
Nils Kern: Eine große Chance für Real
Ich möchte Cristiano Ronaldo danken. Zwar ließ er die Fans einige Wochen im Unklaren, doch fiel die Entscheidung mit dem 10. Juli doch noch früh genug, um zu reagieren. Und man kann reagieren: 94 Millionen Euro gab man 2009 aus, 100 nimmt man neun Jahre später wieder ein – nicht so, als hätte Real Madrid das Geld nötig, aber für einen 33-Jährigen ist das schon ein ordentliches Geschäft. Man soll gehen, wenn’s am Schönsten ist – und wie Zinédine Zidane zuvor räumt nun der fünfmalige Weltfußballer seinen Platz, damit Jüngere nicht nur kommen, sondern auch bleiben können. Marco Asensio und Gareth Bale ließen ihre Zukunft offen, werden nun aber sicher von einem Verbleib überzeugt sein. Ronaldos Abgang ist eine große Chance für Real, einen nach drei Champions-League-Siegen in Folge ohnehin fälligen Generationswechsel einzuleiten. Ob Alfredo Di Stéfano, Emilio Butragueño oder Raúl González – in Madrid werden die wenigsten Legenden alt. Das ist kein Romantikklub wie Liverpool oder Rom. Bei Real denkt man immer zuerst an sich und den eigenen Erfolg, den man mit Ronaldo durchaus noch weiter hätte haben können. Wie auch mit Pepe oder Iker Casillas. Aber man kann sich auch vorstellen, was für ein Theater und Druck entstehen würden, käme Ronaldo in ein größeres Formtief und säße wie einst Casillas häufiger auf der Bank. Ich bin der Ansicht, dass dieser Wechsel auf lange Sicht das Beste für alle Parteien sein wird. Für Real primär wirtschaftlich, denn man kann auch 21 Millionen Euro netto jährlich anderweitig einplanen. Ob auch sportlich, wird die Zukunft zeigen – und Asensio, Bale, und vielleicht auch ein Eden Hazard oder Kylian Mbappé. Ronaldo jedenfalls hat alles erreicht und wird auf ewig eine Legende bleiben. Ohne Schönheitsflecke. Ohne unerreichte Ziele. Ohne sein Denkmal in irgendeiner Weise zu beschädigen. Wie Zidane!
Kerry Hau: Zu früh und zu riskant
Cristiano Ronaldo hinterlässt ein galaktisches und unwiederbringliches Erbe. Allerdings denke ich, dass das Ende dieser einzigartigen Erfolgsgeschichte mindestens ein Jahr zu früh kommt. Ja, Ronaldo wird im Februar 34, aber Fußball ist ein Leistungssport. Und keiner kann behaupten, dass er keine Leistung mehr gebracht hat. Ganz im Gegenteil. CR7 schwebte gerade in der vergangenen Rückrunde wieder auf dem Olymp. Er wurde zum dritten Mal in Folge bester Torschütze der Champions League. Aber noch viel wichtiger: Er war an den großen Abenden fast immer zur Stelle. Mag sein, dass er in seinem letzten Spiel, dem Finale gegen Liverpool in Kiew, im Schatten anderer stand. Aber ohne ihn, ohne seine Klasse und seine Eier im Viertelfinale gegen seinen neuen Arbeitgeber Juventus, wäre Real erst gar nicht dorthin gekommen. Einen so konstanten Vollblutprofi mit einer so bestialischen Torquote und einem so unverkennbaren Trainingseifer kann niemand ersetzen. Deshalb hatte ich schon im März an Florentino Pérez appelliert, Ronaldos Gehaltswünschen nachzukommen. Der Beste verdient das Beste. Oder zumindest genauso viel wie Lionel Messi. Auch wenn ich auf der anderen Seite auch Verständnis für Pérez zeige, weil sich Ronaldo von einem der gierigsten und zwielichtigsten Agenten beraten lässt. Jorge Mendes – da bin ich mir sicher – wird in Madrid niemand mehr vermissen. Ronaldo aber sehr wohl. Dass kurz nach dem besten Trainer auch der beste Spieler geht, ist ein schwerer Schlag. Real wird in der neuen Saison weniger gefürchtet werden und muss sich ohne seine beiden Heilsbringer neu erfinden. Eine große und interessante Chance, ja, aber auch eine riskante. Bekommt der neue Trainer Julen Lopetegui nicht das bedingungslose Vertrauen und die volle Geduld der Verantwortlichen, könnten schwere Zeiten auf Real zukommen.
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