Reportage

Der Stratege im Verborgenen: Kroos’ neue Rolle unter Benítez

Wie schon unter Carlo Ancelotti gehört Toni Kroos auch unter Rafael Benítez zu den absoluten Eckpfeilern im Team. Im neu installierten 4-2-3-1 agiert der der deutsche „Professor“ jedoch defensiver als zuvor. Dadurch mag er zwar nicht mehr ganz so auffällig in Erscheinung treten, sein Wert für die Mannschaft ist dennoch enorm.

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Toni Kroos zählt zu den Eckpfeilern im Team der Königlichen

Unter Benítez noch einen Tick defensiver

MADRID. 4589 Minuten, verteilt auf 55 Pflichtspieleinsätze, stand Toni Kroos vergangene Saison für Real Madrid auf dem Feld, zusätzlich hielt Madrids Nummer 8 noch in sechs Einsätzen (601 Minuten) für die deutsche Nationalelf die Knochen hin. Mit anderen Worten: Trotz der Weltmeisterschaft im Sommer und der daraus resultierenden verkürzten Sommerpause spielte der gebürtige Greifswalder nahezu die komplette Kampagne durch. Erholungspausen? Fehlanzeige. Da Teamkollege Luka Modric zweimal über einen längerfristigen Zeitraum verletzungsbedingt nicht zur Verfügung stand, blieb dem letztjährigen Trainer Carlo Ancelotti eigentlich keine andere Wahl. Der Kräfteverzehr machte sich natürlich trotzdem im Laufe der Zeit bemerkbar und so war dem zentralen Mittelfeldspieler im Schlussspurt die fehlende Spritzigkeit und mentale Frische in mehreren Partien doch deutlich anzumerken.

[dataset id=39]Unter Neu-Trainer Rafael Benítez soll sich dies anders gestalten, mit Rückkehrer Casemiro und Inter-Verpflichtung Mateo Kovačić besitzt man konkurrenzfähige Alternativen in der Hinterhand und kann so häufiger auf Rotationen zurückgreifen, was „Rafa“ auch bereits tat. Aber nicht nur das Thema Rotationen soll anderweitig gehandhabt werden, unter dem 55-jährigen Übungsleiter findet sich Kroos überdies in einer neuen Rolle wieder. Bekleidete der Weltmeister bereits unter Ancelotti als zentraler Sechser vor der Abwehr in „Carlettos“ obligatorischem 4-3-3 eine zurückhaltendere Rolle als man es bei Bayern München gewohnt war, agiert Kroos unter Benítez nochmals einen Tick defensiver. Dadurch erscheint der Ex-Bayer auf den ersten Blick zwar nicht mehr ganz so dominant und spielbestimmend wie noch ein Jahr zuvor – und zugegebenermaßen waren bis dato in den Spielen gegen Gijón (0:0) und Granada (1:0) auch zwei eher unterdurchschnittliche Auftritte dabei –, bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass der „Professor“ in seiner neuen Position einen der wichtigsten Bausteine im System der Merengues darstellt.

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Modric treibt an, Kroos sorgt für Balance

Zunächst gilt es die allgemeine Systemumstellung unter Benítez zu betrachten. In der Regel lässt der gebürtige Madrilene sein Team im 4-2-3-1 auflaufen, welches in der Defensive situativ in ein 4-4-2 übergeht. Im Vergleich zu Ancelottis 4-3-3 ist das Zentrum folglich nicht mehr durch drei zentral orientierte Spieler abgedeckt, sondern verfügt nominell nur noch über zwei zentrale Mittelfeldspieler, die von den einrückenden Außen punktuelle Unterstützung erhalten. Da man insgesamt jedoch ein wenig offener verteidigt, genießt die defensive Balance einen höheren Stellenwert. Und für diese ist der deutsche Nationalspieler in erster Linie in seiner neuen Funktion zuständig. Zudem macht es den Anschein, dass Benítez Modric’ offensives und gestalterisches Potential noch besser nutzen will und den Kroaten deshalb mit mehr Freiheiten nach vorne ausstattete. Bislang machte sich diese Maßnahme bezahlt, „Lukita“ wusste in jeder Partie als unermüdlicher Antreiber und Kreativposten zu überzeugen. Da dieser zudem in puncto Beweglichkeit und Spritzigkeit Vorteile gegenüber Kroos aufweist, hat der „Mozart vom Balkan“ den etwas aggressiveren Part im Defensivspiel inne, während der deutsche Nationalspieler vorwiegend auf zweite Bälle lauert und als Absicherung in der Tiefe fungiert.

Dass Kroos in seiner neuen Rolle noch mit einigen Anpassungsschwierigkeiten zu kämpfen hat, ist völlig normal. Speziell im Spiel gegen den Ball agiert der Mecklenburger bisweilen noch zu körperlos und kommt den berüchtigten Schritt zu spät. Im Großen und Ganzen weist er jedoch mehr als ordentliche Werte auf. Mit durchschnittlich zwei Tacklings pro Partie befindet sich der Blondschopf auf Rang 5 im internen Ranking, mit Casemiro (2,8) verfügt nur ein Mittelfeldakteur über einen höheren Score. Beim Blick auf die abgefangenen Bälle (durchschnittlich einer pro Partie) wird deutlich, dass Kroos eher mit der Absicherung beziehungsweise mit Löcherstopfen beschäftigt ist und Modric (2,4) etwas risikoreicher agiert. Optimierungsbedarf herrscht jedoch in den angesprochenen direkten Zweikämpfen, mit 1,3 überlaufenen Dribblings weist der Rechtsfuß den zweitschlechtesten Wert auf.

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Beim 2:1-Erfolg gegen Bilbao wirkte Kroos im Defensivverhalten allerdings sehr gefestigt. Er wusste auch durch Robustheit zu überzeugen und bewies zugleich, dass er die nötigen Voraussetzungen zur Erfüllung der Abwehraufgaben durchaus mitbringt. Positiv bemerkbar machte sich in diesem Kontext die Anwesenheit Kovačićs, da dieser diszipliniert und aggressiv nach hinten aushalf. Da gegenwärtig mit James Rodríguez zudem ein Spieler außer Gefecht ist, der einen unheimlich großen Einfluss auf die Balance im Team besitzt, verändert sich die gesamt-taktische Ausrichtung mit Spielern wie Isco zu einer etwas offensiver ausgerichteten Verteidigung, wodurch dem Mittelfeld-Strategen mehr defensive Verantwortung zukommt.

Passmaschine mit grandioser Pressingressistenz

Die Arbeit Kroos’ mag unspektakukär wirken, ist für die Mannschaft allerdings goldwert. Durch seine hohe Spielintelligenz vermag der 25-Jährige den Blancos die nötige defensive Ausgeglichenheit zu verleihen, die es den Offensivkünstlern um Cristiano Ronaldo erlaubt zu glänzen. Als noch wertvoller erweist sich der deutsche Nationalspieler allerdings im Aufbauspiel. Durch seine enorme Passsicherheit, seine grandiose Pressingressistenz sowie seine hervorragend getimten Spielverlagerungen ist Kroos der perfekte Initiator für das Angriffsspiel der Königlichen. Der deutsche Nationalspieler mag vermehrt den einfachen Querpass über fünf bis zehn Meter suchen, dafür besitzen dessen Pässe in die Tiefe eine extrem hohe Genauigkeit. Da Madrids Organisator in seiner Rolle bisweilen auf Höhe der Abwehrkette agiert und somit keine direkte Absicherung besitzt, ist eine geringe Fehlerquote essentiell. Mit seiner abgeklärten und ruhigen Spielweise verleiht er dem Aufbau der Blancos Struktur.

Am beeindruckendsten ist jedoch seine Fähigkeit, Spielsituationen unter höchster Bedrängnis zu lösen, ohne dabei in Hektik zu verfallen und technisch unsauber zu werden. Kroos findet fast immer eine Lösung, ganz egal wie hoch oder früh der Gegner attackiert. Und ein jeder, der selbst im Fußball aktiv ist oder war, weiß, wie anspruchsvoll es ist, in derartigen Situationen dermaßen klar und präzise zu agieren, wie es der Weltmeister im Stande ist zu tun. Besonders herauszuheben ist hierbei der Auftritt  gegen Bilbao, als er trotz des hohen Angriffspressings der Basken eine schier unglaubliche Passquote von 98 Prozent vorweisen konnte. Mit insgesamt 94,3 Prozent ist er natürlich auch der passsicherste Profi im Madrider Star-Ensemble, ebenso liegt der Familienvater bei den durchschnittlich gespielten Pässen vorne (78,8).

Nicht minder erwähnenswert ist die Fähigkeit Kroos’, jegliche Zuspiele mit der perfekten Temperierung zu spielen, besonders öffnende Seitenwechsel. Da die Merengues in nahezu jedem Spiel auf eher defensiv, engmaschig verteidigende Mannschaften treffen, sind Verlagerungen im Spielaufbau essentiell, um entsprechende Räume zu schaffen. Wobei in diesem Zusammenhang die tiefere Ausrichtung nur marginal Auswirkungen hat, abträglich ist sie für die öffnenden Bälle jedoch sicherlich nicht. Dass Kroos mit 5,8 langen Bällen pro Partie unangefochten den Spitzenplatz belegt, muss man wohl gar nicht großartig erwähnen.

Kroos lässt die anderen glänzen

Insgesamt mögen andere für die spielerischen Glanzmomente sorgen, doch Kroos ist der Stratege und Arbeiter im Verbogenen, der durch seine Zuverlässigkeit und vor allem geringe Fehlerquote die Maschinerie am laufen hält. Auch wenn seine Spielweise auf den ersten Blick unspektakulär und einfach wirken mag, stellt sie eigentlich doch die Königsdisziplin dar. Für ein präzises Passspiel und klares Agieren benötigt es höchste technische Voraussetzungen und ein hohes Maß an Spielintelligenz. Fußball ist an sich ein einfaches Spiel, es jedoch so einfach wie möglich zu halten, womöglich die größte Kunst. Kroos versteht es wie nur wenige, höchste Effizienz mit Pragmatismus im Spiel zu paaren – und das auf Weltklasse-Niveau. Dadurch leidet vielleicht ein wenig der Glamour, aber dafür profitiert das Team umso mehr. Und es besteht die berechtigte Hoffnung, dass Bilbao nur ein Vorgeschmack dessen war, was man vom Madrider Organisator in den nächsten Wochen und Monaten erwarten darf, wenn er noch weiter in seine neue Rolle hineinwächst.

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von
Yannick Frei

Hauptberuflich im Nachwuchsfußball zuhause. Von den Großmeistern Figo und Zidane verzaubert, bin ich bis heute ein glühender Anhänger des größten Klubs der Welt.

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