
Die Sache mit dem inneren Konflikt
MADRID/MÜNCHEN. Geschichten wie diese schreibt dann irgendwie doch nur der Fußball. James Rodríguez, fast schon ein Niemand im Starensemble von Real Madrid, missachtet von seinem Trainer und getadelt von Teilen der eigenen Fans, trifft kein Jahr nach seinem weniger rühmlichen Abschied aus der spanischen Hauptstadt als Dreh- und Angelpunkt im offensiven Mittelfeld des FC Bayern auf seinen Ex-Klub. Das Halbfinale der Champions League steht ganz im Zeichen des 26-Jährigen. Jupp Heynckes betont nicht umsonst: „James ist ein fester Bestandteil unseres Teams. Unsere Zuschauer sind entzückt, wenn sie ihn sehen.“
Dabei stellt sich der im Umgang mit den Medien so schüchterne Kolumbianer nicht gerne in den Mittelpunkt. Er will „nur helfen“, das Endspiel von Kiew zu erreichen. „Der Rest“, sagt er in der Münchener TZ, „ist vollkommen egal.“ Ein kleiner innerer Konflikt wird ihm aber nicht erspart bleiben, wenn er am Mittwochabend um 20:45 Uhr den Rasen der Allianz Arena betritt. James träumte in seiner Kindheit schließlich immer davon, irgendwann einmal im weißen Trikot zu spielen. Sogar in seinen ersten Jahren als Profi in Europa reiste der Kolumbianer von Porto oder Monaco in die spanische Hauptstadt, um seiner Lieblingsmannschaft im Estadio Santiago Bernabéu zuzusehen.
„Er hat sich wunderbar entwickelt“
Als er kurz nach der WM 2014 schließlich das Angebot von Real bekam, musste James keine zwei Sekunden zögern. Er bestieg den Olymp. Und erst recht nach seiner starken Debüt-Saison bei den Königlichen schien alles perfekt. Doch dann verließ Carlo Ancelotti Madrid. Unter dessen Nachfolgern Rafael Benítez und Zinédine Zidane stagnierte seine Entwicklung. Er musste tatenlos mit ansehen, wie seine Kollegen ohne ihn zwei Champions-League-Endspiele in Folge gewannen.
Ein drittes Mal wollte er diese Schmach nicht über sich ergehen lassen. Und die Bayern mit seinem Förderer Ancelotti klopften bei ihm an. Real vermied weiteren Ärger mit dem unglücklichen Spielmacher und ließ ihn ohne zu murren gehen. Auf Leihbasis. Für nur 13 Millionen Euro. Die Bayern können und werden im Sommer 2019 die Kaufoption in Höhe von 42 Millionen Euro ziehen. So viel ist sicher. „Er hat sich wunderbar entwickelt. Das war ein sehr guter Transfer“, findet Karl-Heinz Rummenigge, der Vorstandsvorsitzende des deutschen Rekordmeisters.
Heynckes, der bessere Ancelotti
Eine solche Entwicklung war vor ein paar Monaten allerdings nicht abzusehen. Erst recht nicht unter seinem Ziehvater Ancelotti. James wirkte traurig und schottete sich von seinem neuen Umfeld ab. Vielleicht hatte er auch noch die endgültige Trennung von seiner Ehefrau Daniela Ospina zu verkraften. Zumal sich der deutsche Herbst für ihn noch schlimmer anfühlte als der spanische Winter. Dann aber kam Heynckes im September aus dem Ruhestand zurück – und veränderte alles. „James war bei meiner Ankunft ein bisschen niedergeschlagen und nicht gut in Form“, berichtet der 72 Jahre alte Trainer-Routinier.
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Mit seinen Spanischkenntnissen, seiner großväterlichen Art und nicht zuletzt der Unterstützung der anderen Bayern-„Latinos“ um Arturo Vidal und Rafinha schaffte er es, den in sich gekehrten Ballkünstler wach zu küssen. Er brachte ihn sogar dazu, Deutsch zu lernen. „Ich habe mich um ihn gekümmert, lange Gespräche geführt. Er hat Vertrauen gefasst und tritt seitdem viel offener, freier und selbstbewusster in der Mannschaft auf.“
Mehr Lebensqualität als Schlüssel zum Erfolg
Und auch in seiner Wahlheimat München. James ist ein anderer Mensch. Er hat die bayerische Landeshauptstadt für sich entdeckt und verlässt sein Haus im beschaulichen Grünwald häufiger. Was ihm besonders gut tut: Er kann sich in lebhaften Stadtteilen wie Schwabing oder Sendling blicken lassen, ohne von Selfie-Jägern oder Paparazzi verfolgt zu werden. In Madrid war diese Art von Lebensqualität unerreichbar. Und das spiegelt sich auch auf dem Rasen wider. Im Gegensatz zu seiner Leidenszeit unter Zidane ist James seit Heynckes’ Rückkehr auf seiner Lieblingsposition, der Zehn, gesetzt und genießt das Privileg, in keinem taktischen Korsett gefangen zu sein. Er muss zwar nach hinten arbeiten, bekommt von Heynckes aber die Freiheit, auf den Flügel auszuweichen und sich den Ball im defensiven Mittelfeld abzuholen.
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„Ich bin sehr glücklich. Und Heynckes hat einen großen Anteil daran. Er lässt mich das Spiel gestalten. Aber auch meine Mitspieler helfen mir. Ich verstehe mich immer besser mit ihnen. Das ist sehr wichtig“, erklärt James. Und all diese Faktoren sorgen dafür, seinen inneren Konflikt im Zaum zu halten. James ist bereit. Bereit, um selbst dem Klub Leid zuzufügen, den er lange bedingungslos liebte.
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