Nachdem ich mich, durch die Umstände dazu bewegt, lange an der „Nachbereitung“ des Spieles abgearbeitet habe erlaube ich mir nach dem entspannten Genuss einer Aufzeichnung noch ein paar Worte zum Ereignis selbst:
Sowohl beide Spiele einzeln betrachtet, als auch in seiner Gesamtheit wurde das Duell Real Madrid – FC Bayern München den Erwartungen als „Finale im Viertelfinale“ bzw. „vorgezogenes Finale“ mehr als gerecht. Wie schon zuvor in München, so wurde auch in Madrid ein äußerst spannendes und packendes Spiel zwischen zwei in etwa gleichwertigen Mannschaften dargeboten. Mehrfache Nahtoderfahrungen und Euphorieausbrüche inklusive! Insofern ist es wirklich schade, dass dieses Gesamtbild nun durch das auf diesem Niveau - wir reden hier immerhin von der obersten Klasse des professionellen Hochleistungssports (nicht nur des Fußballs) – vollkommen überzogene monieren einer Seite leider irreparabel verzerrt worden ist…
Beide Spiele zusammen betrachtet hat der bessere Kader Real Madrid zum verdienten weiterkommen verholfen. Wir konnten den Ausfall zweier IV-Hochkaräter mit nur geringen Einbußen an Qualität ausgleichen. Daher hebe ich besonders Nacho hervor, der, wenn man bedenkt, dass ihm die ganz große Erfahrung solcher absoluten Spitzenduelle fehlt, seine Sache wirklich ausgezeichnet gemacht hat! Wie schwer wiederum der Ausfall von Bale wog, konnte man m.E. am Dienstag zeitweise durchaus gut sehen. Selbst wenn er nicht seinen besten Tag hat bzw. nicht bei absolut 100% ist, bietet der Waliser, der inzwischen seine defensiven Aufgaben meist sehr gewissenhaft wahrnimmt, dass beste Paket, um auf dem rechten Flügel den offensiven Part gegen das Duo Ribery/Alaba zu besetzen. Zidane stand bei vier möglichen Optionen, die im Vergleich zu Gareth alle schwerwiegende Nachteile mitbringen (Isco, Asensio, James und Vasquez), vor der Qual der Wahl. Glücklicherweise entschied er sich zunächst nicht für das sonst für ihn naheliegenste bzw. typische, d.h. für Vasquez. James schien auch mir gegen einen so stark über die Flügel spielenden Gegner auf Rechtsaußen defensiv zu riskant. Blieben Isco und Asensio. Ich hätte Asensio bevorzugt, der eher noch irgendwo mit Bale vergleichbar ist, als Isco. Aber das sind letztlich „hätte, wäre, wenn“ Spekulationen, für Isco sprach ganz klar sein aktuelles Formhoch. Worauf ich letztlich hinaus will ist, das wir unsere Personalprobleme aufgrund des hervorragenden Kaders bewältigen konnten, bei uns standen vier passable bis hervorragende Spieler für die freigewordene Position von Bale bereit. Die Bayern hatten de facto nur eine erste Garnitur, jeder Ersatz- bzw. Wechselspieler bedeutete einen starken Qualitätsverlust. Unsere Kaderpolitik im letzten Sommer mag nicht 100% perfekt gewesen sein (Stichwort 3. und 4. Außenverteidiger), aber sie war in jedem Fall deutlich besser als die unseres Gegners aus München. Und Zidane ist zwar nicht das perfekte Taktikgenie, aber er hält zumindest auch die Reservisten soweit bei Laune, dass sie bereits sind, wenn man sie braucht.
Ob die Formation, die von uns bis zu den Wechseln in der 2. HZ dann gespielt wurde, nun eine Raute, ein 4-3-3 oder 4-4-2 war, überlasse ich den Adleraugen der Taktikfüchse unter euch. Für mich sah es wie eine fließende Mischung aus allem aus, quasi ein „Dauerhybrid“. Bayern hatte auch in der Tat mehr vom Flügelspiel, was im Voraus zu erwarten war und nicht überraschte. Glücklicherweise war Alaba herrlich ineffizient bei seinen Hereingaben. Dafür hatte unser linker Flügel, wo mir Marcelo im Hinspiel gar nicht gut gefiel, Robben diesmal besser unter Kontrolle. Marcelo im Übrigen natürlich der „Mann of the Match“.
Die wie im Hinspiel schlechte Effizienz bei den Abschlüssen und Torschüssen wurde zum Glück durch einen unerschütterlichen Kampfgeist aufgefangen. Schaut euch einfach den entschlossenen Gesichtsausdruck von Cristiano nach dem wirklich dusseligen 1:2 Eigentor an! Andere Mannschaften wären nach einem solchen, erneuten (wenn man den geschenkten Robben 11er mitzählt) Missgeschick eingebrochen, aber Madrid reißt sich zusammen und beißt sich durch. Zu Cristiano hat im übrigen Olli Kahn im Anschluss an das BvB-Spiel im ZDF einen guten (positiven!) Kommentar abgegeben, auf den ich an dieser Stelle verweise.
Die Wechsel von Zidane gehen in Ordnung, er hat im Großen und Ganzen alles richtig gemacht und gegen seinen Lehrer und gegen eine absolute Spitzenmannschaft zweimal das Feld behauptet. Einziger schwerer Kritikpunkt bleibt die Nichtauswechslung Casemiros, der extrem Gelb-Rot gefährdet war und für den mit Kovacic ein guter Ersatz bereitgestanden hätte. War in meinen Augen ein unnötiges Risiko…
Abschließend noch ein Blick auf die andere Seite: Die Physis der Bayern hat mich überrascht und wenn sie sich nach dem Spiel nicht so albern und würdelos benommen hätten, würde ich sie dafür in den höchsten Tönen loben. Wenn man bedenkt, dass Thiago, Vidal und Alaba in Leverkusen über die volle Distanz gehen mussten und auch die „alten Herren“ Robben, Alonso und Lahm noch jeweils 30 bzw. 20 min dort auflaufen mussten, dann war die im Bernabeu gezeigte physische Leistung wirklich nicht schlecht. In der Verlängerung waren sie dann fertig, aber ich hätte mit einem früheren Leistungsabfall gerechnet, wenn man bedenkt, dass ein Großteil der Akteure schon ein recht hohes Alter aufweist. Von den beiden halbfitten Innenverteidigern gar nicht zu sprechen!
Dass Ancelotti zwei halbfitte und noch nicht voll ausgeheilte IV aufgestellt hat, halte ich angesichts der Umstände für ein (einigermaßen) vertretbares Risiko. Selbst wenn sie dadurch für einige weitere Spiele ausgefallen wären, sind die Bayern in der Meisterschaft so gut wie durch und der DFB-Pokal dürfte Ulli und Kalle herzlich egal sein, wenn sie nur endlich wieder den großen Henkelpott bekommen! Carlo muss sich aber insbesondere Kritik dafür gefallen lassen, Vidal nicht zur Halbzeit oder allerspätestens nach dem Foul an Casemiro gegen Kimmich ausgewechselt zu haben. Er hat dadurch die Gelb-Rote de facto mit provoziert und so ein physisch angeschlagenes Team zu zehnt in eine Verlängerung geschickt. Dort sind sie dann körperlich eingebrochen, im Grunde ähnlich wie Atleti im Finale 2014.
Zur Zeit gilt für uns ja ganz besonders dass „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“ ist. Daher die Euphorie und das Selbstvertrauen nun am besten mit in Clasico nehmen. Den erneuten Triumph über Bayern hin oder her, diese Saison zählt zuerst die Meisterschaft!