Ich denke nicht, dass man aus der Position eines Fans, oder eines Fan-Berichterstatters genug Einblick in die tatsächlichen Fakten haben kann, um hier so ein Urteil zu fällen, wie Nils es tut.
1. Vertrauen
Wie das „perfekte Vertrauen“ aussieht, darüber lässt sich streiten. Hätte es nun eine Abschiedspressekonferenz geben müssen oder nicht – ich las aus Zidanes Brief nicht, dass er eine Art Abschied vermisst hat. Eher würde ich sagen: Wenn jemandem vertraut wurde, dann ihm.
Subjektiver Eindruck - Zidane hat 20 Jahre hier gearbeitet. Er hatte gerade zu Beginn seiner Amtszeit sicherlich einige Forderungen an Perez, was seine Handlungsfähigkeit und eben auch das entgegengebrachte Vertrauen betrifft. Anfangs sah es auch so aus, dass Zidane sehr viel mehr Eigenverantwortung übertragen bekam. Mittlerweile, so schätze ich, hat sich die Sachlage aber geändert, Perez war überdies mit anderen Angelegenheiten beschäftigt...ich kann mir gut vorstellen, dass das Verhältnis zwischen beiden abgekühlt ist und dass Perez Zidane dies (vielleicht auch unterbewusst) hat spüren lassen. Das Vertrauen seitens des Vereins war sicherlich da, aber wenn die Führungsriege oder der Präsident dieses nicht teilen, dann ist es nachvollziehbar, dass Zidane dies so wahrnimmt und äußert.
2. Vergessen
Er hat die Mannschaft nicht wirklich weiter gebracht, ja, aber sie trotzdem weiter über Wasser gehalten. Von „alles vergessen“ zu reden, erscheint mir da nicht ganz passend.
Zidane ist ein integrierender Charakter, der in der Lage ist eine Gruppe oder ein Team auf ein Ziel einzuschwören und dazu zu bringen, sich alles abzuverlangen. Ich denke nicht, dass es ihm bei dem Punkt einzig um die mannschaftlichen Leistungen geht, als vielmehr darum, dass er den Laden zusammengehalten hat und dass dieser Faktor bei seiner Leistungsbewertung (seitens Perez/Führungsetage) nicht wirklich berücksichtigt, oder vergessen wird.
3. Verhältnis zu Perez
Nun von einer nicht optimalen Beziehung zu reden, ist daher für mich eher auf ein Thema zurückzuführen: Pérez‘ Super-League-Pläne, die auch Zidane vor den Kopf gestoßen sein dürften.
Kann ich mir auch gut vorstellen, er hatte sich ja auch in seinem Statement sehr zurückgehalten, ich kann mir aber auch vorstellen, dass das Verhältnis zu Perez in der zweiten Amtszeit auch generell abgekühlt ist. Perez scheint andere Ziele zu verfolgen, als den sportlichen Erfolg des Clubs, dementsprechend kann man annehmen, dass er auch in seiner alltäglichen Arbeit weniger Verständnis oder Entgegenkommen gegenüber Zidane zeigte. Dieser ist für Zwischenmenschliches sehr sensibel und nimmt ihm dies übel.
4. Entlassungsgerüchte
Was in der Presse steht, interessiert Zidane? Was in der Presse steht, hat plötzlich Relevanz? Die Presse, die Pérez seit Jahren ausgeschlossen hat und die in dieser Saison kaum eine Verletzung oder Corona-Ausfall vor der Bekanntgabe des Vereins berichtet hat? Fakt ist: Zidane wurde nicht entlassen.
Nach meinen Informationen hat sein Stuhl intern nicht mal ansatzweise gewackelt.
Zidane hier die Naivität zu unterstellen, dass er sich einzig von Pressegerüchten hat verunsichern lassen zeugt davon, dass hier nicht im nötigen Ausmaß reflektiert wurde. Zidane hat bei allem Respekt sicherlich einen sehr viel besseren Zugang zu Clubinternen Informationen als Herr Kern. Dementsprechend scheinen die Sieg-Ultimaten und die Entlassungs-Gerüchte nicht einzig von der Presse gestreut worden zu sein, sportlich wären sie ja nach einem Vorrunden-CL-Aus vertretbar gewesen. Er hat ja auch darüber geredet, dass Clubinterne Informationen oft nach Außen dringen und war sicherlich besonders verärgert, dass er von den entsprechenden Verlautbarungen zuerst durch die Presse erfahren hat. Das ist ein sehr nachvollziehbarer Punkt und spricht dafür, dass es gerade inneren Kreis des Führungszirkels bei Real zu viele Eigeninteressen verfolgt werden.
In Anbetracht von Zidanes Verständnis der Aufgabe, einen langfristigen Umbruch einzuleiten war er von solch kurzfristigem Aktionismus sicherlich irritiert (auch wenn es bei Real Madrid zum Tagesgeschäft gehört).
Dementsprechend denke ich, Zidane hat bei seinem Statement versucht, nicht zu tief blicken zu lassen und Perez noch gewissermaßen verschont, in dem er seine persönliche Betroffenheit und das Zwischenmenschliche in den Fokus der Kritik lenkte, statt den Dingen die hinter verschlossenen Türen gesagt wurden.