
Als die rechte Abwehrseite eine Baustelle war
MADRID. Es gab Zeiten, da befand sich das selbstbewusste, stets von sich überzeugte und unerschütterliche Real Madrid am Rande der Verzweiflung. Nachdem sich Míchel Salgado 2009 nach zehn Jahren im Trikot der Königlichen aus dem Santiago Bernabéu verabschiedet hatte und Sergio Ramos zwei Jahre später zum Innenverteidiger umfunktioniert worden war, fiel den Verantwortlichen die Neubesetzung einer Position so schwer wie selten zuvor.
Im Zuge des wilden Transfer-Sommers 2009 kehrte Álvaro Arbeloa vom FC Liverpool zurück zu seinem Herzensverein. Ein Akteur, der jedoch eher ein Defensiv-Arbeiter der alten Schule war. Will heißen: Einer, der seine Aufgaben in der Abwehr ordentlich erledigte, aber technisch limitiert war, kein sonderlich hohes Tempo aufwies und im Spiel nach vorne daher eher zurückhaltend agierte. Anders formuliert: Niemand, mit dem man stolz angegeben hat.
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José Mourinho, der das Zepter an der Concha Espina 2010 übernahm, schätzte Arbeloa unabhängig davon wie kaum einen anderen Profi bei Real. Zwischen ihm und dem „Special One“ passte kein Blatt Papier. Nichtsdestotrotz behielt Mourinho immer wieder ein Auge auf dem Transfermarkt, um die rechte Seite zu verstärken. Weil aus einer Verpflichtung von Inter Mailands Maicon nichts werden sollte, blieb die rechte Verteidigung eine Schwachstelle. Mit Lassana Diarra, Hamit Altintop und Michaël Essien halfen unter Mourinho als Arbeloa-Alternativen gelegentlich Spieler aus, deren Hauptpositionen im Mittelfeld lagen.
Carvajal kommt und krallt sich die Position
Als der Star-Trainer nach drei Jahren ging, ging mit ihm auch das Rechtsverteidiger-Problem. Ein gewisser Daniel Carvajal kam nämlich zurück. Der damals 21-jährige Spanier, von 2002 an in der Jugend der Madrilenen ausgebildet, wurde bereits nach seiner hervorragenden Premieren-Saison bei Bayer 04 Leverkusen von Real per Rückkaufoption für 6,5 Millionen Euro zurückgeholt. Er beanspruchte die Defensiv-Seite umgehend für sich und kommt seitdem in jeder Saison auf mehr Einsätze als sein jeweiliger Konkurrent.
Während das Verdrängen von Arbeloa wegen dessen fortschreitenden Alters – er kam mit 26 und verließ Real im Frühjahr 2016 mit 33 – eine ganz natürliche Konsequenz war und niemanden überraschte, forderte Real Carvajal im Laufe der Zeit mit zwei nicht gerade günstigen und erfolgshungrigen Außenverteidigern jeweils neu heraus. Danilo wurde 2015 für 31,5 Millionen Euro vom FC Porto losgeeist, Álvaro Odriozola 2018 für 30 Millionen Euro von Real Sociedad. Eigentlich soll Konkurrenz das Geschäft ja beleben, unter dem Strich haben die Königlichen mit dem Duo aber eher 60 Millionen Euro in den Sand gesetzt.

Gar nicht erst versuchen: Hakimi kneift vor Carvajal
Keiner der beiden konnte der Nummer 2 den Posten hinten rechts ernsthaft streitig machen. Einerseits aufgrund eigener nicht wirklich überragender Leistungen. Auf der anderen Seite aber eben auch, weil Nationalspieler Carvajal mit seiner defensiven Härte und offensiven Galligkeit schlichtweg nicht zu bezwingen war. In der Saison 2017/18, nachdem Danilo schon wieder gegangen war und bevor Odriozola kommen sollte, hielten die Verantwortlichen um Trainer Zinédine Zidane den damals 18-jährigen Achraf Hakimi als Backup für ausreichend. Der in Madrid geborene Marokkaner war vielmehr Lehrling anstatt Carvajal-Rivale.
Jetzt, drei Jahre später, hätte das ganz anders aussehen können. Hakimi entwickelte sich in den letzten beiden Spielzeiten auf Leihbasis bei Borussia Dortmund hervorragend, sei nach Ansicht seines Beraters Alejandro Camaño zum weltbesten Rechtsverteidiger neben Trent Alexander-Arnold vom FC Liverpool aufgestiegen. Eine Aussage, die sich mit der Unterschrift des inzwischen 21-Jährigen bei Inter Mailand allerdings gehörig beißt. Hakimi ging nach Italien und versuchte es als nun besserer Spieler gar nicht erst in Madrid, weil Carvajal dort ist. „Ich denke nicht, dass eine Rückkehr zu Real Madrid aufgrund der Präsenz eines Spielers wie Dani Carvajal günstig gewesen wäre“, so Camaño.
Auch wenn das taktisch günstigere System bei Inter (3-5-2 statt Reals meist praktiziertes 4-3-3) und die hohe Wertschätzung von Antonio Conte ebenso gewichtige Wechsel-Gründe gewesen sind, lässt sich konstatieren: Hakimi hat vor Carvajal gekniffen. So wie sich Danilo nach zwei Jahren Richtung Manchester City aus dem Staub gemacht hat, weil ihm klar wurde, dass das mit einem Stammplatz nichts wird. Odriozola verschwand derweil im Januar leihweise zum FC Bayern München, wo er aber ebenso nicht spielt.
Carvajal macht begreifbar, warum Hakimi ging
Carvajal steckt sie alle in die Tasche. Und schon am Sonntag hat er vielen gezeigt, warum Hakimi lieber einen anderen Weg gehen will. Nur drei Tage nach der offiziellen Transfer-Verkündung legte Carvajal beim 1:0-Auswärtserfolg gegen Athletic Bilbao mit einem starken Stellungsspiel, cleveren Zweikampfverhalten und gesunden Maß an Aggressivität eine Spitzenleistung hin, die REAL TOTAL mit der Note 1,5 würdigte. Tritt er weiter so auf, ist er hinten rechts mit seinen erst 28 Jahren auch in Zukunft völlig zurecht die unangefochtene Nummer eins – und Real so weit von dem Zustand einer Verzweiflung entfernt, dass sogar ein vielversprechender Youngster wie Hakimi verkauft wird…
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