
Der 18. März 2014 veränderte Jesés Karriere
MARBELLA. Die genähte Wunde ist noch heute zu sehen. Immer dann, wenn er auf sein rechtes Knie blickt, wird Jesé Rodríguez an den mit Sicherheit schwärzesten Tag in seiner Karriere erinnert. An den Tag, der seine einst so verheißungsvolle Laufbahn rückblickend betrachtet praktisch zunichte machen sollte. Anfang 2014 hatte er noch mit dem von Cristiano Ronaldo gewonnenen Ballon d‘Or posiert und davon geträumt, in ferner Zukunft auch mal als bester Spieler der Welt in die Geschichte des Fußballs einzugehen.
Kurz später, am 18. März 2014, dann aber der große Einschnitt: Nur vier Minuten nach dem Anpfiff von Real Madrids Champions-League-Achtelfinal-Rückspiel gegen den FC Schalke 04 im Estadio Santiago Bernabéu wurde dem damals aufstrebenden Flügel-Youngster ein Zweikampf auf der rechten Außenbahn mit Sead Kolašinac zum Verhängnis. Jesés rechtes Knie verdrehte sich im Fallen. Diagnose: Kreuzbandriss. Der Horror jedes Sportlers.
„Ich war zu dem Zeitpunkt in der besten Form meiner Karriere. Das wissen wir alle. Im Fußball und im Leben passieren manchmal Dinge, die man nicht erwartet, die nicht fair sind oder die man nicht verdient. Aber man muss das annehmen. Alles passiert aus einem Grund. Die Verletzung hat mir geholfen, in vielerlei Hinsicht reifer zu werden und im Fußball vieles zu schätzen, was ich vorher nicht so geschätzt hatte“, blickt der Offensiv-Allrounder in einer 25-minütigen Dokumentation der Sportzeitung MARCA über seine Karriere zurück.

Jesé nach Comeback nicht der Alte – Neustart bei PSG
Aufgrund einer nach der Operation aufgetretenen Entzündung dauerte es letztlich acht Monate, ehe der Angreifer sein Comeback feiern konnte. Wenngleich er dabei umgehend einen Treffer markierte und 61 seiner 94 Pflichtspiele für das weiße Ballett nach seiner Rückkehr bestritt, gelang es ihm in seinen verbleibenden anderthalb Jahren nicht, zurück zu seiner Top-Form zu finden und sich so einen Stammplatz zu erkämpfen. Nicht unter Carlo Ancelotti, nicht unter Rafael Benítez, nicht unter Zinédine Zidane. Auch wegen der namhaften Offensive um Cristiano Ronaldo, Karim Benzema und Gareth Bale.
Nach Ablauf der Saison 2015/16, die unter „Zizou“ triumphal mit dem Champions-League-Sieg geendet war, entschloss Jesé sich dazu, das Kapitel Real zu beenden und bei Paris Saint-Germain einen Neuanfang zu wagen. Der heute 27-Jährige: „Ich hatte Madrid mit der Motivation verlassen, mehr zu spielen, öfter in der Startelf zu stehen und darum zu kämpfen, eines Tages für die spanische Nationalmannschaft berufen zu werden. Bei PSG sind mir mehrere Dinge passiert. Als ich gerade angekommen war, fiel ich wegen einer Blinddarmentzündung für drei, vier Wochen aus. Dann bin ich in eine Situation geraten, in der ich mal 15, mal 20 Minuten spielte und nicht die Kontinuität hatte.“
In Paris steht er auch jetzt, vier Jahre später, noch unter Vertrag. Seine bislang magere Ausbeute: 16 Einsätze, zwei Tore. Weil das Abenteuer in der französischen Hauptstadt schon früh zum Scheitern verdammt war, ließ Jesé sich bereits Anfang 2017 in seine Heimat Gran Canaria zu UD Las Palmas verleihen (16 Spiele, drei Tore). Die Insulaner wollten das Ex-Real-Talent aber genauso wenig fest unter Vertrag nehmen wie danach Stoke City (13 Spiele, ein Tor), Real Betis (18 Spiele, zwei Tore) und Sporting CP (17 Spiele, ein Tor).
Probleme im Privatleben beeinflussen Karriere
„Bei Stoke ging es mir psychisch viele Monte lang sehr schlecht, weil ich wegen meines Sohns sehr litt“, so Jesé. Ende Juni 2017 war sein zweiter Sohn Nyan mit einer Krankheit auf die Welt gekommen, er kämpfte auf Gran Canaria lange ums Überleben. Mutter Aurah Ruiz, als Model hin und wieder Teilnehmerin in TV-Datingshows, machte Jesé öffentlich Vorwürfe, er würde sich nicht um den Kleinen scheren. Private Probleme, die er auch schon zuvor mit anderen Frauen und falschen Freunden hatte, beeinträchtigten seine Karriere zunehmend. Wer im Kopf nicht frei ist, kann auch keine Top-Leistungen zeigen.
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Auch bei Betis und Sporting klappt es nicht
Es ging zurück nach Paris, wo er schließlich auch ein knappes halbes Jahr blieb, ohne jedoch auch nur einen Einsatz zu absolvieren. Anfang 2019 daher der Versuch bei Betis. „Ich habe dort ganz gut gespielt, hatte aber Pech mit den Toren. Ich habe auf einer Position gespielt, die mir nicht lag (Mittelstürmer; d. Red.)“, so Jesé, der auch bei Sporting vergeblich sein Glück suchte: „Leute aus dem sportlichen Bereich waren mir gegenüber nicht korrekt und nicht professionell.“ Das Ende vom Lied: vorzeitiger Abbruch der Leihe im April.

Vertrag in Paris, einsames Trainieren in Südspanien
Und jetzt? Jesé hat eine Leih-Odyssee durch Europa hinter und eine mehr als ungewisse Zukunft vor sich. Sein Fünf-Jahres-Vertrag in Paris, den die Verantwortlichen dort wohl bitter bereuen werden, läuft erst zum 30. Juni 2021 aus. Angesichts dessen bietet er sich an, sagt, er „stehe PSG zur Verfügung“. Der Verein plant aber nach wie vor nicht wirklich mit ihm, weshalb der Hobby-Reggaeton-Sänger momentan auch nicht in Frankreich weilt. Er ist in Marbella, arbeitet dort individuell mit seinem Personal-Trainer Bernardo Requena. Zuvor hatten sie sich eine Woche lang in Granada aufgehalten. Ab und an wird sein rechtes Knie nach dem Schaden aus 2014 noch von Ex-Real-Arzt Dr. Jesús Olmo behandelt.
Ex-Real-Mitspieler wurden zu großen Helden
Ansonsten umgeben ihn kein Trainerstab, keine Mitspieler, keine Fans. Niemand. Auf dem Papier mag er an einen Klub gebunden sein, reell wird er sich aber wohl auch selbst nirgendwo zugehörig fühlen. Jesé macht nicht mehr den Eindruck, als sei er ein Fußballer. Es wirkt so, als versuche er vielmehr, wieder einer zu werden. Und das schon seit langem. Jedem, der zu Real hält, blutet das Herz, wenn er sieht, was aus Jesé geworden ist. Vorbei die Zeiten, als sich der Rechtsfuß mit Weltstars eine Kabine teilte.
„Es war etwas Unglaubliches, mit Weltklasse-Spielern zusammenzuspielen. Wem würde es nicht gefallen, mit all diesen Top-Spielern zusammenzuspielen? Ich bin sehr froh, dass ich es konnte. Ich verstand mich mit ihnen sehr gut. Es war mir eine Freude“, sagt derjenige, der mit seinem Talent prädestiniert dafür gewesen war, einer von ihnen zu werden.

„Es gab Momente, in denen es mir sehr schlecht ging“
Während es für etliche seiner damaligen Real-Kollegen immer weiter bergauf ging, sie im europäischen Spitzenfußball für Furore gesorgt und sich zum Teil einen Legenden-Status erarbeitet haben, hat Jesé im Fußball viel verloren, viel einstecken müssen. Nichts ist es geworden mit der großen Karriere, dem Star-Dasein, der spanischen Nationalmannschaft. „Ich habe eine Reihe von Problemen durchgemacht, die mich traurig gemacht haben. Ich habe geweint, gelitten, aber ich habe es in mich hineingefressen. Ich streite nicht ab, dass es Momente in meinem Leben gab, in denen es mir sehr schlecht ging“, gesteht Jesé.
Jesé gibt nicht auf: „Ich bin richtig motiviert“
Seine Zuversicht ist ihm jedoch nicht abhanden gegangen. „Was meine Kinder oder meine persönlichen Angelegenheiten angeht, gibt es keinerlei Probleme. Ich bin richtig motiviert und mit meinen 27 Jahren im besten Fußball-Alter“, gibt er seine Einstellung zum Ausdruck.
So oder so ähnlich hatte er sich in der jungen Vergangenheit vor den jeweiligen Leihen allerdings auch schon geäußert. Und ebenso betont, dass er jetzt reifer sei, mehr und diszipliniert an sich arbeite, aus Fehlern gelernt habe. Wie sollte es nun also plötzlich besser laufen? Für das Eigengewächs der Königlichen ist die Antwort auf diese Frage simpel: „Ich muss an einem Ort sein, an dem man mich 30 Spiele machen lässt. Dann werde ich ganz sicher mit dem Ball am Fuß sprechen.“ Bliebe die Frage, wo genau das letztlich sein soll. Eine weitere Leihe gilt als wahrscheinlich, weil sicherlich kein Klub das Risiko eingeht und für den Flop der letzten Jahre umgehend eine Ablösesumme nach Paris überweist. Sein großer Bruder Israel glaubt unabhängig davon: „Das Beste von Jesé kommt erst noch.“
Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt…
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