Ok, mal schauen… ich glaube das könnte ein längerer Text werden.
Kleiner Disclaimer: Wenn man über Fußball spricht, so ist es immer subjektiv. Ich behaupte nicht, dass ich mich besser auskenne als bspw. Zidane, ich will nur einfach meine Meinung darlegen und werde dabei versuchen sie so gut wie möglich zu begründen.
Bei der Analyse der Situation muss man verschiedene Aspekte betrachten, ich will jetzt dazu einmal meine Meinung darlegen.
1. Wer ist Casemiro und was zeichnet ihn aus (+/-)
2. Wie sollte er sich auf das Spiel auswirken und wie viel Wirkung hat dies wirklich? (Auswirkungen auf die Defensive)
3. Was für Effekte hat Casemiro als Stammspieler noch? (Effekte auf die Offensive)
4. Ausblick
1. Wer ist Casemiro und was zeichnet ihn aus (+/-)
Der erste Punkt muss dabei einmal die Beschreibung des Spielers Casemiro sein, weil ich glaube da unterscheiden sich unsere Ansichten teilweise ziemlich stark, was dann natürlich zu konträren Schlussfolgerungen führt.
(+)
Casemiro ist athletisch gesehen ziemlich „komplett“ (whatever that means): Er ist recht groß gewachsen, bringt sehr viel Sprungkraft mit; diese Kombination macht ihn also bei Standardsituationen – sowohl offensiv, als auch defensiv – sehr stark, dazu kann er oft Kopfballduelle bspw. nach weiten Abstößen für sich entscheiden.
Zusätzlich ist er sehr muskulös, bringt dafür aber einen sehr anständigen Antritt und eine gute Endgeschwindigkeit mit, was seine Art der Zweikampfführung unterstützt.
Diese ist generell sehr aggressiv, er bringt sehr wenig Finesse mit, kann aber viele Zweikämpfe durch seine physischen Attribute gewinnen. Diese Aggressivität ist nicht grundsätzlich etwas schlechtes, die Art und Weise wie er sie aber einsetzt schon (dazu später).
(-)
Sein defensives Stellungsspiel ist gut, wenn er einmal in die Lage gebracht wird, einen großen Raum abzusichern, dann sieht er dabei nicht gut aus; der größte Kritikpunkt meinerseits daran ist, dass er sich in einem viel zu großen Maß von seiner aggressiven „Grundhaltung“ beeinflussen lässt, er verhält sich viel zu ballorientiert, er will immer so schnell wie möglich Zugriff, öffnet damit aber wieder die Räume, die er eigentlich defensiv absichern sollte (zum Vergleich mit Kroos kommen wir da später).
Sein Passspiel ist aus rein technischer Sicht ganz in Ordnung. Fehlpässe auf 5m (wie bspw. bei Ronaldo, *duck*) sieht man bei ihm selten. Es fehlt ihm aber leider an der strategischen Veranlagung, sodass aus einem Passspiel irgendein Vorteil entsteht. Er bekommt den Ball von links, er spielt ihn nach rechts; er bekommt ihn von rechts, er spielt ihn nach links. Kurz: hinter seinem Passspiel erkenne ich keinen konkreten Plan. Er spielt keinen Diagonalball auf Marcelo, weil er sieht, dass Kroos seinen Gegenspieler aus der Staffelung zieht, er spielt ihn, damit er halt was mit dem Ball gemacht hat.
Seine Präzision im Passspiel lässt zu wünschen übrig, oftmals kommen die Pässe schlecht bei den Mitspielern an, die Ballannehme wird schwieriger, die Zeit für das Verarbeiten wird dadurch massiv reduziert und somit auch die Wahrscheinlichkeit, dass mit dem Ball etwas angestellt werden kann.
Massive Defizite hat er bei der Pressingresistenz und die ist etwas ganz essentielles. Im Prinzip ist ein Spieler pressingresistent, wenn er auch unter Druck noch dazu fähig ist, das zu tun, was er ohne Druck machen könnte. Pressingresistenz kann sich also per definitionem auf verschiedenste Arten äußern.
Wichtige Faktoren sind:
-) Wie schnell denkt ein Spieler bzw. wie schnell trifft er Entscheidungen?
-) Wie gut kann er aus technischer Sicht den Ball verarbeiten?
-) Wie positioniert er sich, bevor er den Ball erhält?
Auf der Sechs ergeben sich daher verschiedene Kategorien von vorteilhaften Spielertypen:
Busquets-Typus: schnelles Denken, extrem gute Positionierungen, die eine perfekte Balance zwischen „weit genug entfernt vom Gegner, um sich Zeit zu erkaufen“ und „nah genug, um noch das Spiel bestimmen zu können“ herstellt. Aus rein athletischer Sicht sind die Anforderungen nicht besonders hoch, wie man es auch an den Vertretern Busquets, Weigl und Kroos erkennen kann. (Die meisten pressingresistenten Sechser fallen in diese Kategorie)
Redondo-Typus: Extreme Qualität mit dem Ball am Fuß, womit sie sich aus dem Druck befreien können und dann noch den geöffneten Raum bespielen können, sei es mit Pässen oder Dribblings. Vertreter hiervon wären Redondo, Verratti (wenn er denn dort spielt) oder vielleicht sogar Kovacic (wie gegen Eibar).
Mischformen wie bspw. Matic existieren natürlich auch.
Was hat das jetzt aber alles mit Casemiro zu tun? Nichts. Leider.
Unter Druckt neigt er dazu, seltsame Entscheidungen zu treffen, die Folge sind Ballverluste, die Folge sind Konter, die Folge sind Gegentore. Er positioniert sich (präventiv) nicht klug genug, hat aber auch nicht die Fähigkeiten am Ball, um dem Druck auf diese Art und Weise zu entgehen.
2. Wie sollte er sich auf das Spiel auswirken und wie viel Wirkung hat dies wirklich?
Die Saison lief schlecht unter Benitez, man wirkte spielerisch schwach, man war sehr eindimensional, es wurde mit mehr Flanken hantiert, als anderswo in Europa. Die Ergebnisse waren mau, die Spiele an sich noch viel mehr.
Die Folge war ein Rausschmiss nach nur einer halben Saison, es musste ein neuer Trainer einspringen und ab dem 1. Tag Leistungen zeigen. Es gab keine Vorbereitung, in der man vieles einstudieren kann, in der man vieles vorbereiten und austesten kann.
Zidane agierte schon im 1. Spiel mit einem 4-3-3 bestehend aus Isco und Modric auf der Acht und Kroos als Sechser dahinter. Dieses System wurde die nächsten 9 Spiele gespielt (mit der Ausnahme, dass Kovacic zweimal statt Isco startete), es funktionierte von Anfang an, man gewann sechs davon, spielte zweimal Unentschieden und verlor ein Spiel: Eine mehr als sehenswerte Ausbeute, wenn man miteinbezieht, dass eben keine Vorbereitung, gleichzeitig aber eine stark veränderte Spielidee gab.
Die zwei Unentschieden kamen eher unglücklich zusammen, wie diese xG map für das Spiel gegen Betis zeigt:
https://twitter.com/mc_of_a/status/691389719402405888
Die Wende kam nach dem Atletico Spiel, das zu Hause mit 0:1 verloren wurde, ab da an war Casemiro so etwas wie ein Stammspieler, saß nur gelegentlich auf der Bank.
Schon dieses Umdenken fand ich seltsam: Man verliert zu Hause ein Spiel, in dem man nur auf kümmerliche 3 Schüsse aufs Tor kam und der Schluss den man daraus zieht ist, dass man einen nominellen „Defensivspezialisten“ (wieso ich nicht finde, dass er ein solcher ist, habe ich schon beschrieben) aufstellt.
Natürlich ist Carlos viel zitierte Balance ein wichtiges Element im Fußball, weil Offensive und Defensive Hand in Hand gehen, in diesem Spiel war es aber nicht der Fall, dass man so viele defensive Aufgaben hatte, dass man offensiv nicht zur Entfaltung kam, viel eher konnte man Atletico offensiv nicht knacken, wie es schon unter Ancelotti der Fall war.
Wieso man sich für diesen Weg entschieden hat, ist mir bis heute nicht ganz klar, vielleicht hat ja jemand von euch eine schlüssige Erklärung.
Wie sollte er sich denn jetzt auf das Spiel auswirken? Das sind natürlich alles nur
Vermutungen, wir wissen nicht, was Zidanes Motivation dahinter war, aber es liegt ziemlich klar auf der Hand, dass der Brasilianer nicht wegen seines Spiels mit dem Ball in die Startaufstellung gerutscht ist; ich glaube nicht, dass Zidane hier etwas sieht, was ich nicht sehe. Für ihn scheinen einfach die Auswirkungen auf die Defensive derart positiv zu sein, dass sie die dadurch ausgelösten Probleme in der Offensive kompensieren.
Casemiro ist – wie oben beschrieben – eher ein „klassischer“ Abräumer vor der Abwehr, aggressiv, groß, stark. Wahrscheinlich soll er die Defensive festigen, davor spielt man mit zwei Achtern, die eher risikoavers agieren (Passquoten um die 95% aufweisen) und die für diese Position herausragende Defensivfähigkeiten besitzen.
Rein statistisch gesehen stimmt es sogar:
Unter Zidane hatte man bisher 20 Spiele, in 10 davon startete Casemiro; in den Spielen, in denen er startete bekam man 6 Tore, in den Spielen ohne 7. Ich würde diesen Unterschied jetzt aber als nicht signifikant beschreiben.
Gefühlt ist es für mich nicht der Fall und das hat folgenden Grund: Ich sehe die größte Problemstelle diese Saison in den offensiven Strukturen. Es befinden sich oftmals zu viele Spieler auf einer Linie (passiert sowohl vertikal, als auch horizontal; kleines Beispiel:
https://pbs.twimg.com/media/Cgk61HnWYAA_XDr.jpg:large von
@szteveo)
Durch schlechte Staffelungen in der Offensive IN Ballbesitzt folgen massive Probleme, wenn man den Ballbesitz wieder verliert, also dann, wenn das sogenannte Gegenpressing stattfinden sollte. Dieses wird auch Konterpressing genannt, weil man den Konter des Gegners presst, man will ihm im Umschaltmoment alle Optionen nehmen, das Spiel schnell zu machen und den Ballführenden unter Druck setzen.
Daher folgt: Je schlechter die Staffelungen in Ballbesitz, desto schlechter die Staffelungen im Gegenpressing. Je schlechter die Staffelung im Gegenpressing, desto mehr Konter bekommt man. Je mehr Konter man bekommt, desto mehr Gegentore bekommt man.
Deshalb ist es für mich kontraintuitiv für Kroos einen weniger ballsicheren Spieler ins defensive Mittelfeld zu stellen, damit man Konter besser absichert (ich habe die Kritik an Kroos hauptsächlich als Kritik an seinem Stellungsspiel in Umschaltsituationen verstanden), weil man sich durch dieses Vorgehen eben mehr Konter einfängt.
Da ich Casemiros Stellungsspiel wie schon oben angesprochen eben nicht besonders gut finde, ist für mich der Effekt der häufigeren Ballverluste einfach der größere.
3. Was für Effekte hat Casemiro als Stammspieler noch?
TLDR: Fatal (Ergibt es Sinn nach 1500 Wörtern noch ein TLDR zu machen? Vermutlich nicht)
Das klingt jetzt vielleicht sehr gemein, aber für mich ist es mit Casemiro in der Startaufstellung fast so, als würde man mit 10,5 Spielern spielen; zu elft ohne Ball, aber mit Ball nur zu zehnt.
Das beste Beispiel dafür ist das Rückspiel gegen Wolfsburg. Man musste ein 2:0 aufholen, unter normalen Umständen eine fast unmögliche Sache (apropos kontraintuitiv: Wieso stellt man einen „Defensivspezialisten“ in so einem Spiel auf?).
Casemiro spielte durch, insgesamt kam er auf lediglich 49 Ballkontakte. Das ist vielleicht eine normale Anzahl für einen Flügelspieler (Bale hatte 50), aber sicherlich nicht für einen defensiven Mittelfeldspieler in einem Spiel mit 57% Ballbesitz für sein Team.
Was sagt uns diese Zahl? Im Prinzip sagt sie uns, dass er der Kerntätigkeit eines Sechsers nicht nachkommt: Das Abholen aus tieferen Zonen, das Verteilen an AV und ZM. Aber wer macht es dann? Die Antwort ist leicht: Krodric
Hier sind drei Grafiken, die das Passverhalten der jeweiligen Spieler zeigen:
Kroos:
http://i.imgur.com/phVKKfu.png
Modric:
http://i.imgur.com/v1ZusER.png
Casemiro:
http://i.imgur.com/wHEpal5.png
Ich glaube diese Bilder sagen von sich schon genug aus: Modric und Kroos verteilen die Bälle in ihren Zonen und aus dem Sechserraum heraus, während Casemiro mal hier und mal da mal einen Pass spielen kann; von Dreh und Angelpunk im Sechserraum weit entfernt.
Fast noch besser kann man das in den Heatmaps erkennen:
Kroos:
http://i.imgur.com/ztRCsv0.png
Modric:
http://i.imgur.com/v4WItD4.png
Casemiro:
http://i.imgur.com/D1uFsf1.png
Kroos und Modric fielen sehr häufig zurück bis in den Sechserraum und verteilten dort die Bälle, die eigentlich Casemiro verteilen sollte, weil dieser aufgrund seiner Defizite im Passspiel nicht fähig ist, diese unter Druck noch anzubringen.
Gleichzeitig fehlen sie dann aber natürlich wo anders, nämlich in den höheren Zonen, die sie ja eigentlich als Achter besetzten sollten. Ich würde in diesem Fall also davon sprechen, dass man gegen Wolfsburg mit drei Sechsern gespielt hat, wodurch man absolut keine Verbindungen nach vorne hatte. Skurrilerweise war es dann gerade Casemiro, der aufrückte und versuchte dort Präsenz herzustellen; man spielte also situativ quasi in einer 2-1 Staffelung (wie man sie in einem 4-2-3-1 findet) mit dem Spieler im engsten Raum, der dort am wenigsten funktioniert von den dreien.
Ein Einzelfall war das Spiel gegen Wolfsburg allerdings nicht, auch bspw. gegen Villarreal hatte man massive Probleme mit dem Dreiermittelfeld:
http://i.imgur.com/4RuTptg.png
Hier sieht man wiederum Kroos und Modric tiefer, Casemiro sogar in einer leicht höheren Position.
Besonders problematisch ist für mich die Situation um Casemiro in Ballbesitz, weil man schon mit Kroos auf der Sechs die ganze Saison enorme Probleme in der offensiven Staffelung hatte, durch Casemiro wird diese Problemstelle noch einmal größer.
4. Ausblick und Conclusio
Wie wird sich die Situation entwickeln? Wie heißt es so schön: Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.
Ich denke nicht, dass Zidane diese Saison noch von diesem Plan abweichen wird, es sind nur noch 6 oder 7 Spiele diese Saison; die Ergebnisse stimmen – trotz teilweise fürchterlichen Fußballs – eigentlich.
Für die nächste Saison hoffe ich aber inständig, dass man sich besinnt, dass man den Weg, den Zidane vorgegeben hat (produktiver Ballbesitz, besseres Gegenpressing, etc.) weitergehen wird.
Dass hier wieder von neuen Namen gesprochen wird, verstehe ich überhaupt nicht; für mich passt der Kader eigentlich sehr gut:
Man hat mit Kroos bereits einen sehr, sehr, sehr guten Sechser im Kader, man muss nur seine Schwächen besser auffangen. Ein Großteil der Kritik, die er abbekommen hat, hätte vielmehr das System bekommen müssen (Stichwort: Offensivstaffelung/Gegenpressing und Kompaktheit). Modric ist der beste Achter der Welt, Kovacic hat absolut die Anlagen Lukas Nachfolger zu werden, auf der linken Achterposition hat man Isco und James (wobei der Kolumbianer auch vermehrt Bale und Ronaldo Minuten abnehmen sollte). Casemiro wäre in dieser Konstellation dann Kroos‘ Backup, für diese Rolle wäre er mMn optimal geeignet.