das schon länger in der Vorbereitung für den Liga-Start am 10. August steckt. Wie es sich für ein Freundschaftsspiel gehört, probierte Carlo Ancelotti einiges aus – am System angefangen, das auf dem Spielplan ein 4-3-3 sein sollte, in der Praxis (und vor allem in Halbzeit eins) aber erneut eher als 4-1-3-2 ausgelegt wurde – mal so mal so.
In Halbzeit eins durften die Merengues gleich mal spüren, auf welchem Stand der Vorbereitung sie sich befinden – noch ganz am Anfang. Die Franzosen legten auf die Art und Weise los, wie man es aus ihren „Angstgegner-Zeiten“ kennt, unangenehm! Früh wurde die wenig eingespielte und (bis auf Routinier und Kapitän Pepe) sehr junge Madrid-Defensive unter Druck gesetzt. In einer (für Lyon) verheißungsvollen Anfangsphase, prüfte Clément Grenier gleich mal Diego López mit einem platzierten Schuss aus 22 Minuten. Der Wackelpudding-Eindruck des Defensiv-Verbundes bestätigte sich, Klärversuche fielen unkonsequenterweise zu kurz aus, vom bissigen Lisandro López ließ man sich zu oft auf der Nase rum tanzen. Die nächsten Torgelegenheiten der Hausherren: ein Lisandro-Schuss sowie ein Danic-Kopfball, der sich knapp hinter López‘ Latte auf’s Dach senkte. Vor allem mit Ancelottis Devise, die Außenverteidiger sollen sehr zentral stehen, kam nur der mal wieder lobenswert bemühte Dani Carvajal klar – Denis Cheryshev als Neuling auf dieser (aber in den bisherigen Trainingseinheiten oft eingesetzten) Position, nicht ganz. Und nach vorne? Wenig! Die Außenverteidiger gingen erneut weit mit, auch in die Mitte rein – wie schon am Sonntag wurde das Überzahlspiel angestrebt. Doch wo die Königlichen in Bournemouth noch Gegenspieler wie Slalomstangen aus- und umspielen konnten, ließ es „OL“ schon viel druckvoller angehen. Es wurde versucht, das Bällchen laufen zu lassen und selbst Cristiano Ronaldo ließ die ein oder andere Schussgelegenheit aus, um lieber einen Kollegen zu bedienen – interessant aber erfolglos. Wenn dann mal einige Doppelpässe und Kombinationen funktionierten, rochen die Franzosen jedoch den vertikalen Pass in den Strafraum – ließen Benzema und Ronaldo im Abseits stehen oder fingen den Schnittstellenpass von Özil oder Isco ganz einfach ab.
In Asier Illarramendi fand sich wohl die „ärmste Sau“ auf dem Platz – allein auf weiter Flur versuchte er dem Spiel Ruhe zu verleiten, doch allein gegen alle und nach einem Zweikampf mit Schmerzen, nahm Madrids Trainer den Angeschlagenen nach 35 Minuten für Carlos Casemiro raus. Da stand es bereits 1:0, Grenier war in Traumtorstimmung und versenkte eine Lacazette-Flanke mit Rücken zum Tor in bemerkenswert unnatürlicher Haltung genauso bemerkenswert unhaltbar im Tor der Spanier. Eine Fehlerkette ging dem Tor in Minute 21 voraus: bei einem Einwurf in der eigenen Hälfte setzten die Lyonnais Madrid direkt unter Druck, eroberten den Ball, spielten dann geordnet, zielstrebig, einsatzfreudig oder kurz: eingespielt! Ángel Di María und Cheryshev erneut (scheinbar beabsichtigt und unter Vorgabe) sehr passiv auf der Außenseite und als der Franzose dann die (gute) Flanke schlug, waren sie zu spät, um den Assist zu verhindern.
Di María schien anfangs eh nicht genau zu wissen, wohin mit ihm. Teilweise sah man ihn eher als Alonso-Ersatz die Angriffe koordinieren. Seine gefährlich-schnellen Flügelattacken gab es selten, zu selten. Madrids erstes Schüsschen ging dennoch von ihm aus, aus der Zentrale. Dort wo sich Ronaldo (heute lange nicht so spielfreudig wie am Sonntag) und der oft ausgepfiffene Ex-Lyonnais Benzema erneut abwechselten. Dass er von nun an Madrids Nummer 1 im Sturm sein soll? Das Selbstbewusstsein und die Gewissheit darüber strahlte der Franzose noch nicht aus. Einen brauchbaren Angriff der Merengues sollte es noch geben – aber nur, weil Lyon weit aufgerückt und den Spaniern viel Platz ließ. Für Mesut Özil hätte man eine Vermisstenanzeige bis dato aufgeben können – doch kurz vor der Halbzeit nutzte er den Platz, schmiss den Turbo an, zog Gegenspieler auf sich und legte am Strafraum quer rüber auf Ronaldo. Doch der 28-Jährige hatte erneut die „Alles fürs Team“-Buchse an und legte noch mal rüber auf den gestarteten Di María, dessen Schuss vom heute überragenden Lyon-Schlussmann Anthony Lopes pariert wurde.
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Lyon bissiger, eingespielter – aber Madrid kämpft sich zurück
Viel Luft nach oben für die zweiten 45 Minuten. Mit völlig neuer Luft starteten Sami Khedira, Luka Modric und Antonio Adán – sie kamen für Benzema, Özil und López. Ancelotti wechselte in der Folge sein Team noch weiter durch, schenkte allen Castilla-Jungs Spielzeit und ließ lediglich Cheryshev, Nacho und Di María durch spielen. Und direkt sah es besser, zielstrebiger aus. Vermutlich jedoch auch, weil Lyon etwas Druck ab ließ und Ancelotti sein Team umstellte. Di María blühte auf dem bekannten rechten Flügel förmlich auf, mit Khedira und Modric kamen Stabilität, Ballbehauptung und Kampfbereitschaft. Nach einem Luftzweikampf zwischen Casemiro und Lyon-Keeper Lopes wurde es sogar noch recht hitzig, das Publikum hatte ohnehin wenig für die spanischen Gäste übrig – wen wundert’s. Doch in gerade dieser intensiven Phase, wo die Königlichen immer mehr Kontrolle übernahmen und dem Ausgleich näher standen als Frankreichs Vorjahresdritter dem zweiten Tor, passierte es: das 2:0! Lisandro erwies sich die ganze Zeit als unangenehmer, bissiger und mächtig einsatzfreudiger Gegenspieler, dem die weiße Innenverteidigung nicht gewachsen war. In Minute 61 vermissten die Zuschauer erneut die Ordnung um Pepe, Nacho und Co und schlussendlich versenkte Lisandro die Kugel in Adáns Kasten.
Doch Ancelottis Mannen gaben nicht auf! Auch wenn die Hausherren weiterhin schon bei der Ballannahme störten und dem ein oder anderen dadurch sicher die Laune raubten, kämpfte sich Madrid zurück – ein nimmermüder Modric und felsenfester Casemiro sind hier hervorzuheben. Álvaro Morata hatte den Anschlusstreffer bereits auf dem Fuß, nachdem der Kroate klasse den Ball erkämpfte, doch er scheiterte an Lopes, der in der Folge noch eine Menge hohe Bälle pflücken sollte. Eigentlich schon geschlagen war er beim folgenden Kopfball von Modric, der nach hübscher Di-María-Vorarbeit aus kurzer Distanz jedoch nur die Latte zum Wackeln brachte. Der spanische Druck stieg weiter an, das Selbstvertrauen ebenfalls. Cheryshev zeigte mal wieder seine Offensiv-Qualitäten und wurde nach Hacken-Doppelpass von Modric im Strafraum zu Fall gebracht – Ronaldo-Ersatz Morata übernahm Verantwortung und verwandelte souverän vom Elfmeterpunkt. 22 Minuten noch, beide Mannschaften schenkten sich nicht viel, bissen auf die Zähne. Letzten Endes gab wohl den Ausschlag, wer die meiste Motivation auf individuelle „Vorbereitungs-Punkte“ verspürte – Casemiro gehört scheinbar dazu. Bei einer Di-María-Ecke in der 84. Minute sprang er mit am höchsten und köpfte den inzwischen gerechtfertigten Ausgleich.
Das 2:2 hatten sich die Spanier in Halbzeit zwei auch verdient! Lyon ist schon länger in der Vorbereitung, gab ohne Trainer- und Systemwechsel einen rundum fitteren und eingespielteren Eindruck ab – logisch. Und trotz der großen Unsicherheiten in der Abwehr und im ungewohnten und interessant umgesetzten 4-3-3 kämpften sich die Blancos zur ersten, wenn auch später mal bedeutungslosen „Remontada“ – einer Aufholjagd – zurück! Der 54-jährige Übungsleiter hat einiges ausprobiert und wird mit reichlich neuen Erkenntnissen die weitere Vorbereitung bestreiten. Lyon ist kein Bournemouth, aber Testspiel ist Testspiel. Das nächste: am Samstag um 20 Uhr in Götheborg gegen Ancelottis Ex-Klub Paris St. Germain!
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