
REAL TOTAL analysiert, auf welche taktische Ausrichtung sich Real Madrid einstellen muss und zeigt die Achillesferse des BVB auf.
1. Taktische Grundordnung und Spielidee
In der Bundesliga agierte der BVB zu Saisonbeginn oftmals im 4-2-3-1 respektive 4-3-3 – analog zur national erfolgreichen Vorsaison. Da mit Jude Bellingham der Ballschlepper nicht mehr im Aufgebot der Borussen stand, krankte das Offensivspiel des BVB trotz guter Flügelspieler immer wieder. Um dieser Problematik Herr zu werden, gestaltet das Team von Edin Terzic seit vielen Wochen in der Regel aus einem Dreieraufbau mit einem eingerückten Außenverteidiger (zumeist Maatsen).

In der Champions League hat sich der BVB-Coach jedoch zumeist für einen anderen Ansatz entschieden. Gegen Paris St.-Germain agierte der deutsche Vizemeister der Vorsaison aus einem kompakten 4-1-4-1-System – zumeist im Mittelfeld- oder Abwehrpressing.

Grundsätzlich scheint den „Schwarz-Gelben“ die Rolle als Außenseiter gut zu liegen. So sind die Borussen ähnlich leidensfähig wie die Königlichen. Mit insgesamt 1.386 zurückgelegten Kilometern (115 Kilometer/Spiel) ist der Wert sogar etwas höher als bei den Madrilenen (114,6 Kilometer/Spiel). Mit 207 direkt gewonnenen Zweikämpfen (529 gewonnene Bälle) sind die Dortmunder das zweikampfstärkste Team – vor den Blancos (175 direkt gewonnene Zweikämpfe, 429 Ballgewinne). Ein Indikator dafür, dass die jeweiligen Pressingstrategien funktionieren.

Für Real Madrid wird daher entscheidend sein, dass man die gewohnte Stabilität im eigenen Ballbesitz aufweist. Dabei dürfte Toni Kroos, der sich immer wieder intelligent im Halbraum zwischen Innen- und Außenverteidiger bewegt, ein wichtiger Faktor werden. Sind die Königlichen im eigenen Ballbesitz stabil, bricht eine große Stärke des BVB weg. Denn die Passquote von 91,7 Prozent (im Vergleich dazu Dortmund: 82,7 Prozent, Platz 21) ist nach Manchester City (93,6 Prozent) der absolute Top-Wert der Königsklasse.
2. Verbindungsspieler Bellingham schmerzlich vermisst
Mit Blick auf den Spielerkader ist es dem BVB nicht gelungen, den im Sommer nach Madrid abgewanderten Jude Bellingham adäquat zu ersetzen. Zwar haben die Dortmunder den Weg ins Champions-League-Finale auch ohne ihren früheren Leader gefunden, dennoch tun sich die Dortmunder aus aktiven Ballbesitzphasen schwerer, Torchancen zu generieren. So war Bellingham mit seiner Dynamik der Dreh- und Angelpunkt im Mittelfeld des BVB. Zum einen schleppte er den Ball immer wieder ins letzte Drittel. Zum anderen erzielte er in seiner letzten Spielzeit in Dortmund wettbewerbsübergreifend 14 Treffer bei sieben Assists und einigen Pre-Assists.

Diese Qualitäten hat der an die Concha Espina transportiert, wobei er in der spanischen Hauptstadt weniger als Ballschlepper, sondern vielmehr als Vollstrecker und Fixpunkt im letzten Drittel agiert (23 Tore, 10 Assists). Während der 20-Jährige in Madrid keinen geringen Anteil an der 36. Meisterschaft hat, tut sich der BVB seit dem Bellingham-Abgang vor allem im eigenen Ballbesitz mitunter denkbar schwer.
3. Gefährliches Champions-League-Gesicht
In der Bundesliga erwischten die Borussen nicht zuletzt aufgrund des Verlusts ihres Anführers eine enttäuschende Saison. Nach der denkbar unglücklich verpassten Meisterschaft in der Vorsaison landete der BVB in dieser Spielzeit mit 63 Zählern (magere 1,85 Punkte/Spiel – Real Madrid holte im Vergleich dazu 2,5 Punkte/Spiel) hinter Meister Bayer 04, Stuttgart, Bayern und Leipzig auf Platz fünf. Lediglich die Tatsache, dass die Bundesligaklubs international derartig gut performten, dass der deutschen Top-Liga ein fünfter Königsklassenplatz zusteht, sicherte dem BVB für die kommende Saison eine erneute Teilnahme am bedeutsamsten Europapokal.

Mit Blick auf die Statistiken wird deutlich, dass sich der Spielstil der „Schwarz-Gelben“ in der Champions League deutlich von jenem in der Bundesliga unterscheidet. Während der BVB in der Spielzeit 2023/24 im deutschen Oberhaus im Durchschnitt 57 Prozent Ballbesitz aufweist, ist die Quote in der Königsklasse rund 10 Prozent geringer. Das bedeutet, dass die Dortmunder in den Duellen auf internationalem Top-Niveau in der Regel nicht dafür zuständig waren, das Spiel zu gestalten.
Aus einer defensiv kompakten Grundordnung gelang es den Borussen immer wieder, das durchaus vorhandene Tempo von Malen und Co. zu nutzen. Auf diese Weise eliminierten die Schützlinge von Edin Terzic nicht nur den französischen Hauptstadtklub, sondern bezwangen auch den FC Bayern im Rückspiel der Bundesligasaison (2:0). Analog zu den PSG-Duellen (43 Prozent Ballbesitz im Hinspiel, 30 Prozent Ballbesitz im Rückspiel) hatte der BVB auch in München wenig Ballbesitz (39 Prozent), nutzte seine Chancen jedoch eiskalt. Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass sowohl die Bayern als auch PSG in jedem Duell mehr Schüsse in Richtung Tor aufwiesen. Zudem scheiterte PSG in Hin- und Rückspiel insgesamt sechsmal (!) am Aluminium.
4. So kann Real dem BVB wehtun
Schaut man sich die Saison des BVB in der Bundesliga an, erscheint die Defensive als verletzliche Achillesferse der Borussia. 43 Gegentore hat man in 34 Partien schlucken müssen (1,26 Gegentore/Spiel) – damit verteidigte der BVB national deutlich schwächer als Real Madrid (0,68 Gegentore/Spiel). In der Königsklasse stellt sich die Situation jedoch andersherum dar: So kassierte der BVB in den zwölf bisherigen Partien gerade einmal neun Gegentore bei sechs „weißen Westen“ (0,75 Gegentore/Spiel). Reals Schlussmänner mussten hingegen schon 15 Mal hinter sich greifen (1,25 Gegentore/Spiel, drei „weiße Westen“). Insbesondere Nico Schlotterbeck und Mats Hummels wirkten zuletzt so sicher wie lange Zeit nicht mehr.

Verwundbar ist die Borussia aber immer dann, wenn der Gegner stabilen Ballbesitz und ein dominierendes Mittelfeldzentrum kombiniert. Gelingt es den Merengues, mit einem freien Fuß in Richtung Viererkette anzudribbeln, dürften sich „Viní“ und Co. vielversprechende Räume öffnen.

Ebenfalls denkbar ist, dass Ancelotti versucht, seinen Super-Dribbler in Eins-gegen-Eins-Situationen zu bekommen. Die ist beispielsweise durch das gezielte Überladen der anderen Seite und anschließendem Verlagern auf Vinícius möglich, wie die Blancos es im Duell mit dem FC Bayern und Kimmich bereits immer wieder versucht haben. Gelingt das, dürfte Viní gegen beide BVB-Außenverteidiger klare Vorteile im Eins-gegen-Eins haben.
Fazit
Real Madrid steht am Samstag im Wembley-Stadion sicherlich vor einer schweren Aufgabe. Der BVB hat in der Königsklasse trotz aller Probleme in den nationalen Wettbewerben eine außergewöhnliche Saison gespielt – von der Todesgruppe bis zum Halbfinale. Dabei präsentierten sich die Borussen defensiv stabil und eiskalt vor dem gegnerischen Tor.
Dennoch sind die Voraussetzungen für den Rekordchampion aus Madrid gut. So sprechen die Dominanz im Mittelfeld, die damit einhergehende Stabilität im Ballbesitz und die enormen Eins-gegen-Eins-Qualitäten von Vinícius und Co. für Real. Hinzu kommt, dass die Blancos in den größten Spielen auf der größtmöglichen Bühne in den vergangenen Jahren nahezu immer abgeliefert haben. Die DNA der Königlichen, gepaart mit der Macht des Real-Wappens und der geballten Erfahrung spricht für einen Sieg des Favoriten. Dass der BVB leidensfähig ist, haben die „Schwarz-Gelben“ aber spätestens im Parc des Princes bewiesen.
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