Ich kann mit Ancelotti gut leben. Meine Wunschlösungen (Tuchel, Nagelsmann, Pochettino) hat man verpennt, indem man gegen Ende der Hinrunde nicht die Reißleine gezogen und Zidane verabschiedet hat. Interessante und vielversprechende, aber auch riskante "B-Lösungen" wie Xabi Alonso und Raúl möchte ich zwar unbedingt irgendwann hier sehen, aber vielleicht hat Perez auch einfach Recht mit der Entscheidung, dass sowohl der Verein als auch der Trainer gerade etwas anderes braucht bzw. von allen Seiten das Timing nicht passend genug ist. Xabi möchte ich hier erst sehen, wenn die jungen Wilden die Startelf "übernommen" haben, heißt eine bestimmte Anzahl Spieler aus dem Talente-Pool aus Valverde, Rodrygo, Vinícius, Militao, Jovic, Odegaard, Brahim, Kubo etc. hat sich bereits in der Hierarchie über den Zidane-Startern etabliert. Siehe Marcelo und Mendy, siehe vorübergehend Valverde und Modric ... weitere Beispiele lässt die zweite Zidane-Ära leider nicht zu.
Der Trainer der das ermöglicht kann gerne Ancelotti sein und ich traue ihm das auch durchaus zu. Ich weiß noch, wie wütend ich auf Perez war, als Carlo nach anderthalb guten bis großartigen Jahren gehen musste, nur weil das Saisonfinish enttäuschend war. Ich weiß aber auch, dass der Fußball sich weiterentwickelt hat und neue Trainer wie Tuchel, Klopp und Flick ihn mit neuen Ideologien wie Vertikalität und Intensität ein bisschen überholt haben. Er wäre eigentlich zu keinem Zeitpunkt meine Nr. 1 Lösung gewesen, ist aber meiner Meinung nach eine deutliche Steigerung zu Zidane in den letzten zwei Jahren. Zwar nicht die beste Steigerung, die möglich gewesen wäre, aber ich bin mit dem überraschenden Abschied Zidanes schon zufrieden. Ich war mir irgendwie sicher, er macht weiter und alles steht für eine weitere Saison komplett still. Ich liebe ihn für seine ersten Jahre mit uns und würde ihm irgendwann eine neue Chance als Madrid-Coach geben, aber seine Rückkehr hat eigentlich weder ihm noch dem Verein irgendwas gebracht. Er ist an den selben Limits seiner Philosophie und/oder seines uninspirierten Spielstils gescheitert, hat ein bisschen an seinem Denkmal geklopft und der Verein hat sportlich keine Fortschritte gemacht und im Grunde genommen die selbe Startelf wie seit über einem halben Jahrzehnt, bloß in älter bis alt und dafür 300 Millionen Euro ausgegeben.
Sollte Ancelotti auf die neue Generation Spieler setzen, sehe ich mich endlich wieder Spaß an Real Madrid-Spielen haben. Ich will mich endlich wieder über den Fußball freuen, den wir spielen, über das, was in den 90 Minuten passiert, nicht nur über Ergebnisse und Titel. Die Saison 14/15 ist bis heute eine meiner absoluten Lieblingssaisons in 15 Jahren Madridismo. Wir standen am Ende mit leeren Händen da, haben aber einen so mutigen, frischen, attraktiven und gemeinschaftlichen Fußball gespielt, welcher sich dann auch in der historischen Siegesserie wiedergespiegelt hat. Mir persönlich sind Titel fast nichts wert, wenn der Weg dahin nicht auch irgendwie mitreißend war. Die Liga im letzten Jahr hätte mich so viel mehr gefreut, wenn wir die Siegesserie nach der Corona-Pause dank annähernd ansehnlichen oder zumindest strukturiertem Fußball aufgebaut hätten. Mit irgendwas, was während des Spiels passiert, mit irgendwas was sich für mein Fußballherz einfach größer und besser anfühlt als nach dem Abpfiff direkt zu denken "Puh, Hauptsache 3 Punkte" und das Woche für Woche für Woche. Und da sind wir mit Ancelotti besser dran als mit Zidane und z.B. auch Allegri oder Löw (den ich Perez for some f***ing reason sogar zugetraut hätte).
Er weiß, was der Verein sehen will, was die Fans sehen wollen und auch wenn keiner das je publik zugeben würde, ich kann mir schon vorstellen, dass wir auch den ein oder anderen Spieler haben, der sich irgendwann mal dachte "Love you Zidane, aber bisschen flotter oder zumindest anders kicken wär schon auch mal wieder geil" und mit sowas + seiner natürlich charismatischen Art + seiner Bindung zu den Spielern, die er aus der ersten Amtszeit kennt, wird er bestimmt auch alle unsere Jungs abholen.
Das Argument, dass er bisher nur auf Senioren gesetzt hat, ist nicht zu verachten. Ich halte ihn aber für kompetent und erfahren genug, um zu verstehen,
a) dass er nach unseren letzten Saisons, die er sicherlich auch verfolgt hat als jemand, der den Verein wirklich im Herzen zu tragen scheint, gewisse Hierarchien und Gewohnheiten aufbrechen muss, MUSS aus diversen Gründen bzgl. Teamdynamik und Leistungsprinzip. Kein KCM mehr, kein Benzema mehr als einzige Spitze, ohne aktiv Spieler in den Strafraum zu schicken, kein Isco und kein Marcelo mehr auf dem Platz, ganz egal wie viel Potenzial in diesen vier magischen Beinen steckt, solche Sachen
b) an welchen Problemen es beim letzten Mal gescheitert ist. Sachen wie fehlende Rotationen und die damit einhergehende Verletzung von Stammspielern, die dann nicht adäquat ersetzt werden können, weil keiner auf der Bank regelmäßig auf dem Platz stand um sofort da zu sein, stehen da an erster Stelle. Ich bin guter Dinge, dass er nicht wieder nur 12 bis 14 Spieler nutzen wird, Perez und ihm wird sicher bei den Vertragsgesprächen nicht entgangen sein, wie hoch der Teamanteil an Juwelen im Kader ist, die es zu schleifen gilt und dass alle davon spielen müssen, auch die, die nicht verliehen werden. Der Umbruch muss jetzt beginnen. Er muss nicht sofort einschlagen wie eine Bombe, mit sieben neuen Stammspielern und 21 Jahre Altersdurchschnitt zum Saisonbeginn, aber man muss jetzt die ersten Schritte dieses Weges machen und diesen konstant weitergehen, über Jahre.
Ich glaube, Ancelotti ist aus Sicht des Vereins nicht die gesamte Lösung bzw. der gesamte Plan, sondern der erste große Schritt von mehreren. Das Anstreben einer gesamtenLösung, wie z.B. Nagelsmann, der wirklich alles mitbringt, was wir gerade brauchen, dafür aber auch sehr viel Drecksarbeit auf ein Mal erledigen muss, ist mit (anscheinend zu vielen) Risiken verbunden. Dass der Verein unter Perez diesen Weg nicht gehen würde, war eigentlich zu erwarten, auch wenn die Gerüchte um Gallardo, Pochettino und Xabi mich kurzzeitig geil genug gemacht haben, um dran zu glauben. Ancelotti wird uns fußballerisch und taktisch aufbessern, einzelne Spieler weiterbringen und zum Startelfmaterial formen, andere Spieler schrittweise als Leistungsträger ablösen und dabei sicher auch den ein oder anderen Titel mitnehmen. Der nächste Abschnitt des gesamten Plans wäre dann Raúl, Xabi, Nagelsmann, vielleicht irgendwann ja doch Conte oder Pochettino, oder wer auch immer auf Carlo folgen wird.
Unter diesen Gesichtspunkten und dank einem guten Gefühl, dass Ancelotti aus einigen damaligen Fehlern gelernt hat, freue ich mich ungefähr so 7,5/10 über sein Comeback. Campos als Ergänzung ist in meinen Augen sowieso ein Muss, dazu wurde hier auch alles schon gesagt.
Achja, Hi! Ist mein erster Post hier, lese aber schon länger mit.