
„…als hättest du zwei Jahre lang nichts geleistet“
MADRID. Man sollte meinen, der abgeklärte Auftritt gegen Schalke 04 in der Champions League sollte für etwas Ruhe gesorgt haben rund um das Estadio Santiago Bernabéu. So ganz sind die Nachwehen der 0:4-Derby-Klatsche gegen Atlético Madrid augenscheinlich aber noch immer nicht abgeklungen. Uli Stielike, der zwischen 1977 und 1985 das königliche Trikot trug, ärgerte neben der schwachen Darbietung gegen den Erzrivalen vor allem die Reaktion der Fans. Die Pfiffe beim folgenden Heimspiel gegen Carlo Ancelotti könne er in keinster Weise nachvollziehen, da man in „Carletto“ nach der nicht gänzlich unumstrittenen Ära von José Mourinho endlich einen passenden Mann gefunden habe: „Er ist der ideale Trainer für Madrid, wo du nicht nur ein Team trainieren musst, sondern eine ganze Gesellschaft repräsentierst. Und das macht er sehr gut. Wenn ich sehe, wie sie ihn nach dem 0:4 behandelt haben, bereitet mir das Schmerzen. Einem Trainer, der vier Titel in einem Jahr gewonnen hat, inklusive der Champions League, sagt man quasi nur aufgrund einer Partie ‚pack deine Sachen und geh weh!‘ Das ist nicht gerecht. Für mich war es eine Schande, dass sie ihn auspfiffen. Ancelotti ist besonnener, seriöser und weniger polemisch als Mourinho. Und Real Madrid ist kein polemischer Klub.“
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Vor allem die Schnelllebigkeit des Geschäfts und das Ausschlagen in die Extreme stoße dem ehemaligen Mittelfeld-Regisseur übel auf: „In der Zeit, in der wir heutzutage leben, ist es so, dass wenn du eine Partie verlierst, es scheint, als hättest du die letzten zwei Jahre nichts geleistet. Damit bin ich nicht einverstanden.“
Stielike kann sich auch ein 4-2-3-1 vorstellen
Auch die Kritik an Ancelottis angeblicher taktischer Sturheit wischte der Europameister von 1980 beiseite. Aufgrund der hohen individuellen Klasse der Einzelspieler sei das offensiv ausgerichtete 4-3-3 das adäquate System für dieses Team, wenngleich es eine Schwachstelle aufweise, die die „Rojiblancos“ perfekt zu nutzen wussten: „Ancelotti kann sich das 4-3-3 erlauben, weil er Spieler von außerordentlicher Klasse besitzt, die keine einfachen Bälle verlieren. Weil sie die Spielzüge vollenden, geben sie dir Zeit, um dich fallen zu lassen. Mir gefällt das offensive Spiel. Wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich so spielen lassen. Wenn du die Kritiken liest, müssten alle Spiele 0:0 enden, weil sich kein Spieler einen Fehler auf dem Spielfeld erlauben darf. Das Problem ist, wenn du im 4-3-3 gegen eine Mannschaft mit sehr offensiven Außen spielst, bist du in großer Gefahr. Genau das passierte im Calderón.“
Trotzdem seien grundsätzlich auch andere Systeme vorstellbar. Stielike präferiert dabei ein 4-2-3-1, mit den Fixpunkten Isco und Toni Kroos: „Das 4-2-3-1 würde auch sehr gut zu Madrid passen. So würde ich Isco auf der passenden Position platzieren (auf der Zehnerposition; d. Red.) und müsste nur einen Nebenspieler für Kroos finden.“ Die alleinige Sechserposition, wie er sie gegenwärtig ausfüllt, sei für den deutschen Nationalspieler nämlich nicht die Idealposition: „Ich sehe Kroos eher als Achter, denn als Zehner oder Sechser. Er besitzt Qualität.“ Mehrere Positionen ausfüllen zu können, sei jedoch auch eine Charaktereigenschaft des 24-Jährigen: „Er vereint auch die Flexibilität, auf verschiedenen Positionen spielen zu können. Ich spielte auch sehr frei und im Zentrum. Wir haben das Spielen auf der Straße gelernt, wir haben keine festen Positionen.“
Während Kroos derzeit kaum wegzudenken ist aus dem Spiel der Madrilenen, verläuft die Saison für Sami Khedira bislang alles andere als zufriedenstellend. Immer wieder werfen den Deutsch-Tunesier Verletzungen zurück und die ungeklärte Vertragssituation (Khediras Vertrag läuft am Saisonende aus) sorgt permanent für Unruhe. Speziell letzteres könnte laut Stielike eine entscheidende Rolle spielen, der 60-Jährige vermutet Berater-Spielchen im Hintergrund: „Ich weiß nicht, bis zu welchem Punkt die Agenten ihre Jungs beeinflussen. Seitdem bekannt ist, dass er andere Offerten hat, ist er nicht mehr derselbe. Es gibt Agenten, die ihren Spielern schaden.“
„Wenn wir gefeiert haben, dann daheim“
Neben Khedira bekam auch Cristiano Ronaldo eine Spitze des aktuellen Nationaltrainers von Südkorea zu spüren. Der Grund: die vom Weltfußballer veranstaltete Geburtstagsfeier nach der Niederlage im Stadtduell. Allerdings kritisierte Stielike nicht die Feier selbst, denn auch zu seiner aktiven Zeit hätten die Spieler die eine oder andere Sause veranstaltet. Vielmehr störe er sich daran, dass derart viele Details an die Öffentlichkeit gelangten. Außerdem vermisse er ein wenig die Einsicht beim Portugiesen, dass die Außendarstellung etwas unglücklich gewesen sei: „Ich verstehe nicht, wie ein Spieler, der so herausragend ist, auf diese Weise die Öffentlichkeit sucht. Wenn du bestimmte Leute einlädst, läufst du die Gefahr, dass etwas herauskommt. Wir haben auch Partys veranstaltet, mehr noch als es heute der Fall ist. Aber es gab keine Handys oder Kameras. Und wenn wir etwas gemacht haben, dann daheim. Und noch eine andere Sache: danach hatten wir ein schlechtes Gewissen. Wir wussten, dass es nicht gut war. Und am nächsten Tag waren wir die ersten auf dem Trainingsplatz, vielleicht sogar bei 30 Grad in Regenjacken beim Laufen, um das Bier auszuschwitzen. Dieser starke Charakter fehlt bei den Spielern von heute. Das sind die Spieler, die man braucht. Ich beziehe mich auf (Sergio) Ramos. Er ist einer dieser Spieler, der das Wappen im Herzen trägt. Wie Gordillo, wie Pirri… oder Hierro. Die Sache ist die, dass Cristiano später zu einem Journalisten sagte: ‚Du bist nicht intelligent.‘ Wer ist denn da nicht intelligent? Wenn du schon ein hochberühmter Spieler bist, wieso suchst du dann noch mehr die Öffentlichkeit? Ich würde Ruhe suchen in meinem Privatleben, nicht noch mehr Radau.“
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