Starkes Spiel von beiden Mannschaften.
Dortmund hat sich für ein extrem kompaktes 4-4-2 entschieden. Ein 10-Mann-Block in der eigenen Hälfte, der keine Räume anbieten sollte. Auf ein aggressiveres Angriffspressing verzichtete man somit, lediglich Kroos wurde konstant angelaufen, wenn er den Ball bekam, um ihm so wenig Raum zur Entfaltung wie möglich zu überlassen.
Madrid hat in ihrem gewohnten 4-3-1-2 gespielt und den bekannten Matchplan ausgepackt: Hinten halbwegs stabil stehen, vorne in Unterzahl angreifen und auf einen Lucky Punch hoffen, viel Ballbesitz außerhalb der gegnerischen Formation, kaum Ballbesitz in ihr. Es ist immer schwer für Real Madrid selbst Räume kreieren zu müssen, wenn der Gegner sie nicht for free anbietet. Die beiden Stürmer sowie Bellingham waren permanent isoliert und hatten keinen Einfluss auf das Spiel. Was auch völlig verständlich ist, wenn man nur mit 3 bis 4 Spielern in Unterzahl angreift gegen einen Dortmunder 10-Mann-Block. Somit lag die Hoffnung wie so oft darin, ob es Vinicius schafft im Alleingang mit dem Kopf durch eine Wand zu brechen oder nicht. Er schaffte es nicht.
Gegen den Ball wechselte Madrid in ihr übliches 4-4-2. Genau genommen müsste man es gestern als 4-4-0-2 bezeichnen, da die beiden Brasilianer vorne abgekoppelt vom Rest der Mannschaft die Dortmunder Aufbauspieler gepresst haben und in der Folge auch leicht überspielt wurden. Sehr bizarr.
Zudem war Reals doppelte Viererkette löchrig zwischen den Linien und in Halbräumen, die die Dortmunder auch zu nutzen wussten. Am gefährlichsten waren tiefe Pässe hinter die Abwehrkette. Alles fürchterliche Dinge, die Ancelotti nicht gefielen und die er zur Halbzeit lösen würde.
Damit ging die erste Halbzeit deutlich an die Dortmunder, die sich aber nicht belohnen konnten. Sehr unglücklich. Für Real gab es kaum Positives aus der ersten Hälfte mitzunehmen. Am ehesten noch, dass die Dortmunder immerhin schon 5 km mehr gelaufen sind und zu ungefähr 20% mehr Sprints angesetzt haben, also deutlich mehr investieren mussten um die Null zu halten.
Die zweite Halbzeit begann für Madrid erst einmal passiv. Jedoch mit kleinen aber deutlichen Umstellungen. In den ersten 45 Minuten haben sie aus ihrem Ballbesitz nichts Kreatives machen können - also gaben sie den Ball einfach auf. Für eine Viertelstunde zog sich Madrid weit zurück und lauerte auf Konter, während Dortmund ungewöhnlich lange Ballbesitzpassagen hatte. Für diejenigen Zuschauer, die Real nicht regelmäßig zusehen, war das sicherlich ein komischer Anblick, aber in Madrid ist das schon seit Jahren ein bekanntes Stilmittel.
Madrids Abwehrkette stand in dieser Passage sehr tief, teilweise mit Valverde in einer Fünferkette, teilweise mit Vinicius in einer Fünferkette im Mittelfeld etc. Es ging darum eine höhere Kompaktheit zu erreichen und vor allem diese gefährlichen Läufe der Dortmunder in die Tiefe aufzuhalten.
Dortmund tat sich hier deutlich schwerer. Es ist nicht ihre große Stärke aus dem Spiel heraus mit Ballbesitz etwas zu kreieren. Es gab Versuche die Außenspieler zu tauschen, Sancho tauchte dann links auf, während Adeyemi es rechts versuchte, aber es war schwierig gegen das kompakte 5-4-1 bzw. 4-5-1 Lücken zu finden.
Dann, ungefähr zur 60. Minute, gab es die nächste kuriose Umstellung bei Real Madrid. Gegen den Ball im 4-4-2 tauschten Valverde und Bellingham plötzlich die Positionen mit Vinicius und Rodrygo! Die beiden Stürmer schlossen sich der Viererkette an, während Valverde und Bellingham die erste Front im Pressing bildeten. Selbst Kroos und Camavinga standen teilweise höher als die beiden Brasilianer.
Mit all diesen Umstellungen kam dann allmählich die Wende. Valverde und Bellingham haben an der Front deutlich klüger gepresst. Vor allem Schlotterbeck und Hummels wurden nun besser angelaufen, die Pässe wurden oft auf Emre Can umgeleitet, der zu schwierigen Pässen gezwungen wurde, was schlicht nicht seine Kernkompetenz ist. Real hat zudem auch nicht mehr isoliert gepresst wie die beiden Brasilianer in Halbzeit 1 sondern wurden vom nachrückenden Rest unterstützt. Außerdem standen Vinicius und Rodrygo bei Ballgewinn nicht mehr isoliert im Niemandsland sondern angebunden an ihre Mannschaft und konnten somit den Umschaltmomenten aus tieferer Position mehr Dynamik geben. Bellingham konnte sich nun auch weiter vorne und zentraler positionieren, was für mehr Präsenz in der gegnerischen Hälfte führte. Real kam nun zu mehr Torchancen, mehr Aktionen im letzten Drittel und eben auch zu mehr Standards. Und dann fiel auch schon das 1:0.
Mit der Führung dann die nächste Umstellung. Real ging endgültig all out ins hohe Pressing. Ancelotti hat den idealen Zeitpunkt gefunden und nutzt das Momentum aus um die verunsicherten Borussen zu überrumpeln. Und es funktionierte. Dortmund war am schwimmen, sie erreichten nicht einmal mehr die Mittellinie. Bezeichnend, dass das 2:0 dann durch einen verunsicherten Fehlpass der Dortmunder eingeleitet wurde.
Das muss man Ancelotti lassen. Sein ingame coaching war gegen Manchester City, Bayern München und jetzt gegen Dortmund einfach super. Er findet regelmäßig die richtigen Anpassungen und vor allem die richtigen Zeitpunkte. Auch dieses Mal fand er die richtigen kleinen Umstellungen, die das Spiel entscheidend verändert haben.
Und so endete das Spiel. Dortmund war mindestens 45 Minuten lang die überlegene Mannschaft, die es nicht schaffte etwas Zählbares daraus zu machen, und Real Madrid reichten wie immer nur 30 Minuten aus um das Spiel zu entscheiden. Ich glaube Christoph Kramer sagte gestern im ZDF sehr treffend, dass Real so oft unter ihren Möglichkeiten spielt, dass eigentlich rein statistisch auf lange Sicht die Niederlage früher oder später kommen müsste, aber das tut sie seit gefühlt 100 Jahren nicht. Es ist schwer zu erklären, was es mit diesem schwarzen Zauber auf sich hat.
Auf individueller Ebene war es allgemein ein schönes Spiel von allen. Camavinga, Kroos, Carvajal und allen voran Valverde waren die besten. Es ist unfassbar, was für ein königliches Spiel Fede hingelegt hat, der unauffällige Held hinter den Stars.
Und Kroos beendet seine Karriere so, wie es sich jedes Kind auf dem Bolzplatz erträumte: das letzte Spiel in einem Champions League Finale im Wembley Stadion. Wer hat jemals seine Karriere so legendär beendet?