Reportage

Endlich Stammspieler – gelingt Varane jetzt der letzte Schritt?

Raphaël Varane galt schon immer als das größte Juwel in Madrids Reihen, nun scheint sich der Franzose unter Rafael Benítez endgültig in die erste Elf gespielt zu haben. Vom Gesamtpaket bringt der Innenverteidiger prinzipiell alles mit, um zum weltweit Besten auf seiner Position aufzusteigen. Dafür gilt es nun in erster Linie, Konstanz an den Tag zu legen.

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Raphaël Varane (r.) hat sich unter Rafael Benítez einen Stammplatz erkämpft

Konstanz ist gefragt

MADRID. Spricht man über die bisherigen Gewinner unter Neu-Trainer Rafael Benítez, dürfte einem unweigerlich der Name Keylor Navas in den Sinn kommen. Eigentlich schon mit eineinhalb Beinen bei Manchester United, präsentiert sich der Costa-Ricaner bereits seit dem Saisonstart und erst Recht seit dem geplatzen Transfer in bestechender Form und rettete seinen Vorderleuten schon so manchen Punkt in dieser Spielzeit. Aber nur wenige Meter weiter vorne agiert mit Raphaël Varane ein weiterer Akteur, der unter „Rafa“ bislang enorm profitiert hat. Bis dato kam der Franzose in allen neun Pflichtspielen zum Einsatz, absolvierte sogar deren sieben über die volle Distanz und wusste meist mit starken Vorstellungen zu überzeugen. Deutete sich zum Ende der vergangenen Saison bereits ein Generationenwechsel in der königlichen Hintermannschaft an, scheint „Meister Proper“ nun endgültig an Pepe vorbeigezogen zu sein und sich den für ihn seit Jahren reservierten Stammplatz erkämpft zu haben.

Doch Vorsicht ist angesagt: Zunächst gilt es die zuletzt gezeigten Darbietungen konstant über einen längeren Zeitraum abzuliefern. Denn bereits nach der „Décima“-Saison rechnete man fest damit, dass sich der mittlerweile schon 23-fache französische Nationalspieler insbesondere nach der formidablen Darbietung im Finale gegen Atlético über 120 Minuten (4:1) fortan bei den Blancos festspielen würde, um dann in den wichtigen Spielen im ersten Teil der Saison doch wieder hinter Pepe zurückstecken zu müssen. Alles in allem für den damals 21-Jährigen aufgrund seines Alters sicherlich kein Beinbruch, zumal ihm am Saisonende mit 27 Liga-Einsätzen, zwölf Champions-League-Auftritten, vier Spielen in der Copa del Rey sowie insgesamt drei Partien bei der Klub-WM respektive dem UEFA Super Cup verteilt auf 3.419 Minuten so viel Spielzeit wie noch nie zu Buche stand.

Allerdings profitierte der Jungstar dabei auch von Sergio Ramos’ und Pepes Verletzungen, die beide jeweils entweder länger ausfielen oder immer wieder mit kleineren Wehwehchen zu kämpfen hatten. Es hatte insgesamt also den Anschein, als hätte Carlo Ancelotti noch nicht das ganz große Vertrauen in Varane. Denn bereits gegen Ende der Ära José Mourinho hatte der Jungstar die Nase vorne, um unter „Carletto“ wieder ins zweite Glied zu rücken. Doch gegen Ende der Spielzeit 2014/15 durfte das Verteidiger-Juwel endlich auch in den „Big Games“, wie beispielsweise im Viertelfinale der Königsklasse gegen Atlético, ran und wusste mit guten bis sehr guten Leistungen zu glänzen. Nun befindet sich der Franzose unter Benítez in der Pole-Position und die Anzeichen, dass er diese wieder verliert, sind bezeichnend gering.

Der Inbegriff des modernen Verteidigers

Oft wird zwar vergessen, dass Varane immer noch „zarte“ 22 Jahre alt ist und Spieler in diesem Alter vor plötzlichen Leistungstiefs keineswegs geschützt sind. Doch prinzipiell ist Reals Nummer 2 schlichtweg zu gut, um noch mal in die Rolle des Bankdrückers verdrängt zu werden. Im Gesamtpaket bringt der aus Lens gekommene Innenverteidiger eigentlich alles mit, was im heutigen Fußball von einem Spieler auf seiner Position verlangt wird. Mit 1,91 Meter Körpergröße besitzt er nahezu Gardemaße für einen zentralen Abwehrspieler und weiß diese in Kopfballduellen auch dementsprechend einzusetzen. Und trotz der wuchtigen Erscheinung ist der Franzose mit einer für einen Verteidiger schier unglaublichen Sprintstärke gesegnet. Insgesamt gibt es wohl nur wenige Stürmer, die in puncto Endgeschwindigkeit mit dem einstigen Lieblingsschüler Mourinhos mithalten können.

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Auch technisch genügt Varane höchsten Ansprüchen, was sich besonders in dessen Fähigkeit, Situationen auf engstem Raum mit höchster spielerische Eleganz zu lösen, widerspiegelt. Äußerst selten sieht man den Franzosen, wie er einen Ball humorlos ins Seitenaus klärt oder blind nach vorne drischt, bevorzugt wird eher die spielerische Lösung. Die mehr als ansehnlichen technischen Fertigkeiten schlagen sich natürlich auch im Passspiel nieder. Mit 92,2 Prozent angekommenen Pässen verfügt er hinter den „Passmaschinen“ Toni Kroos (94,3 Prozent) und Luka Modric (93,3 Prozent) über die drittbeste Statistik der Stammformation und befindet sich damit vor seinen Kollegen Ramos (89,8 Prozent) und Pepe (89,9 Prozent). Allerdings ist in diesem Zusammenhang anzumerken, dass der 22-Jährige nicht primär für den Spielaufbau aus der Abwehr heraus zuständig ist, sondern vor allem aufgrund seiner Schnelligkeit die Absicherung übernimmt. Dass er jedoch auch diese Rolle zu erfüllen im Stande ist, hat die Vergangenheit bereits oft bewiesen.

Kommt es dann aber doch einmal zu einem direkten Eins-gegen-Eins-Duell, ist der „französische Franz Beckenbauer“, wie er aufgrund seiner eleganten Spielweise genannt wird, ebenfalls nur äußerst schwer zu überwinden. Die Mischung aus körperlicher Robustheit, sehr guter Antizipation und ebenjener Sprintstärke machen ihn zu einem äußerst unliebsamen Gegenspieler. Sieht sich Varane allerdings doch einmal gezwungen, zum Tackling anzusetzen, besitzt er dabei über ein atemberaubendes Timing. Erinnert sei hierbei an seine schier unglaubliche Rettungstat im Clásico im Januar 2013 gegen Cesc Fàbregas.

Am beeindruckendsten ist jedoch die unheimliche, fast schon stoisch anmutende Ruhe, die Varane seit jeher auf dem Platz an den Tag legt. Hektik? Für den Youngster ein absolutes Fremdwort. Seine Abgebrühtheit in Kombination mit der spielerischen Eleganz lassen zeitweise gar ein wenig Arroganz vermuten, doch dafür ist der privat eher zurückhaltende Franzose so gar nicht der Typ. Diese Abgeklärtheit am Ball zählt ganz im Gegenteil zu seiner eigentlich größten Stärke, da er seine Teamkollegen nie durch unüberlegte oder zu hektisch initiierte Aktionen in Bedrängnis bringt.

Ramos und Boateng als Maßstäbe

Im Gesamtpaket verfügt Varane eigentlich über keine nennenswerte Schwäche, sein Potential scheint grenzenlos. Entscheidend wird es nun sein, dieses auch konstant abzurufen und in vollem Umfang auszuschöpfen, um endgültig in die Riege der Ramos’, Jérôme Boatengs und Co. aufzusteigen. Ab und an unterlaufen aber natürlich auch einem Top-Spieler Fehler und so muss die Empfehlung von Zinédine Zidane vor allem daran arbeitet, ihre Leichtsinnsfehler, die ihr doch das eine oder andere Mal unterkommen, zu vermeiden. Nicht selten kommt es vor, dass Reals Nummer 2 in Situationen, die eigentlich schon geklärt sind, sich zu sehr in Sicherheit wiegt und den Ball in aussichtsreichen Positionen doch noch herschenkt. Zwar gelingt es ihm im Anschluss meistens aufgrund seiner Schnelligkeit, diesen wieder zurückzuerobern, in einem Champions-League-Halbfinale oder Clásico könnten derartige Fehler allerdings das Ende bedeuten.

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Am wichtigsten wird jedoch sein, dass der französische Hoffnungsträger für die Heim-EM 2016 von Verletzungen verschont bleibt. Sorgen bereiten könnte dabei insbesondere das rechte Knie. Bereits zweimal standen Pausen über einen längeren Zeitraum an, 2013 zwang ein Meniskusriss Varane sogar für fast fünf Monate zum Zuschauen. Zeitweise kursierten sogar Gerüchte, dass das Knie den Belastungen einer englischen Woche nicht mehr standhalten würde und er deshalb nur noch sporadisch eingesetzt werden könne. Derlei Spekulationen erwiesen sich jedoch als falsch und die Probleme scheinen mittlerweile auch gut im Griff. Körperlich wirkt der Verteidiger jedenfalls voll auf der Höhe.

Mit der nun hoffentlich steigenden Erfahrung durch regelmäßge Einsätze wird auch die Verantwortung auf den Schultern des Nachwuchs-Stars wachsen. Besonders in puncto Spieleröffnung sollte sich „Meister Proper noch aktiver beteiligen, die Fähigkeiten dazu besitzt er allemal. Ausschlusskriterium Nummer eins, ob der letzte Schritt in die Weltklasse gelingt, wird aber die Kontinuität bleiben. Was die Anlagen betrifft, kann im Gesamtpaket wohl gegenwärtig kein Abwehrspieler auf der Welt mithalten. Er besitzt ohne wenn und aber die Kapazität, der weltweit Beste auf seiner Position zu werden. Es liegt am Spieler selbst, dies in schöner Regelmäßigkeit abzurufen. Varanes Ziel muss es sein, sich mit den Maßstäben Boateng und Ramos messen lassen zu können. Dafür befindet er sich nun auf dem richtigen Weg, der erste Schritt in die richtige Richtung ist getan.

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von
Yannick Frei

Hauptberuflich im Nachwuchsfußball zuhause. Von den Großmeistern Figo und Zidane verzaubert, bin ich bis heute ein glühender Anhänger des größten Klubs der Welt.

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