
Das Lächeln will einfach nicht verschwinden…
Kennt ihr das? Es geht einfach nicht weg. Dieses Lächeln, dieses Glücksgefühl, man kann es einfach nicht los werden. Das, was da am Mittwochabend im Estadio Santiago Bernabéu passiert ist, das war nicht nur ein normales Fußballspiel. Das war auch nicht nur eine normal-dramatische „Remontada“. Da wurde Geschichte geschrieben in Form eines der speziellsten Partien in der 120-jährigen Geschichte Real Madrids.
0:1 im Hinspiel, 0:1 zur Halbzeit im Rückspiel, aber dann noch 3:1. Und wie! Als ich nach fünf Stunden Schlaf am Donnerstag erwachte, dachte ich es war ein Traum, aber nein – es war real! Schon hakten sich die Mundwinkel wieder hinter die Ohren ein. Und mit diesem Gefühl bin ich nicht alleine: Wie viele Fans mir in den letzten Tagen schrieben – das gab es so noch nie! Und auch langjährige Socios kommen aus dem Schwärmen nicht heraus. Ein Freund, Nabil, tweetet selbst, dass er schon 5.000 (!) Real-Spiele in seinem Leben erlebte, darunter fünf Champions-League-Endspiele live im Stadion. Aber das am Mittwoch war eine der fünf emotionalsten Partien, an die er sich erinnern kann. Und wem geht es nicht so? Bei „La Séptima“ 1998 konnte ich dieses Gefühl nach 32-jähriger Durststrecke noch nicht verstehen, bei „La Décima“ 2014 schon, davor das 4:0 gegen Bayern, auch das Copa-Finale 2011, der unvergessliche letzte Spieltag 2007, das CL-Finale 2017, all die gehören auf mein persönliches Podium. Gemeinsam mit dem 9. März 2022. Also dem Tag, als nicht nur Real Madrid eine Runde auf die dramatischste Art und Weise drehte, sondern als Real Madrid ganz Fußballeuropa einen Gefallen tat und mehr neutrale Zuschauer hinter sich hatte, als jemals zuvor. Es war der Tag, als das Projekt PSG endgültig wie ein Kartenhaus zusammen klappte.
He estado en 5 finales de Champions, en 3 mundiales de clubes, 1 una supercopa de Europa y 2 Copas del Rey… y habré visto 5000 partidos del Madrid en toda mi vida.
Pues el partido del miércoles están en mi Top 5 de partidos más emotivos que he vivido.— N.A.A. (@nabilako1973) March 11, 2022
Als „alljährliche PSG-Kernschmelze“ bezeichnete es Fußball-Experte Nico Heymer, sein Podcast-Kompagnon Niklas Levinsohn fand ebenfalls treffende Worte: „Vielleicht ist Nasser Al-Khelaifi aktuell die peinlichste Figur im Weltfußball!“ (Anhören ab Minute 27:20) Ich würde sogar noch weiter gehen: Für mich ist Al-Khelaifi nicht nur ein schlechter Verlierer, sondern auch der größte „Loser“ der Geschichte – und seine größte Niederlage steht ihm noch bevor, mehr dazu später im Text.
Al-Khelaifi ging All In und hat sich episch verzockt
So dringend musste der 48-Jährige in Katars WM-Jahr 2022 die Champions League gewinnen mit genauso viel Druck wie Le Chiffre in „Casino Royale“ das Poker-Turnier gegen James Bond gewinnen musste. Aber so wie der Bond-Bösewicht hat sich auch der Katari episch verzockt, nachdem er sich während des Super-League-Chaos als Saubermann des Fußballs positionieren wollte. Durch das weltweite Fußballbeben übernahm er plötzlich den Vorsitz der Klubvereinigung ECA als Ersatz für Juve-Boss Andrea Agnelli, on top rutschte der beIN-Boss ins UEFA-Exekutivkomitee. Er tanzte auf allen Hochzeiten, ließ nichts unversucht, und so wollte es Aleksander Čeferins neuer „Bro“ endlich allen zeigen. Zu oft war er ausgelacht worden, weil das neue Katar-Prestigeprojekt teils peinlich aus der Königsklasse flog. 2019 nach einem 2:0-Hinspielsieg gegen United, ein Jahr davor zeigte man sich zu selbstbewusst gegen Real Madrid, und dann wäre da noch das geschichtsträchtige 1:6 nach 4:0 gegen Barcelona.
Al-Khelaifi hatte genug – aber nicht aus Sicht der Neuzugänge. Lionel Messi, Sergio Ramos und Co. sollten einen nicht nur aus Gehaltssicht längst aufgeblasenen Kader endlich zum ersehnten Titel führen. Und der vermutlich einzige Star, der aus emotionalen oder anderen ehrbaren Gründen noch für PSG aufläuft, hätte die französische Star-Truppe beinahe ins Viertelfinale geführt. Aber nur zwei der vier Treffer des Kylian Mappé zählten, stattdessen verschoss Lionel Messi einen Elfmeter, sodass jetzt Karim Benzema in 2021/22 mehr Tore gegen französische Klubs vorzuweisen hat (drei) als der Argentinier (zwei), der seit Sommer in der Ligue 1 spi-, naja, sein Geld verdient.
Geld gewinnt keine großen Titel
Um Messi soll’s hier nicht gehen, er hat nur ein Angebot angenommen. Al-Khelaifi ist es, der All In gegangen ist. Nicht nur „seine“ WM sorgte für Druck, sondern auch das nach Paris umverlegte Champions-League-Finale. Ob sein „Bro“ von der UEFA überhaupt an andere Austragungsorte gedacht hat? Alles schien vorbereitet, wie damals im Achtelfinale 2018. Nach dem 1:3 in Madrid sollte der Prinzenpark brennen. Tat er auch. Ich war selbst dabei und hatte das Gefühl, als hätten Al-Khelaifi und Co. höchstpersönlich auf jedem Platz der Heim-Fans ein Bengalo bereit gelegt, um das verhasste Madrid – damals bereits doppelt amtierender Titelträger – aus dem Wettbewerb zu kegeln. Stattdessen löschten Cristiano Ronaldo und Co., übrig blieb nur Rauch der Franzosen um ihren 222-Millionen-Neuzugang. Den Transfermarkt hatten sie gesprengt mit ihrem Öl-Geld, nicht aber das einfachste Fußballgesetz: Geld schießt (viele) Tore, gewinnt aber keine (internationalen) Titel! Dagegen hatten auch die Bayern im Finale 2020 was und zwei Jahre später hatte dann selbst das dank Florentino Pérez‘ Super-League-Plänen unter neutralen Fans noch mehr verhasste Real Madrid etwas mehr Unterstützer als für gewöhnlich – ein klassisches „Der Feind meines Feindes“-Szenario.
Dass Al-Khelaifi, ein Mann, der es gewohnt ist, sich eigentlich alles kaufen zu können, nicht verlieren kann, zeigte der Mittwoch ebenso. Sein Verhalten in den Katakomben des Bernabéus, erst gegenüber seinen Spielern, dann den Schiedsrichtern und gegenüber einem filmenden Real-Mitarbeiter (angeblich fielen die Worte „I kill you“) haben mit fairem Sportsmannsein nichts zu tun. In Real Madrids Hymne heißt es „Feind im Kampf, wenn er verliert, gibt er die Hand“. Vermutlich schwer verständliche Worte für den PSG-Präsident, der glaubt, Fußballmanager in Wirklichkeit zu spielen. Was der Katari jetzt verstehen könnte: 1. Unzählige Top-Stars ergeben noch keine Mannschaft. Und 2.: Nicht jeder Top-Star, stellt sich in den Dienst einer Mannschaft und treiben ihre Kollegen mit an, wie es David Alaba, Luka Modrić oder Karim Benzema taten. Stars ohne Allüren, wovon Real einige hat, mangelt es in Paris, wo Messi, Paredes und Co. gerne mal ein Training ausfallen lassen, Neymar und Verratti scheuen dagegen angeblich keine Einheit – an Konsole oder im Nachtklub.
So wie PSG wie von mir angekündigt keine Mannschaft ist, ist Al-Khelaifi kein Sportsmann. Und erst recht kein Saubermann, denn gegen ihn (und gegen Sportdirektor Leonardo) ermittelt nicht nur die UEFA wegen des mehrfachen Fehlverhaltens nach dem Abpfiff, sondern schon länger die Staatsanwaltschaft. So droht Al-Khelaifi eine 28-monatige Haftstrafe wegen Untreue, weil bei den Vergaben der TV-Rechte vergangener wie zukünftiger Weltmeisterschaften wohl – wen wundert’s bei FIFA und dem beIN-Boss – nicht alles koscher verlief. Untreue und Korruption hier, ein Aushebeln des Financial Fairplays dort, on top kommen jetzt noch die (noch nicht offiziell bestätigten) Ausraster im Bernabéu.
Al-Khelaifis größte Niederlage steht noch bevor: Mbappé
Al-Khelaifi hat alles versucht, was mit Öl und Geld möglich ist – Offizielle schmieren, Superstars kaufen – aber Herz, Identifikation und Geschichte, woran die Franzosen nicht nur im Bernabéu, sondern auch schon im Camp Nou oder gegen United gescheitert sind, kann sich auch ein künstliches Konstrukt wie PSG nicht leisten. Stattdessen ist der Katari so dreist, sich als „kleinen Klub“ zu sehen. „Wir (PSG und Real; d. Red.) haben sehr unterschiedliche Meinungen, Mentalität und Ziele. Ich glaube an einen Fußball, der für alle zugänglich ist, vom kleinsten bis zum größten Verein. Daran glaube ich und sie denken anders“, gab er im Februar zynisch zu Protokoll. Der Fußball, damit sind alle Fans und ehrlichen Spieler gemeint, wird niemals „zugänglich“ sein für skrupelllose und aggressive Investoren wie ihn, die on top noch als Marionette eines Staates mit unzähligen Menschenrechtsverletzungen dienen, um dessen Image in der globalen Gesellschaft aufzupolieren. Ob das jahrelange „Sportswashing“ für Katar zumindest ein wirtschaftlicher Erfolg war, ist nicht klar, aber trotz einem seit 2011 Minus von -950 Millionen Euro bei Transfers (nur ManCity und ManUnited haben mit -1,05 Milliarden eine noch schlechtere Bilanz, Real liegt mit -194 Millionen auf Rang 26), bleibt das große Ziel unerfüllt: der Henkelpokal.
Seit Katar 2011 PSG übernahm,haben nur ManU (-1,1Mrd) u City (-1,1Mrd) schlimmere Transfer-Bilanz als PSG (-950Mio). Also komm,schieß noch mehr Öl für überbezahlte Alt-Stars raus,um großer Klub zu werden u endlich CL zu kriegen. Jahr für Jahr fliegt Khelaifi raus u ich LIEBE es! pic.twitter.com/7eslnkpbQ6
— Nils Kern (@nilskern17) March 9, 2022
Auch den kann Al-Khelaifi nicht kaufen, dabei steht ihm seine größte Niederlage noch bevor: Kylian Mbappé. Wie REAL TOTAL längst weiß, wird der künftige Weltfußballer im Sommer nach Madrid wechseln – trotz unzähliger Offerten (und des katarischen Blutgelds), trotz des Drucks aus sogar seinem privaten Umfeld. Mbappé bat im Sommer 2021 selbst darum, dass das unethische Angebot der Königlichen – angeblich bis zu 180 Millionen Euro für einen Spieler mit nur noch einem Jahr Vertrag – angenommen wird, aber die PSG-Bosse setzten alles auf Rot. Die Kugel landete bei Weiß. Real gewinnt alles – das Achtelfinale, Mbappé und wieder etwas Respekt nach dem Super-League-Fiasko. An einem anderen Tisch ist das Kartenhaus PSG möglicherweise nicht nur zusammen gefallen, sondern wird vielleicht gar nicht mehr richtig aufgebaut. Einerseits, weil Viertelfinale und Halbfinale (zusammen fast 30 Mio. Euro) einkalkuliert waren und so PSG nun aus Gehaltssicht (Spielergehälter haben sich seit 2019 verdoppelt) implodieren könnte und andererseits, falls Al-Khelaifis Geldgeber ein Einsehen haben und sich lieber wieder Wolkenkratzern statt Luftschlössern widmen.
Eines bleibt ganz sicher: mein Lächeln und die unvergesslichen Erinnerungen an einen historischen, weil für die globale Fußballgemeinschaft gerechten Abend.
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