
Die 2010er-Jahre spenden Trost
MADRID. Juventus, Arsenal, Bayern, AS Rom, Liverpool und Lyon. Gegen diese Vereine schied Real Madrid von der Saison 2004/05 bis zur Saison 2009/10 sechs Mal in Folge bereits im Achtelfinale aus der Champions League aus. Diese sechs Klubs in dieser Reihenfolge stehen also für eine schwarze Serie, die viele Madridistas mit Sicherheit gern verdrängen würden. Oder vielleicht sogar verdrängt haben, denn was der spanische Rekordmeister in der jüngeren Vergangenheit in diesem so bedeutenden Wettbewerb vollbracht hat, spendete Trost für vieles, ist bisher unerreicht und möglicherweise auch nicht dafür bestimmt, jemals von irgendeinem Team noch einmal erreicht zu werden. Die Rede ist natürlich von den sagenhaften vier Titelgewinnen samt Titelhattrick in den Jahren 2014, 2016, 2017 und 2018.
„Ein Ferrari ohne Räder“
Um die Jahrtausendwende gelang den Madrilenen in der Königklasse bereits etwas kaum minder Beachtliches, als man den Henkelpott 1998, 2000 und 2002 in die Höhe stemmen durfte. Was danach folgte war ein schleichender Prozess des Niedergangs, der in besagter Achtelfinal-Horrorserie gipfelte. Als Stein des Anstoßes für diese negative Entwicklung betrachten nicht wenige den Verkauf Claude Makélélés, als dieser 2003 für David Beckham weichen musste und ein Team mit einer völlig überladenen Offensive um Beckham, Zidane, Guti, Figo, Raúl und Ronaldo zurückblieb, das jegliche Balance und Verantwortlichkeiten vermissen ließ. Einer der leidtragenden war der damalige Chefcoach Carlos Queiroz, der bezüglich Makélélés Abgang treffend formulierte: „Ein Ferrari ohne Räder bekommt Probleme. Florentino (Pérez; Anm. d. Red.) wollte nicht auf mich hören und am Ende war ich es, der die Suppe auslöffeln musste.“ In der Spielzeit 2003/04 sollte zwar immerhin noch das Viertelfinale in der Champions League erreicht werden, als ausgerechnet Real-Leihgabe Fernando Morientes mit seiner AS Monaco die „Galácticos“ aus dem Turnier kegelte, doch ab dann nahm das Unheil seinen Lauf.
Ein Albtraum, der nicht enden will
In der Saison 2004/05 wartete mit Juventus Turin im Achtelfinale ein Top-Gegner. Die Blancos gingen mit einem 1:0-Heimerfolg in das Rückspiel, in welchem es nach 90 Minuten 1:0 für die „Alte Dame“ stand – Verlängerung. Ein Treffer der Italiener in der 116. Minute besiegelte letztlich das bittere Aus für das weiße Ballett. Im Folgejahr bekam man es mit dem FC Arsenal wieder mit einem (damaligen) Brocken zu Beginn der K.o.-Runde zu tun. Den Londonern reichte für das Weiterkommen (0:1, 0:0) ein Traumsolo von Thierry Henry, als er Reals halbe Mannschaft wie lästige Fliegen einfach abschüttelte. Die Madrilenen gaben dabei insgesamt ein so desolates Bild ab, dass Florentino Pérez sich sogar dazu veranlasst sah, im Sommer 2006 sein Amt als Präsident des Klubs niederzulegen.
In den beiden darauffolgenden Spielzeiten 2006/07 sowie 2007/08 konnten die Merengues zwar jeweils die spanische Meisterschaft ergattern, auf europäischer Ebene gab man jedoch weiterhin den zahnlosen Tiger: 2007 scheiterte man aufgrund der Auswärtstorregel und dem schnellsten Tor der Champions-League-Geschichte von Roy Makaay am FC Bayern (3:2, 1:2), 2008 zog man gegen die AS Rom in Hin- und Rückspiel den Kürzeren (1:2, 1:2).
Zwei Pleiten sollte es auch ein Jahr später gegen den FC Liverpool (0:1, 0:4) geben, wurde dabei vor allem im Rückspiel vom Duo Steven Gerrard und Fernando Torres regelrecht vorgeführt. Bereits das fünfte Mal in Folge das Aus im Achtelfinale, mit Vanderlei Luxemburgo, Juan Ramón López Caro, Fabio Capello, Bernd Schuster und Juande Ramos stand im Übrigen auch jedes Mal ein anderer Trainer an der Seitenlinie.
Um diesen zermürbenden Negativlauf zu stoppen, sollten nun die ganz großen Geschütze aufgefahren werden, zumal man in Madrid jetzt ein ganz großes Ziel vor Augen hatte: das Erreichen des Champions-League-Finals 2010 im heimischen Estadio Santiago Bernabéu!
Erst „The Special One“ bringt die Wende
Zunächst kehrte Florentino Pérez im Sommer 2009 in das Präsidentenamt zurück und machte es sich zur Aufgabe, Reals Misere ein Ende zu setzen. Er installierte Manuel Pellegrini als neuen Trainer und verpflichtete unter anderen Cristiano Ronaldo, Kaká, Karim Benzema und Xabi Alonso für damals schier unfassbare und astronomische 300 Millionen Euro – damit musste der Bann doch gebrochen werden, oder? Mitnichten! Was folgte war stattdessen der Höhepunkt des CL-Achtelfinal-Fluchs mit dem Ausscheiden gegen Olympique Lyon (0:1, 1:1) – trotz dem möglichen Finale im heimischen Stadion und trotz der gigantischen Transferoffensive! Folglich hielt sich auch Pellegrini nicht länger als seine Vorgänger auf dem königlichen Trainerstuhl, später sollte er einmal sagen: „Mir war allerdings schon im Monat meiner Ankunft klar, dass ich maximal bis zum Saisonende bleibe. Die Differenzen mit dem Präsidenten waren von Anfang an groß. Er hat mich geholt, ohne an mich zu glauben.“
Sein Nachfolger wurde ein gewisser José Mourinho, der mit Inter Mailand das schaffte, wovon man bei Real so sehr träumte, indem er die Champions League im Bernabéu gewann. Er sollte genau der Mann an der Seitenlinie werden, den es scheinbar gebraucht hat. Unter dem Portugiesen fand die Horror-Achtelfinal-Serie endlich ein Ende, als man in seiner Debütsaison bis ins Halbfinale der Champions League vordrang. Und ist der Knoten einmal geplatzt, dann läuft es direkt so richtig: Zwischen 2011 und 2018 erreichten die Blancos acht Mal hintereinander mindestens das Halbfinale. Das gelang zuvor noch keiner Mannschaft und plötzlich folgt auf die schwarze Serie eine regelrecht „weiße“.
Das Ende einer Ära
Zu verdanken hat man die jüngsten Triumphzüge durch Europa auch Cheftrainer Zinédine Zidane, der als Spieler noch am Beginn des Achtelfinal-Fluchs beteiligt war und nun als Coach das Werk vollendete, welches Mourinho 2011 begonnen hat. „Ich wäre gerne in dem Moment zu Real Madrid gekommen, als ich ging. Warum? Weil es ein Traum ist, eine Mannschaft von José Mourinho zu übernehmen. Ich bin ein Maurer des Fußballs. Nach mir war Real bereit zu explodieren“, so die gewohnt markigen Worte von „The Special One“.

Nach dem Titelhattrick in der Königklasse ging Zidane im Sommer 2018 im größtmöglichen Moment, Superstar Cristiano Ronaldo tat es ihm gleich. Es folgte etwas, von dem man in Madrid schon gar nicht mehr wusste, wie es sich anfühlt: das Champions-League-Aus im Achtelfinale der Saison 2018/19! Gegen Ajax Amsterdam (2:1, 1:4) wurde man dabei förmlich bloßgestellt. Auch in der Spielzeit 2019/20 kam man erneut nicht über das Achtelfinale hinaus und verlor sowohl das Hin- als auch das Rückspiel gegen Manchester City mit 1:2 – mittlerweile auch wieder mit „Zizou“ als Trainer, damals seinem ersten Ausscheiden in dem Wettbewerb, den er zuvor drei Mal gewann.
Parallelen zu damals?
Ein seltsames Gefühl schwingt dabei mit. Lassen sich in der aktuellen Situation nicht sogar Parallelen zu damals erkennen? Als man nach den Champions-League-Titeln um die Jahrtausendwende später permanent im Achtelfinale seine Koffer packen musste? Auch jetzt kam man aus einer enorm erfolgreichen Zeit, auch jetzt war schon wieder zwei Mal in Serie in der Runde der letzten 16 Schluss. Mit Atalanta Bergamo (Mittwoch, 21 Uhr, im REAL TOTAL-Liveticker und bei Sky) wartet nun erneut eine unangenehme Aufgabe auf Toni Kroos und Co., die Personalsorgen sind zudem gigantisch. Droht also das gleiche Schicksal wie in den 00er-Jahren und ein Rückfall in dunkle Zeiten? Erst kürzlich äußerte Predrag Mijatović, einstiger Stürmer und Sportdirektor an der Concha Espina: „Die Galácticos schrieben Geschichte, aber es kommt ein Moment, in dem entscheidende Spieler einfach abgenutzt sind und nicht mehr das geben können, was du in dem Moment brauchst.“ Das sei „aktuell ziemlich ähnlich zu der damaligen Situation der Galácticos.“
Die Spieler haben es selbst in der Hand, das dritte Achtelfinal-Aus in Folge zu verhindern. Die Vorzeichen sind erschreckend ähnlich zu denen von damals, ein Rückfall in die 00er-Jahre scheint möglich. Aber auch für Atalanta wird spätestens im Rückspiel gelten, was Real-Legende Juanito so einprägsam zu sagen pflegte: „Noventa minuti en el Bernabéu son molto longos!“ 90 Minuten im Bernabéu sind also sehr lang. Hoffentlich gilt für das Estadio Alfredo Di Stéfano dasselbe.
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