
Enge Bindung zum Erzrivalen
LIVERPOOL. Die Gründung scheint bereits eine irrwitzige Episode der 126-jährigen Vereinshistorie. Denn ausgerechnet der Erzrivale Everton war erster Mieter des Geländes, wo sich das legendäre Anfield-Stadion befindet und auf welches man so stolz ist. Nur weil der damalige Eigentümer des Geländes – ein wohlhabender Brauereibesitzer namens John Houlding – die Mietpreise für die “Toffies” um 250 Prozent erhöht haben soll, beschloss nach vereinsinternem Aufruhr der Klub, sich ein anderes Gelände zu suchen. Houlding gründete daraufhin einen neuen Verein und es endstand der FC Liverpool. Der frisch gegründete Klub besaß zwar bereits das Gelände, auf welchem seit 1892 bis heute die Heimspiele stattfinden, allerdings noch keine Spieler. Deshalb reiste ein Verantwortlicher kurzerhand nach Schottland und rekrutierte 13 Akteure. Damit wurde das erste Spiel gleichzeitig die Premiere eines englischen Klubs, der gänzlich ohne einheimische Spieler auskommen konnte.

Allerdings resultierte daraus, dass vom Verband zunächst der Beitritt zur englischen Liga verweigert wurde – eine Entscheidung, die aufgrund erster Erfolge des Vereins nicht sehr lange Bestand hatte. Später, nach einigen Jahren und diversen Titeln folgte der erste Rückschlag für den FC Liverpool: Vier Spieler wurden 1915 aus dem Verkehr gezogen, als der erste englische Manipulationsskandal publik wurde. Es sollte nicht der größte Skandal in der Geschichte bleiben – Stichworte Heysel und Hillsborough. Allerdings feierte der Verein noch vor den beiden Tragödien zwischen 1964 und 1985 seine erfolgreichste Zeit, größtenteils unter der Leitung von Klublegende Bob Paisley. Alleine von 1977 bis 1984 sicherten sich die “Reds” vier Landesmeisterpokale. In dieser Epoche erwarben zudem die Fans des FC Liverpool auf der Stehplatztribüne “The Kop” ihren legendären Ruf – eine “Medaille”, die später auch ihre Kehrseite bekommen sollte.
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Unvergessliche Tragödien prägen die Geschichte bis heute
Die glorreiche Epoche des FC Liverpool – darunter die gewonnenen Europapokale 1977, 1978, 1981 und 1984 – fand im Heysel-Stadion von Brüssel 1985 ein jähes Ende. Bereits vor dem Endspiel im Europapokal der Landesmeister zwischen Juventus Turin und den Briten herrschten Auseinandersetzungen zwischen den Fanlagern. Vor dem Anpfiff arteten diese endgültig aus: Englische Fans stürmten am 20. Mai 1985 den benachbarten “neutralen” Block Z, welcher weitestgehend und unerlaubter Weise mit italienischen Anhängern besetzt war. Die Juve-Fans gerieten in Panik und versuchten zu flüchten, dabei stürzte eine Mauer ein und 39 Menschen – vorwiegend Italiener – mussten ihr Leben lassen. Nachdem das Spiel – heute undenkbar – dennoch ausgetragen wurde (Liverpool unterlag mit 0:1), ist es für lange Zeit der letzte Auftritt der “Reds” auf europäischer Bühne geblieben. Als Konsequenz aus der Katastrophe hatte die UEFA alle englischen Klubs von ihren Wettbewerben ausgeschlossen – insbesondere Liverpool für sechs Jahre.

Trotz der Verbannung war der Klub von der Mersey weiterhin Bestandteil großer Spiele, wie dem FA-Cup-Halbfinale in Sheffield gegen Nottingham Forest. Die Partie am 15. April 1989 sollte als weiterer trauriger Meilenstein in die Geschichte der “Reds” eingehen und ist bis heute als Hillsborough-Katastrophe in den Köpfen verankert. Zu viele Zuschauer hatten sich im Mittelblock des Stadions befunden, insgesamt wurden 96 Menschen zu Tode gedrückt. Aufgrund der vorangegangenen Geschehnisse in Brüssel, schoben die Behörden den Liverpool-Fans die Verantwortung für das Unglück zu. Erst 27 Jahre später klärte eine Untersuchungskommission die tatsächlichen Ursachen auf: polizeiliches Fehlverhalten. Fast drei Dekaden nach dem Unglück folgten verspätete Entschuldigungen unter anderem von Premierminister David Cameron, der FA und der Polizei. Auch die Tageszeitung “The Sun”, welche am Tag nach der Katastrophe unter dem Titel “The Truth – Die Wahrheit” falsche Angaben der Polizei und Aussagen bestochener Zeugen veröffentlichte, entschuldigte sich öffentlich. Den Liverpool-Anhängern wurde vorgeworfen, Polizisten attackiert, Opfer bestohlen und gar auf die Leichen uriniert zu haben – alles eine Lüge, wie man mittlerweile weiß.
In Erinnerung an die Vergangenheit zu neuem Glanz
In Gedenken an die vielen Todesopfer wurden zwei Fackeln und der Schriftzug “You’ll never walk alone” im Vereinswappen installiert. Dazugehöriges Lied wurde bereits vor der Tragödie in “The Kop” gesungen, gewann allerdings durch die tragischen Ereignisse zunehmend an Bedeutung. Der Legende nach ist es die inoffizielle Hymne beim LFC, nachdem 1963 der Song beim Beschallen vor dem Spiel ausgefallen war und die Fans spontan die Soundanlage ersetzten. Das Lied wurde zum Sinnbild des Klubs aus der Arbeiterstadt, welcher immer wieder aufsteht, egal welches Schicksal ihn heimsuchen wird. Das trifft auch auf den größten Erfolg der “Reds” in der jüngeren Vergangenheit zu: Beim denkwürdigen Finalspiel der Champions League 2005 lagen die Briten gegen den haushoch überlegenen AC Mailand von Carlo Ancelotti zur Halbzeit bereits mit 0:3 zurück. Es folgte jedoch eine furiose zweite Halbzeit nachdem die Fans die Pause durchsangen, und Liverpool in den Minuten 54 bis 60 drei Tore und letzten Endes das erfolgreiche Elfmeterschießen erzwang. Der damalige Kapitän Steven Gerrard, dessen Cousin übrigens in Hillsborough sein Leben verloren hatte, durfte den Henkelpott nach unglaublichem Comeback in Istanbuls Himmel heben.
Real Madrid darf am 26. Mai also gewarnt sein, denn neben der großen Qualität des LFC zeigt auch die Geschichte, dass der Verein immer wieder aufsteht und in engem Schulterschluss zu seinen Fans steht, die bis zum Ende für ihre Mannschaft da sind. Wir dürfen uns sicherlich auf ein großartiges Spiel zweier Giganten freuen, welche eine große Portion Historie mit in das Duell bringen.
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