
Iker Casillas wirft ab. Ballannahme mit der Brust, dann pflügt Roberto Carlos die Außenbahn entlang, bittet Zinédine Zidane zum Doppelpass. Natürlich nimmt der Franzose die Sohle. Die Kugel landet bei Ronaldo, der sie nach einem völlig überflüssigen, aber herrlich anzuschauenden Beinschuss gerade noch in den Lauf Luís Figos spitzeln kann. Auch die obligatorische Finte des Fintenkönigs gelingt, seine Flanke in der Folge wird abgefangen.
Umschalten nach Ballverlust. Oder? Kein Gegenpressing von Figo, keines von Ronaldo. Roberto Carlos schaut zumindest in Richtung Ball, Zidane geht die ersten drei Schritte noch mit, die restlichen nicht mehr. Denn sie, die Stars, haben ja noch einen Schutzengel, auf den (fast) immer Verlass ist: Claude Makélélé. Ein 2000 für umgerechnet 14 Millionen Euro von Celta Vigo verpflichteter französischer Mittelfeldspieler, der in Real Madrids damaliger Personalpolitik dennoch irgendwie kein Teil der Zidanes, sondern vielmehr der Pavónes zu sein schien – also einer derer war, die eigentlich gar nicht so wichtig waren. Und doch waren sie so wichtig. Vor allem er.
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Makélélé ermöglicht den Erfolg der “Galaktischen”
Der 1,74-Meter-Mann war ein unermüdlicher Hinterher-Hetzer, gesegnet mit ausgezeichnetem Timing in den aberhunderten Zweikämpfen, die Makélélé als – meist alleiniger – Gegenpol einer Fantasie-Offensive führte, und meistens gewann. Ehe er zuverlässig den nächsten Angriff einleitete, der ihm Sekunden später schon wieder um die Ohren fliegen konnte.
Makélélés Resümee in der spanischen Hauptstadt fällt beeindruckend aus: Schon in seiner ersten Saison, 2000/01, war er nach Figo mit 33 Liga-Einsätzen der Dauerbrenner – ohne ein einziges Tor zu erzielen. Doch die Königlichen, zuvor Vierter, abgeschlagen Zweiter und Fünfter, wurden erstmals nach 1997 endlich wieder spanischer Meister. Sie erreichten das Halbfinale im Lieblings-Wettbewerb Champions League, den sie im Folgejahr gewinnen sollten.

Für das Spektakel waren andere zuständig, den Laden zusammen hielt Makélélé. In 145 Spielen für den spanischen Rekordmeister traf er, der Celta 1998 zum 2:1-Sieg im Bernabéu geschossen hatte, lediglich zwei Mal (sieben Vorlagen): im CL-Viertelfinale 2001 bei Galatasaray Istanbul (2:3) und zum 1:0-Siegtor 2002 beim FC Sevilla. Die Fußballwelt schwärmte in diesen Jahren von den sogenannten “Galácticos”, die 2003 erneut Meister wurden und abermals im Halbfinale der Champions League standen – wo diesmal jedoch Endstation war. Weil (Figo einen Elfmeter verschoss und) ein Makélélé alleine das Ungleichgewicht eben nicht immer ausbügeln konnte.
Beckham bekommt Makélélés Geld
Als die Blancos anschließend Erfolgstrainer und Makélélé-Förderer Vicente del Bosque vor die Tür und dem ohnehin unterbezahlten Franzosen mit David Beckham den nächsten großen Namen vor die Nase setzten, erkundigte sich der damals 30-Jährige – auf Anraten seiner Kollegen – nach einem neuen, zudem etwas besser dotierten Vertrag. Doch die Wertschätzung für den spielenden Staubsauger war geringer als erwartet, sein Begehren wurde humorlos abgewiesen.
“Schon 2001 stellte der Präsident (Florentino Pérez, d. Red.) mir eine Verlängerung des bis 2003 gültigen Vertrages in Aussicht. Doch als im Sommer 2003 Beckham kam, hat man mir gesagt, dass für mich kein Geld übrig sei”, erzählte der Mittelfeldspieler 2019 gegenüber “Stadium Astro”. “Dann sprach mich Valdano(Reals Ex-Sportdirektor) ein wenig zu aggressiv an und meinte, für Real Madrid sollte ich auch umsonst spielen. Ich wollte nicht mehr bei einem Klub bleiben, der mich nicht respektiert.”
Pérez rechnet ab – und liegt völlig falsch
Gekränkt schloss sich der umworbene Makélélé für 20 Millionen Euro Ablöse dem FC Chelsea an, während Präsident Pérez ihm hinterherrief: “Er war kein Kopfballspieler und passte den Ball selten über mehr als drei Meter. Es werden jüngere Spieler kommen, die Makélélé vergessen machen.”
Errare humanum est, Irren ist menschlich.
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Im Westen Londons erfand ein künftiger Coach der Königlichen, José Mourinho, ein Jahr später den Fußball in der Premier League für kurze Zeit neu – Anker des historisch stabilen Erfolgsteams (nur 15 Liga-Gegentore 2004/05) war Claude Makélélé, nach dem diese Rolle vor der Abwehr fortan sogar benannt wurde. Und in Madrid? Dort brachen dunkle Zeiten an. Bezeichnend: Nach Makélélés Wechsel im Jahr 2003 kamen die Blancos sieben Jahre lang nicht übers Königsklassen-Viertelfinale hinaus, sechs Mal war sogar im Achtelfinale Schluss. Zu viel Offensiv-Power, kein Gleichgewicht in der Mannschaft – daraus sollte auch Zidane seine Schlüsse ziehen, als er 2016 Casemiro zwischen Luka Modrić und Toni Kroos festschweißte. Und fortan drei Jahre in Folge der Henkelpokal nach Madrid ging!
“Der Beste, der Wichtigste”
In seiner 2006 veröffentlichen Biographie schrieb Ex-Teamkollege Steve McManaman über Makélélé: “Jahrelang war er der beste Spieler im Team, aber manche Leute haben das einfach nicht registriert, haben nicht wahrgenommen, was er leistete. Wir Spieler wussten alle, dass er der wichtigste war. Der Verlust von Makélélé war der Anfang vom Ende für die ‘Galácticos’.”
Eine legendäre und schier mystische, gleichwohl aber eine “Was wäre, wenn”-Ära gehörte längst der Vergangenheit an, als Real Madrid 2007 wieder spanischer Meister wurde. Zidane war bereits Teil des Trainerteams, als die Merengues 2014 den nächsten CL-Titel, die heiß ersehnte “Décima” errangen. Vielerorts gelten die “Galaktischen”, deren Beginn oder Gipfel einige erst mit der Verpflichtung Beckhams verknüpfen, als gescheitert. Und die Blancos scheiterten auch, weil sie, wie schon 2000 ohne Not Fernando Redondo ziehen gelassen hatten, gewissermaßen zweimal denselben Fehler begingen. Diesmal mit fataleren Folgen.
Makélélé 2020: zurück bei Chelsea
“Wir wussten, dass Zidane, Raúl und Figo nicht zurückarbeiteten, also mussten wir einen Mann vor die Abwehr stellen, der verteidigen würde”, formulierte die italienische Trainer-Koryphäe Arrigo Sacchi, die zwischen 2004 und 2005 kurzzeitig als Sportdirektor der Königlichen fungierte, zumindest in der Theorie, während Claude Makélélé – heute als technischer Mentor erneut bei Chelsea – weiterhin Meisterschaften gewann und CL-Halbfinals spielte. Aber eben nicht mehr bei Real Madrid.
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