
Probleme in der Spielauslösung
In der Spielauslösung agierten die Blancos in der Regel im 3-5-2-System, wobei Raphaël Varane zumeist wichtigster, da ballsicherster Aufbauspieler war. Bereits in den Anfangsminuten setzten die „Blues“ die Königlichen mit einem aggressiven (Angriffs-)Pressing unter Druck. So liefen Timo Werner und Christian Pulišić die Dreier-Abwehrkette der Blancos zumeist so an, dass Real gezwungen war, über die Außenposition zu spielen.

Dahinter orientierten sich N’Golo Kanté und Mason Mount so im Raum, dass die ballnahen zentralen Mittelfeldspieler zugestellt waren. Jorginho sicherte das „Mann-auf-Mann-Pressing“ ab und konnte eingreifen, wenn seine Vorderleute überspielt waren. Interessant war hier, dass Kanté sich zumeist an Kroos orientierte und diesen über weite Strecken aus der Partie nahm. Oftmals blieb den Madrilenen dann nur der lange Ball.

Um sich diesem dauernden Druck zu entziehen, ließ sich Kroos oftmals auf die linke Innenverteidigerposition fallen – ein Mechanismus, der oft zu beobachten ist, wenn Real mit der Viererkette agiert. Ziel ist dann zumeist, eine Überzahl in der ersten Linie herzustellen. Gegen Chelsea schien Kroos eher die Absicht zu verfolgen, sich dem Zugriff von Kanté zu entziehen und das Spiel vor sich zu haben (offene Stellung). Damit sich die Aufbauspieler nicht gegenseitig auf den Füßen standen, musste – sofern sich Kroos auf die linke Innenverteidigerposition fallen ließ – der linke Innenverteidiger (hier: Nacho) auf die linke Außenverteidigerposition hochschieben, um Tiefe zu erzeugen. Der eigentliche linke Außenverteidiger (hier: Marcelo) rotierte auf die zentrale Mittelfeldposition durch.

Aus dieser neuen Besetzung der Positionen ergaben sich einige Schwierigkeiten für die Mannschaft von Zinédine Zidane: Zwar hatte Kroos das gesamte Spielfeld ohne direkten Gegnerdruck vor sich, Nacho – in dieser Situation Außenverteidiger – konnte zwar zumeist angespielt werden, diente aber aufgrund seiner eingeschränkten technischen Fähigkeiten als optimales Pressingopfer. Anstatt durch einen guten ersten Kontakt Tiefe zu gewinnen, ließ sich Nacho in vielen Fällen zu einem Rückpass zwingen, der nicht selten in einem langen Ball und so einem Ballbesitzwechsel resultierte. Zudem gestaltete sich auch ein Spiel über das Zentrum schwierig, da Marcelo zwar technisch gut ausgebildet ist, auf der zentralen Mittelfeldposition jedoch nicht über die ausgeprägten positionsspezifischen Techniken eines Toni Kroos verfügt.

Bei eigenem Ballbesitz: Keine Kontrolle im Mittelfeld
Interessanterweise hatte auch Kreativkopf Luka Modrić Probleme mit dem Druck im Zentrum und orientierte sich deshalb in Durchgang eins primär auf die rechte (Halb-)Position. Dort hatte der Kroate zwar die Möglichkeit, über Dani Carvajal oder Karim Benzema Tiefe zu kreieren – Chelseas aggressive Art, gegen den Ball zu arbeiten, sorgte jedoch in Kombination mit dieser atypischen Positionierung dafür, dass Reals Schaltzentrale Kroos-Modrić weitgehend voneinander separiert war. Spielten die Blancos über das Zentrum – zumeist von Casemiro und Marcelo besetzt – hatte das einige Ballverluste und vielversprechende Umschaltmomente für den CFC zur Folge.

Bei gegnerischem Ballbesitz: Variabilität der Chelsea-Offensive tut Real weh
Wenn die „Blues“ selbst den Ball in ihren Reihen hatten, pressten die Blancos oft hoch – so liefen Vinícius, Benzema und in vielen Fällen Modrić die Chelsea-Dreierkette an. Das resultierte darin, dass Kroos und Casemiro sich in einem “Mann-auf-Mann-Pressing” gegen Kanté und Jorginho befanden. Die größte Problematik des königlichen Pressingmechanismus bestand darin, dass durch Modrićs hohe Positionierung keine Absicherung in der Mittelfeldzentrale implementiert wurde.

Nicht selten löste Chelsea das Tiefenspiel über die Außenverteidiger aus. Dadurch, dass keine Absicherung im Mittelfeldzentrum vorhanden war, konnte der CFC Kantés Tempo nutzen, der immer wieder in die Tiefe startete und den Ball oft in der halbrechten oder rechten Position empfing, um das Leder von dort weiter nach vorne zu treiben oder vor das Tor zu spielen.

Entschied sich das Team von Thomas Tuchel hingegen für einem Angriff durch das Zentrum, kristallisierte sich die Variabilität in der vordersten Reihe als wertvolles Werkzeug. So besetzten von den drei Angreifern einer (1-2-Formation vorderster Reihe) oder zwei (2-1-Formation in vorderster Reihe) den Raum hinter Kroos und Casemiro, um den Ball zwischen den Linien zu empfangen. Diese Bewegung führte in vielen Fällen dazu, dass einer der Innenverteidiger der Merengues mitging und so ein Raum (im Rücken des herausrückenden Verteidigers) entstand, der bespielt werden konnte. Die besondere Gefahr bestand hierbei auch darin, dass der Rekordsieger insbesondere in Durchgang eins hoch presste und somit der Raum zwischen letzter Reihe und Courtois groß war.

Alternativ kippte einer der Angreifer in die Halbpositionen im Mittelfeld ab, um den Ball dort halboffen zu empfangen – hier würde nun eine Überzahl entstehen. Als Reaktion darauf reagierten Reals Außenverteidiger mit einem Herausschieben, was wiederum Räume in deren Rücken (für die jeweiligen gegnerischen Außenverteidiger Chilwell oder Azpilicueta) eröffnete. Die Konsequenz war ähnlich: Auch hier konnten die „Blues“ viel Druck auf die letzte Reihe der königlichen aufbauen – nicht selten sogar spieloffen (frontales Bespielen der Real-Defensive).
Wie „Zizou“ reagierte oder: Die Lehren für das Rückspiel
Da Zidane und sein Trainerteam natürlich sowohl die Probleme in eigenen Ballbesitzphasen als auch die enormen Gefahrenpotenziale des CFC-Ballbesitz identifizierten, nahm der Franzose in der Halbzeit einige Anpassungen vor: So beorderte der Franzose Modrić mehr in Richtung Zentrum, sodass grundsätzlich mehr Ballsicherheit im Zentrum vorhanden war und die Verbindung Kroos-Modrić eine entscheidende Achse im Spielaufbau und Übergangsspiel bildete.
Auf diese Weise erarbeiteten sich die Merengues zwar deutlich mehr Stabilität in den eigenen Ballbesitzphasen, was zugleich eine merklich geringere Anfälligkeit für gegnerische Umschaltmomente beinhaltete – wirklich klare Torchancen erspielten sie sich aber nicht. Hier könnte ein Schlüssel darin liegen, dass die Offensivspieler der Blancos durch gegenläufige Bewegungen selbst Räume sowie Zuordnungsprobleme in der Chelsea-Defensive kreieren und diese mit Präzision und Tempo brutal bespielen.

Defensiv stellte der Cheftrainer zudem eher auf ein 5-3-2-System um, sodass die Zwischenlinienräume nicht mehr so einfach zu attackieren waren. Die Folge: Chelsea hatte merklich weniger Situationen, in denen sie frontal auf die Abwehr zuliefen. Mit etwas mehr Präzision, hätten die Blancos vielleicht sogar den einen perfekten Umschaltmoment erwischen können – je nach Spielverlauf auch eine Option für das Rückspiel (wenngleich es die Merengues sind, die an der Stamford Bridge tendenziell stärker zum Agieren gezwungen sind).

Fazit
Mit Blick auf das Hinspiel erachte ich – hier sei die persönliche Note erlaubt – nicht unbedingt die Frage, ob Dreier-, Vierer- oder Fünferkette die richtige Wahl ist. Vielmehr bin ich der Überzeugung, dass Real einerseits im Mittelfeld die gewohnte Dominanz ausüben muss und es im Spiel gegen den Ball extrem wichtig sein wird, die Achter, die vermutlich Kanté und Mount aufnehmen werden, mit einem näher zum eigenen Tor positionierten Spieler abzusichern. Dann sollte für die Blancos, die in fünf der letzten sechs Partien ohne Gegentor blieben, mehr als ein Unentschieden in London und dadurch das nächste Finale drin sein.
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