Reportage

Der Arbeiter im Schatten: Warum Casemiro unantastbar ist

Er ist kein Galáctico, kein schillernder Superstar und auch kein Künstler. Trotzdem ist Carlos Casemiro bei Real Madrid nicht mehr wegzudenken. Weil er die besondere Qualität mitbringt, seine Mitspieler besser zu machen.

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Casemiro Real Madrid
Casemiro ist unter Zidane eine feste Größe – Foto: Gabriel Bouys/AFP/Getty Images

Zidanes Erfolgsgarant

MADRID. Spricht man über Zinédine Zidane und die Gründe für seine Erfolge als Trainer von Real Madrid, kommt sicherlich ein buntes Sammelsurium diverser Aspekte zusammen. Für die einen ist es vor allem seine außergewöhnliche Art der Mannschaftsführung, die ihn so stark macht. Für die anderen ist es sein gutes Verhältnis zu Präsident Florentino Pérez und die unter anderem damit einhergehende Abkehr vom Gálactico-Konzept, die seit zwei Jahren für erstaunliche Ruhe an der sonst so stürmischen Concha Espina sorgt, ein Erfolgsgarant. Früher oder später wird jedoch auch eine Personalie zur Sprache kommen, die ohne wenn und aber ganz eng mit „Zizous“ Siegeszug in der spanischen Hauptstadt zusammenhängt: Carlos Henrique Casimiro.

Auch wenn der wuchtige Brasilianer zwischen all den Künstlern wie Cristiano Ronaldo, Luka Modrić, Isco oder Marcelo auf den ersten Blick etwas deplatziert wirkt, ist er für das königliche Star-Ensemble – insbesondere in den großen Spielen – unverzichtbar. Weil er dem Spiel der Blancos eine Komponente zu geben vermag, die im internationalen Spitzenfußball heutzutage über allem steht: Er sorgt für die nötige Balance. Durch seine Arbeit, die meist im Verborgenen stattfindet, ermöglicht es Casemiro seinen Kollegen, ihr volles offensives Potential zu entfalten. Er „hält ihnen den Rücken frei“, wie es im Fußball-Jargon so schön heißt. Eine vermeintlich simple Aufgabe, die doch zu den Königsdisziplinen im Fußball zählt – und die im Weltfußball aktuell kaum ein Spieler so gut beherrscht wie Reals Nummer 14.

Ein Monster im Eins-gegen-Eins

Auf den ersten Blick entspricht das 26-jährige Kraftpaket dem Prototyp des klassischen Abräumers. Der brasilianische Modell-Athlet besticht dabei vor allem durch seine starke Physis und eine exzellente Körperbalance, die ihm im direkten Zweikampf zu besserer Stabilität verhilft. Zudem verfügt er trotz seiner Größe von 1,85 Metern und seinem massig wirkenden Körperbau über eine gute Grundschnelligkeit. Diese fantastischen athletischen Voraussetzungen in Kombination mit seinem außergewöhnlichen Timing bei der Balleroberung sowie seiner starken Antizipationsfähigkeit machen den Südamerikaner zweifelsohne zu einem der besten defensiven Eins-gegen-Eins-Spieler auf diesem Planeten – egal ob in der Luft oder am Boden. Bisweilen wirkt Casemiro wie ein Monster, das seine Gegenspieler durch seine Galligkeit und Aggressivität auffressen will.

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Und auch wenn Reals selbsternannter „Turm in der Schlacht“ dabei ab und an über die Strenge schlägt und an der Grenze zum Platzverweis wandelt, kommt sein Wert für das Team enorm daher: Weil er in der Lage ist, das Zentrum und Herz des Gegners lahmzulegen, somit die Basis für Madrids zumeist dominantes Spiel schafft. Doch den brasilianischen Nationalspieler alleine auf seine Zweikampfqualitäten zu beschränken, würde seiner Bedeutung für Real Madrid keineswegs gerecht. Es ist nämlich eine andere Eigenschaft, die ihn für die Blancos nahezu unverzichtbar macht.

Bessermacher und Lückenfüller

Diese Eigenschaft mag im ersten Moment sehr platt klingen, ist für das Real Madrid von Zidane jedoch elementar: Casemiro macht seine Mitspieler besser. Und zwar dahingehend besser, dass er es ihnen ermöglicht, sich vermehrt auf ihre offensiven Aufgaben zu konzentrieren. Insbesondere ein Marcelo oder Toni Kroos blühten in den letzten Jahren so auf, weil sie wussten, dass der Mann mit der Nummer 14 sie absichert. Während dies dem Linksverteidiger erlaubt(e), sich vermehrt auf den Spielaufbau zu konzentrieren und insgesamt aus einer höheren Position zu agieren, ist es dem gebürtigen Greifswalder seit Casemiros Installierung auf der Position vor der Abwehr möglich, im Spiel gegen den Ball weitaus offensiver anzulaufen. Weil der Brasilianer zudem das oftmals zumindest ausbaufähige Defensivverhalten der Offensive um Ronaldo auszugleichen vermochte, wurde die Qualität des kollektiven Defensivspiels der Blancos in der Vergangenheit signifikant verbessert.

Der 26-Jährige besticht dabei durch sein exzellentes taktisches Verständnis, ist ein Meister darin, bereits während des Angriffspiels der Madrilenen jene Räume zu besetzen, in die der Gegner bei einem Gegenangriff vorstoßen könnte. Verlieren die Blancos einen Ball, ist Casemiro umgehend zur Stelle, um ihn wieder zurückzuerobern. Bisweilen ist es sogar ein beliebtes taktisches Mittel der Madrilenen, dass sich „Case“, sofern Real mit genug Leuten hinter dem Ball agiert, in Lauerstellung positioniert, um seinen Kollegen im richtigen Moment zur Hilfe zu eilen und so die Ballgewinne zu forcieren. Auch die Verteidiger profitieren enorm vom Dauerbrenner der Saison, da diese ebenfalls mit mehr Risiko offensiv aktiv nach vorne verteidigen können – und sie wissen, dass der Brasilianer sich bei Bedarf in die Kette fallen lässt oder die frei gewordenen Räume auf der Außenbahn besetzt. Eine Rolle, die er beispielsweise im Rückspiel gegen PSG (2:1) nahe an der Perfektion erfüllte.

Um Casemiros Spielweise inmitten all der königlichen Superstars kurz und knapp zu beschreiben, ist wohl das Wort „uneigennützig“ äußerst treffend. Er sorgt dafür, dass seine Kollegen glänzen können und das Mannschaftsgefüge auf einer soliden Basis steht. Dass er seine Fähigkeiten jedoch überhaupt in den Dienst der Mannschaft stellen darf, hängt auch ganz eng mit der Personalie Zidane zusammen. Auch wenn es auf den ersten Blick etwas seltsam anmuten mag, dass ein einst so filigraner und eleganter Fußballer wie „Zizou“ so konsequent auf die Dienste des rustikalen Abräumers aus São Paulo setzt, ist die Installierung Casemiros unter dem Franzosen kein Zufall. Reals heutiger Trainer hatte in Claude Makélélé einst selbst einen derart loyalen Zuarbeiter in seinem Team und weiß nur zu gut, welche negativen Konsequenzen der Verkauf seines französischen Nationalmannschaftskollegen 2003 gen Chelsea für die Merengues nach sich zog. Zidane weiß: Seine Mannschaft braucht Casemiro, um zu funktionieren.

Der beste Sechser der Welt? Der beste Sechser für Real

Dass bei der Betrachtung der Qualitäten des Brasilianers auch unweigerlich die Gretchenfrage nach dem besten Sechser der Welt aufkommt, mag einem müßig erscheinen, lässt sich in Zeiten der Ronaldo-Messi-Vergleiche aber wohl kaum vermeiden. Zumal die wohl härteste Konkurrenz mit Barcelonas Sergio Busquets ebenfalls einen Spieler umfasst, der ähnlich essentiell für sein Team ist wie der Südamerikaner. Aber lassen sich diese Spieler überhaupt vergleichen? Mit Xavi Hernández äußerte sich unlängst ein ehemaliger Barça-Akteur in einem Interview mit EL PAÍS ausführlich zu besagter Thematik: „Bei Barça verstehen wir den Fußball im Kontext von Raum und Zeit. Busquets, (Andrés) Iniesta, (Lionel) Messi, sie alle beherrschen diese Dimensionen. Sie wissen immer was zu tun ist, ob sie nun alleine sind oder umzingelt. Mittelfeldspieler wie Casemiro können das nicht. Auf der anderen Seite könnte Busquets nie so absichern oder Eins-gegen-Eins-Duelle bestreiten wie Casemiro. Er ist verdammt schnell. Ihm fallen zwar bestimmte Dinge schwer, aber er hat andere Charakeristika.“ 

Was auf den ersten Blick wie Kritik an Reals Abräumer klingen mag, bringt lediglich auf den Punkt, was eigentlich offensichtlich scheint: Auf dem Papier bekleiden beide Akteure die gleiche Position, repräsentieren jedoch unterschiedliche Spielertypen mit komplett divergenten Aufgaben. Während Casemiro überwiegend absichernde Aufgaben übernimmt und durch seine Stärke in den direkten Duellen besticht, ist Busquets der heimliche Lenker im Spiel des FC Barcelona, gesegnet mit enormer Spielintelligenz und einem exzellenten Positionsspiel, wodurch er weitaus mehr strategische Verantwortung trägt.

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Der Brasilianer mag kein „360 Grad“-Spieler wie sein Pendant bei Barcelona sein, muss er bei den Königlichen aber auch nicht. Mit Toni Kroos, Luka Modrić, Isco oder Marco Asensio gibt der Kader genug andere Akteure her, die die strategischen und kreativen Aufgaben im Spielaufbau übernehmen können. Was die fußballerischen Qualitäten von Reals designiertem „Mann für’s Grobe“ jedoch keineswegs schmälern soll. Seit seiner Ankunft in der spanischen Hauptstadt hat Casemiro spielerisch enorm zugelegt, weiß durch punktgenaue Verlagerungen oder raumschaffende Dribblings den Spielrhythmus mittlerweile durchaus mitzubestimmen – und sorgt dank seiner Schuss- und Kopfballstärke zudem für dringend benötigte Torgefahr aus dem Mittelfeld.

Sein Hauptaugenmerk gilt bei den Blancos jedoch anderen Aufgabenbereichen. Aufgaben, die er so gut beherrscht wie kaum ein anderer Akteur auf der Welt. Ob ihn das zum besten Sechser der Welt macht? Schwierig zu beantworten. Aber es macht ihn mit sehr großer Wahrscheinlichkeit zum besten Sechser für Real Madrid.

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von
Yannick Frei

Hauptberuflich im Nachwuchsfußball zuhause. Von den Großmeistern Figo und Zidane verzaubert, bin ich bis heute ein glühender Anhänger des größten Klubs der Welt.

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