In der 2.Halbzeit sah das ja dann aber stabiler aus. Wonach hat das deiner Meinung nach gelegen? Ging Dortmund einfach die Puste aus oder was hat man angepasst?
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Die Veränderung nach der Halbzeitpause war ziemlich witzig, irgendwie auch ideal. Ich persönlich wäre niemals auf die Idee gekommen und hätte einfach Camavinga streng auf die 6 gestellt mit der Anweisung nur gelegentlich vorzustoßen, Rodrygo streng auf den rechten Flügel positioniert (dann können Carva oder Valverde im Positionsspiel mit Rodrygo häufiger über die Mitte für Unruhe sorgen etc.) und Bellingham verpflichtet mehr 10er anstatt eine falsche 9 zu sein.
Ancelotti ist genau deshalb meiner Meinung nach nicht so ein Detailfuchs. Er erkennt durchaus die Probleme und löst sie stattdessen pragmatisch. Er reagiert mehr auf den Gegner statt auf die Fehler seines Teams und findet diese irrwitzige Lösung:
In der ersten Halbzeit pressten wir immer vor der Mittellinie, also fing das Pressing immer in der gegnerischen Hälfte an. So hatten wir viel Ballbesitz mit dem wir wegen der Positionierung von Rodrygo und Bellingham sehr wenig anfangen konnten. Uns fehlten einfach durchgehend 2 Spieler. Weil Dortmund machte die Mitte krass zu und lief sehr gut bzw. koordiniert an. Daher spielten wir nur noch im "U" den Ball um Dortmund, bis wir den Ball ohne Aussicht auf eine Torchance verloren haben.
In der zweiten Hälfte dagegen fingen wir an – wie gegen andere Top Teams – uns in die eigene Hälfte zurück zu ziehen, sobald die Schwarzgelben den Ball hatten und warteten mit dem Pressing bis Dortmund "angriff". Dortmund war mit dieser Situation komplett überfordert. Sie haben vor allem nach der ersten Hälfte erwartet zu kämpfen und hinten gut stehen zu müssen und gingen nicht davon aus, plötzlich selbst das Spiel zu machen. Zudem konnten sie mit diesem Ballbesitz nicht viel anfangen, weil sie es schwer hatten sich durchzukombinieren. Damit nahm man Dortmund ihre Stärke: Das blitzschnelle kontern. Es kam zwar hin und wieder noch zu Vorstößen, weil immer noch keiner klar vor Rüdiger und Nacho positioniert war und die Lücke abdichtete, aber sie waren auf jeden Fall eingeschränkt, weil im Mann gegen Mann Spiel haben sie einfach keine Chance. Und das haben Terzic und Sahin niemals kommen sehen. Niemals haben sie nach der ersten Hälfte gesagt: Passt auf, vllt zieht Real sich zurück und dann beachtet dies und das. Vielmehr motivierten sie ihre Spieler, lobten sie für ihre Leistung und gaben wahrscheinlich noch einzeln Anweisungen, um Dinge noch besser zu machen. Aber es kam ganz anders:
Jetzt musste Dortmund bei jedem Ballverlust nach hinten Sprinten. Die Energie ging aus und unsere Spieler hatten endlich mehr Platz. Vini kam mehr zu Einzelaktionen, weil Dortmund nicht mehr so tief bunkerte wie zuvor. Einmal machte Mendy auch genial Platz durch einen Tiefenlauf. Sowas verunsichert die Defensive und das hat man auch deutlich gespürt. Dies ging in der ersten Hälfte auch nicht, weil sie zu kompakt und tief standen. Auch wenn sie uns nicht wie ein Celta Vigo komplett das Spiel überließen und durchaus pressten in Hälfte eins, lag der Fokus doch schon eher im Verteidigen und kontern. Jedoch waren wir von nun an weniger konteranfällig. Ich meine, was willst du anderes tun an ihrer Stelle? Real gibt dir die Chance anzugreifen und dann machst du das auch, weil du ja den Ball nicht wieder dem Gegner schenkst. Aber wenn du angreifst riskierst du jedes Mal einen Konter. Besonders Valverde machte Ihnen Schwierigkeiten. Der war kaum zu halten, ob mit oder ohne Ball. Es war ja auch sein Schuss, der zur Ecke führte. Er war wieder dieser Dynamische, den man häufig vermisst hat in letzter Zeit.
Und dann steht es 1:0 und es ist quasi klar wer jetzt gewonnen hat. Dortmund macht auf und gibt damit einem Löwen wie Vini die Möglichkeit sich auf einen Gazellen wie Kobel zu stürzen. Hätten wir nicht nach einem Standard getroffen, dann über kurz oder lang durch einen Konter. Kein Konter wie die von Dortmund mit 6 gelben gegen 3 weiße, aber einen mit 4 weißen gegen 5-6 gelbe. Was bei dem Qualitätsunterschied schon ausreicht, um ein Tor zu erzielen. Dass dies der Plan war, zeigte Ancelotti auch durch seine Aussage nach dem Spiel, dass er durchaus zunächst eine Verlängerung im Hinterkopf hatte. Er wollte sie also nicht mehr dominieren und an die Wand spielen, sondern einfach nur besser stehen und auf Gelegenheiten warten. Und wenn diese sich erst in der 115. ergibt. Scheißegal.
Fazit: Ancelottis Lösung war ganz pragmatisch: Wir verlieren nicht gegen Dortmund, wenn Dortmund kaum Torchancen erhält, weil wir einfach besser sind und früher oder später treffen wir und nicht sie, wenn wir hinten dichter stehen. Daher müssen wir sie auch nicht durchgehend in ihre Hälfte zwingen, weil wir einerseits dann keine Lösung finden, um Räume zu schaffen und andererseits konteranfällig sind.
Ich denke mit Cama streng auf der 6, Brahim statt Rodrygo und Bellingham etwas tiefer positioniert hätten wir es auch mit der Variante aus der ersten Hälfte in Hälfte zwei gepackt. Aber dieser pragmatische fast schon hässliche Ansatz Ancelottis ist irgendwie taktisch auch überragend. Ich will nicht abwertend sein, aber er ist wie dieser Dumme unter 10 Akademikern, der es hinbekommt den Motor mit nem Klaps anzuhauen, während die anderen über die verschiedensten Teile und Umbaumöglichkeiten diskutieren. Ich bin ein Fan von den Akademikern, die versuchen noch mehr aus dem Motor zu holen, aber Ancelotti ist mit seiner Art auch einfach irgendwie sympathisch. Weil am Ende fährt er ins Ziel, während die Akademiker noch Version XY testen. Natürlich geht das auch nur mit einem qualitativ hochwertigen Kader. Aber es war am Ende des Tages gut gelöst und verdient Anerkennung.