Reportage

Die Zukunft heißt Kovačić: Kronprinz im Wartestand

Bislang agiert Mateo Kovačić eher als Mann für alle Fälle aus der zweiten Reihe. Doch der Kroate hat das Potential für mehr. Der 21-Jährige repräsentiert die Zukunft des Vereins und könnte eine schwere strukturelle Kaderlücke endlich schließen. Im Endspurt dieser Saison könnte Madrids Nummer 16 sogar Reals Geheimwaffe werden.

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Mateo Kovačić (l.) kam im Sommer von Inter Mailand zu den Königlichen

Der „neue Luka Modrić“

MADRID. Nicht Paul Pogba, nicht Marco Verratti, sondern Mateo Kovačić hieß die Alternative für das zentrale Mittelfeld, die Real Madrid im Sommer präsentierte. Der 21-jährige Kroate war für viele Fußball-Kenner zwar kein Unbekannter, der Transfer an sich stellte unter dem Strich jedoch schon eine kleine Überraschung dar. Geschätzte 30 Millionen überwiesen die Königlichen an Inter Mailand, um sich die Dienste des 1,78 Meter großen und 77 Kilogramm schweren Rechtsfußes zu sichern. Eine nicht unerhebliche Summe, die jedoch gut investiert zu sein scheint. Bereits bei seiner Ankunft erhielt der Osteuropäer viele Lobhuldigungen, in seiner Heimat gilt er längst als der „neue Luka Modrić“. Und auch dieser selbst hat eine extrem hohe Meinung von seinem Landsmann, Präsident Florentino Pérez berichtete im Zuge der Verpflichtung davon, dass Modrić seinen legitimen Nachfolger mit den Worten „In zwei Jahren wird er um den Weltfußballer-Titel kämpfen“ empfohlen habe.

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Aber wie steht es denn nun um den hoch gelobten Kronprinzen bestellt, nach etwas mehr als einem halben Jahr in Spaniens Hauptstadt? Die Gesamtbilanz mit bisher insgesamt 24 Pflichtspieleinsätzen (ein Tor, zwei Vorlagen) liest sich zwar ordentlich, für die Startelf reichte es allerdings nur in neun Fällen. Daraus jetzt aber abzuleiten, dass sich der kroatische Nationalspieler mit seinem Wechsel zum spanischen Rekordmeister übernommen hätte, wäre falsch. Denn: Madrids Nummer 16 deutete in dem Großteil ihrer Einsätze an, welch enormes Potential in ihr schlummert und demonstrierte überdies, dass sie die Zukunft dieser Mannschaft sein kann. Vielleicht kann Kovačić aber auch schon mehr sein als das und im Kampf um Meisterschaft und Champions League noch in dieser Saison so etwas wie die Geheimwaffe der Blancos werden. Von seinen Anlagen her hätte er nämlich das Potential, eine strukturelle Schwäche im Kader Madrids zu beheben.

Schließt Kovačić Di Marías Lücke?

Von seinem Spielstil erinnert der gebürtige Linzer tatsächlich ein wenig an Modrić. Aufgrund seiner Größe zwar nicht ganz so wendig wie der „Mozart vom Balkan“, ist Kovačić dafür mit einer für einen zentralen Mittelfeldspieler enormen Dynamik gesegnet, die er oft gewinnbringend einzusetzen vermag. Auch seinen Körper weiß der 21-Jährige geschickt einzusetzen und sich so auch mit dem Rücken zum Gegner aus engen Situationen zu befreien. Für die Halbpositionen im 4-3-3-System Reals ist er hervorragend geeignet, neben seinen individuellen Qualitäten im Eins-gegen-Eins und seinen raumbringenden Läufen in die Tiefe verfügt der Kroate über eine gut ausgeprägte Spielintelligenz, weiß sich ins Kombinationsspiel einzubinden und besitzt ein gutes Auge für Pässe in die Schnittstellen. 

Was Kovačić jedoch so unheimlich wertvoll macht, ist dessen Defensivstärke. Egal ob im Zentrum oder als situativer Linksaußen im defensiven 4-4-2, der Ex-Inter-Spieler weiß sich stets richtig zu positionieren und imponiert durch eine aggressive Zweikampfführung. Egal ob im Pressing nach vorne oder intensives Nachsetzen in der Rückwärtsbewegung, der Sommer-Neuzugang erobert enorm viele Bälle. Aufgrund seiner Schnelligkeit weiß er auch Laufduelle über längere Distanzen für sich zu entscheiden. Am beeindruckendsten in dieser Hinsicht ist jedoch die Robustheit, welche der Jungstar bereits in den direkten Zweikämpfen an den Tag legt. Teils auch aussichtslose Bälle vermag der Kroate durch intensives Nachsetzen und geschicktes Reinstellen seines Körpers für sich zu entscheiden, in Anbetracht von Madrids insgesamt doch eher sehr offensiver Ausrichtung eine Eigenschaft, die goldwert ist.

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Ebendiese Mischung aus offensiver Spielstärke und Dynamik gepaart mit seinen Defensivqualitäten machen Kovačić zu einer der interessantesten Personalien im ganzen Kader. Aufgrund jener Eigenschaften könnte der Kroate nämlich eine Lücke schließen, die Real Madrid seit über einem Jahr nun schon gehörig Kopfschmerzen bereitet: nämlich die nach Ángel di Marías Abgang. Der Argentinier war als Balancespieler unter Carlo Ancelotti eines der wichtigsten Puzzleteile und sorgte für die nötige Ausgeglichenheit im Spiel der Merengues. Besonders defensiv war „el Fideo“ durch sein enormes Laufpensum eine tragende Säule auf dem Weg zu „la Décima“ und hinterließ nach seinem Abgang ein Vakuum, das bis heute nicht so wirklich gefüllt ist. Weder James Rodríguez noch Isco, die diese Position zuletzt in der Regel besetzten, konnten dabei über lange Sicht übezeugen. Sowohl der Kolumbianer als auch der Spanier sind begnadete Fußballer, die durch feine Pässe, Distanzschüsse oder überraschende Dribblings für den Unterschied sorgen können, unter dem Strich geht beiden jedoch die nötige defensive Stärke ab. Isco überzeugt dabei zwar stets durch viel Laufarbeit, offenbart allerdings ein ums andere Mal taktische Fehler, James wirkte zum einen in den letzten Wochen körperlich nicht auf der Höhe und lässt in der Arbeit gegen den Ball vor allem die nötige Robustheit vermissen. Beide Spieler sind dabei in gewisser Weise Opfer des Systems, handelt es sich doch um zentrale offensive Mittelfeldspieler, die ihre Stärken hinter den Stürmern (oder einem Stoßstürmer) wohl am besten zur Geltung bringen könnten.

Beweist Zidane Mut?

Für die Halbposition im aktuellen 4-3-3 scheint Kovačić aktuell mehr zu sein als nur die vielversprechende Alternative für die Zukunft. Natürlich, mit seinen 21 Jahren ist der Kroate noch ein gutes Stück davon entfernt, ein gestandener Spieler zu sein und offenbart auch noch die eine oder andere Schwäche. Die Entscheidungsfindung ist beispielsweise noch ausbaufähig, in manchen Momenten präsentiert sich der frühere Zagreb-Akteur zudem noch zu ballverliebt. Und inwieweit er sein reichlich vorhandenes Potential auch konstant abrufen kann, ist selbstverständlich noch offen. Doch wenn Real Madrid in dieser Saison speziell im Kampf um die Königsklasse noch ein ernstes Wörtchen mitreden will, muss Zinédine Zidane das Balance-Problem im Mittelfeld schnellstens in den Griff bekommen. Ob der Franzose dabei das Risiko eingeht und in der heißen Schlussphase der Saison den Kroaten ins kalte Wasser wirft?

Hoch erscheint die Wahrscheinlichkeit freilich nicht, dass die „Etablierten“ James und Isco zurückstecken müssen. Mit Blick auf das Anforderungsprofil der Position im real’schen System sowie der vorhandenen defensiven Probleme sollte Kovačić in den aktuellen Planungen allerdings keineswegs unbeachtet bleiben. Dass Madrids Nummer 16 die Zukunft gehört, ist in Anbetracht seiner Fähigkeiten und seines Potentials ziemlich wahrscheinlich, aber vielleicht fängt diese Zukunft bereits jetzt an. Vielleicht wird aus dem Kronprinz im Wartestand ein König(licher) auf dem Weg zum nächsten großen Titel.

Real-Trikot mit KOVACIC-Aufdruck – weiß-kurzgrau, blau und weiß-lang

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von
Yannick Frei

Hauptberuflich im Nachwuchsfußball zuhause. Von den Großmeistern Figo und Zidane verzaubert, bin ich bis heute ein glühender Anhänger des größten Klubs der Welt.

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