
Hat „Carletto“ einen Plan B?
MADRID. Als Carlo Ancelotti das letzte Mal in einem Derby eine Reihe von Stammspielern nicht zur Verfügung standen, endete dies in einem Debakel. Beim schmachvollen 0:4 im Calderón im Februar ging Real ohne Luka Modric, James Rodríguez, Marcelo, Sergio Ramos und Pepe sang- und klanglos unter. Nach den niederschmetternden 90 Minuten konnte man fast von einer Machtablösung in der spanischen Hauptstadt sprechen, da das Team von Diego Simeone in dieser Partie den Blancos nicht zum ersten Mal in dieser Spielzeit deutlich die Grenzen aufzeigte. Bereits in den fünf Duellen zuvor gab es wenig zu holen für die Mannen von „Carletto“, drei Niederlagen und zwei Unentschieden sprechen eine deutliche Sprache. Die „Rojiblancos“ schafften es dabei in nahezu jeder Partie, die Königlichen durch ihr körperbetontes und aggressives Spiel zur Verzweiflung zu treiben. Selbst wenn Ancelotti dabei, anders als bei der Schlappe im Calderón, seine Top-Elf zur Verfügung stand, fielen Cristiano Ronaldo und Co. wenig ein – und dem italienischen Cheftrainer auch nicht. Es hatte zeitweise den Anschein, als gäbe es keinen Plan B.
Beim 0:0 vergangenen Dienstag bot sich den Zuschauern allerdings ein anderes Bild als in den Begegnungen zuvor. Über die gesamte erste Hälfte hatte man die Kontrolle über die „Matratzenmacher“ und das Spiel. Mit Modric und James auf den Halbpositionen präsentierte man sich extrem ballsicher und bei Atléticos gefährlichen Gegenstößen voll auf der Höhe und mit der nötigen Robustheit. Nur vor dem Tor haperte es ein wenig. Mit zunehmender Spieldauer und der fortschreitenden Erschöpfung des zuvor länger verletzten Modric kam Atlético jedoch wieder besser ins Spiel und hätte in der Schlussphase mit ein wenig Glück sogar selbst in Führung gehen können. „No Luka, no Party“, könnte man sagen. Ohne den kroatischen Spielmacher läuft gegen Top-Teams wenig bis gar nichts – eine Lösung konnte „Carletto“ dafür bislang auch nicht präsentieren.
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Daraus zu schließen, Ancelotti wäre kein fähiger Trainer, ist natürlich zu weit gegriffen. Allein ein Blick auf seine Erfolgshistorie sollte genügen: drei Champions-League-Titel, Meisterschaften in Italien, England und Frankreich, Pokalsiege und Klub-Weltmeister-Titel. Für das Starensemble der Blancos ist der 55-Jährige eigentlich der perfekte Trainer, da er es wie nur wenige versteht, die zahlreichen Superstars auf menschlicher Ebene anzuführen und bei Laune zu halten. Doch in den Duellen mit seinem elf Jahre jüngeren Kollegen Simeone sah er diese Saison überwiegend alt aus. Taktisch hatte der Argentinier, mit Ausnahme des Hinspiels zuletzt, mehr zu bieten. Mit den Ausfällen von Modric, Gareth Bale, Karim Benzema (alle verletzt) sowie Marcelo (Gelbsperre) steht Ancelotti vor dem Rückspiel nun vor seiner wahrscheinlich größten Aufgabe seit seinem Amtsantritt, kann nun aber endgültig beweisen, dass er mehr ist als nur der „perfekte Psychologe“. Er muss zeigen, dass er aus den Fehlern der letzten Derbys gelernt hat.
4-4-2 oder gar vielleicht 4-2-3-1?
Würde Real einfach positionsgetreu auf die Ausfälle reagieren und an seinem gewohnten 4-3-3 festhalten, liefe folgende Elf auf: Casillas – Carvajal, Pepe, Ramos, Coentrão – Isco, Kroos, James – Jesé, „Chicharito“, Ronaldo. Dass ein Dreier-Mittelfeld aus Kroos, Isco und James gegen ein Atlético, das seine große Stärke im Umschaltspiel besitzt, wohl die falsche Variante sein dürfte, ist spätestens seit dem 0:4 offensichtlich. Dort spielte statt James zwar Sami Khedira, aber trotzdem zeigte sich mehr als deutlich, dass diese Mittelfeld-Formation gegen diesen Gegner nur mit Spielertypen wie Modric und James, oder in der vergangenen Saison Ángel Di María, funktioniert. Es bedarf spezieller Akteure, die die perfekte Balance zwischen Offensive und Defensive auf sich vereinen. Im Falle von Isco ist dies, bei all seinen offensiven Qualitäten, nur bedingt der Fall. Und ob ein Jesé, der seit seinem Comeback immer noch nicht seine Form gefunden hat, die richtige Besetzung für diese Partie darstellt, ist zudem zweifelhaft.
Am wahrscheinlichsten ist, dass die Blancos in einem kompakten 4-4-2 antreten. An der Zusammensetzung der Viererkette aus Carvajal, Pepe, Ramos und Coentrão gibt es wenig Zweifel. Genauso wenig, dass Kroos eine der Sechser-Positionen besetzen wird, Isco und James über Außen kommen und Ronaldo und „Chicharito“ das Sturmpaar bilden werden. Für den Platz neben Kroos kommen nominell Khedira oder Asier Illarramendi in Frage. In den großen Spielen schenkte Ancelotti dabei oft dem deutschen Nationalspieler das Vertrauen, da dieser jedoch seit dem 10. März kein Pflichtspiel mehr absolviert hat, wäre dieser Einsatz nicht risikolos. „Illarra“ zeigte nach seiner Einwechslung gegen Málaga eine ordentliche Vorstellung und betonte „bereit“ zu sein, „wenn Ancelotti mich braucht“. Rein nach Betrachtung der Form wäre der Spanier die bessere Alternative. Denkbar ist aber auch, dass „Carletto“ auf einen Taktik-Kniff aus der Ära José Mourinhos zurückgreift, Pepe ins Mittelfeld stellt und den im Hinspiel überragenden Varane neben Ramos in die Kette beordert. Dass die Merengues in dieser Formation auflaufen, gilt als ziemlich sicher. Die Besetzung der vakanten Sechser-Position ist jedoch noch offen.
Würde man sich alleine nach den verfügbaren Spielertypen richten, scheint auch ein 4-2-3-1 möglich. Vor der Viererkette könnte man Toni Kroos einen defensiv ausgerichteten Spielertypen zur Seite stellen, um den Deutschen im Aufbau zu entlasten. Isco würde auf seiner angestammten Position des Zehners wirbeln, flankiert von den Außen James und Ronaldo. Da CR7 mit Coentrão einen weit defensiver eingestellten Außenverteidiger als Marcelo hinter sich weiß, könnte der Portugiese offensiver und als eine Art hängende Spitze hinter Stoßstürmer „Chicharito“ agieren. Ronaldos Gegenpart James würde dabei in einer etwas tieferen Position fungieren, um dem Spiel die nötige Balance zu verleihen und bei Bedarf das Zentrum zu stärken. Da Ancelotti dieses System jedoch seit über einem Jahr nicht mehr eingesetzt hat, ist eine derartige Aufstellung eher unwahrscheinlich.
Ancelotti muss liefern
Unabhängig vom System muss der italienische Fußball-Lehrer im nun mehr schon achten Saison-Derby endlich beweisen, dass auch er zu taktischen Anpassungen in der Lage ist. Je nach Verlauf des Spiels müssen die Königlichen fähig sein, zu reagieren. So, wie es Simeone oft tut – und auch getan hat. Gegen den FC Bayern bewies Ancelotti letztes Jahr in der Champions League (1:0 und 4:0), dass er durchaus in der Lage ist, das Spiel seines Teams auf den Gegner einzustellen. Gegen den Stadtrivalen gilt es nun zu zeigen, dass er auch mit dezimiertem Personal aus wenig viel machen kann. Denn eines ist in einem K.o.-Wettbewerb wie der Königsklasse klar: Entschieden werden dort die Partien mitunter nicht nur von den Spielern, sondern auch von den Trainern. Wer sich vertut, wird aller Wahrscheinlichkeit seine Sachen packen müssen. Bislang erwies sich Ancelotti als hervorragender Moderator eines Teams voller Superstars, die es aufgrund ihrer individuellen Klasse in erster Linie in die richtigen Bahnen zu lenken galt. Nun kann er demonstrieren, dass er auch ein großer Taktiker ist. Mit Simeone trifft er dabei auf einen der schwerstmöglichen Gegner…
Mañana jugamos todos!! / We all play tomorrow !! / Domani giochiamo tutti!! #HalaMadrid #JuntosAPorLaUndecima pic.twitter.com/gB9J7PNFAw
— Carlo Ancelotti (@MrAncelotti) 21. April 2015
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