
Und täglich grüßt das Murmeltier. Real Madrid und Verletzungen, das ist schon ein dickes Buch, aber das Kapitel mit der Defensive? Das ist nicht nur lang, sondern auch schon oft durchgekaut. Und da sind wir wieder beziehungsweise ich mit meinem halbjährlichen Kommentar *hier bitte das Bart Simpson „Say the line!“-Meme einfügen*: Es wäre naiv und fahrlässig, wenn Real Madrid keinen Ersatz holt, aber die Prognose ist trotzdem sehr überschaubar…
Schon vor Daniel Carvajals schrecklicher Verletzung hat der Kader zumindest nach Auffüllung geschrien, denn in eine theoretisch mögliche 72-Pflichtspiele-Saison geht Real mit nur 22 von theoretisch 25 anmeldbaren Profis – darunter Langzeitpatient David Alaba und Sorgenkind Jesús Vallejo. Nach Carvajals Aus für die nächsten zehn bis zwölf Monate war der Bedarf in der Abwehr sogar noch größer als nach einem Neuner, und das auch aus Faktensicht: Carvajal war der einzige gelernte Rechtsverteidiger, alle anderen – von Lucas Vázquez über Éder Militão bis Fede Valverde – sind nur B-Lösungen. Aber jetzt nach dem Militão-K.o., oh Boy…
Aktuell gibt es in der Innenverteidigung nur einem, dem vertraut wird: Antonio Rüdiger. Auch der schleppt angeblich und aufgrund der Belastung – keiner hat mehr Minuten in dieser Saison gesammelt – schon Knieprobleme mit sich rum. Aurélien Tchouaméni ist erst in circa vier Wochen zurück, Vallejo wird null vertraut, das zeigte auch die Einwechslung von Raúl Asencio, sodass Vallejo nach Spielende nur auslaufen durfte durchs leere Bernabéu. Nur ein Profi-Innenverteidiger sogesehen! Größer könnte der Bedarf aktuell also nicht sein – ob nach einem Wintertransfer oder auch nach einem sofort eintragbaren Free Agent.
Jesús Vallejo still doing his job…#RealMadridOsasuna pic.twitter.com/ATtxzy4Gc0
— Nils Kern (@nilskern17) November 9, 2024
Meine Gedanken sind also klar: Sollte Real jemanden holen? Natürlich! Wird Real jemanden holen? Ich glaube nicht. Warum? Weil Real Madrid, also unter anderem Florentino Pérez und die anderen Verantwortlichen um José Ángel Sánchez, denken nicht kurzfristig, nur langfristig. Und es gibt ja noch ein schwaches Licht am Horizont: „El fichaje es Alaba“, wird eines der nächsten MARCA-Titelblätter lauten. David Alaba wird bald zurückkehren, nachdem er seit Ende September individuell auf dem Platz und seit Donnerstag teilweise auch schon mit Ball trainiert – ein Comeback in diesem Jahr ist theoretisch noch möglich, nachdem er sich am 17. Dezember 2023 das linke, vordere Kreuzband riss. Und dann gibt es noch den erwähnten Asencio und andere C-Lösungen aus der Jugend, so wird auch Jacobo Ramón demnächst von einer Verletzung zurückkehren. So wie Tchouaméni. Und notfalls Ferland Mendy. Und wenn alle Stricke reißen, kann sich vielleicht doch nochmal Vallejo beweisen, auch wenn er nach seinem einzigen Saisoneinsatz gegen Alavés (3:2) in zehn Minuten noch zwei Gegentore mit verschuldete.
Das ist nicht meine Denkweise, aber das wäre der typische Real Madrid-Move. Das hat auch in der Vergangenheit geklappt, indem man nicht jährlich einen neuen Positionskonkurrenten für Carvajal gesucht oder sogar geholt hat – schlussendlich spielte der Spanier 2023/24 vielleicht sogar seine beste Saison. Dieses Vertrauen gibt auch Carlo Ancelotti an seine Mannschaft weiter, ließ so wie Rodrygo Goes in der Vorsaison aktuell auch Kylian Mbappé immer wieder spielen trotz Torflaute, um den Knoten so irgendwann platzen zu lassen, statt ihn durch einen Bankplatz zu demoralisieren. Nun schließe ich nicht aus, dass Ancelotti nicht trotzdem gerne jemanden hätte, so wie auch 2022 nach Karim Benzemas überraschendem Abgang (Joselu war vorab nur als Backup eingeplant) oder in vielen anderen Fällen, wie dem ebenso überraschendem Joselu-Abgang.
So wie Real ist auch Ancelotti kein typischer Wintertransfer-Typ, der letzte „echte“ war sogesehen Brahim Díaz 2019 (Reinier 2020 zähle ich nicht, weil der für die Castilla eingeplant war), davor 2015 Lucas Silva – eines der vielen Negativbeispiele, aus denen auch „Carletto“ gelernt hat, sein Team im Sommer zu einen und zu formen. Und trotzdem hat er im Sommer 2024 ein Team geformt mit einem gelernten Rechtsverteidiger, und zwei Innenverteidigern, die von Kreuzbandrissen zurückkehren – einer war schon zurück, der andere sollte im Spätherbst eigentlich folgen. Die fehlen jetzt beziehungsweise noch. Und nach dem Abgang von Allzweckwaffe Nacho Fernández hat aktuell nur Rüdiger das Vertrauen. Das ist nicht nur zu wenig, das ist peinlich für die Kaderplanung, die Jahr für Jahr naiver und dünner wird. Auch wenn sie in der Vorsaison trotz drei Kreuzbandrissen zum großen Double führte, auch dank einer „Jetzt erst recht“-Einstellung des Teams. Aber das ist nicht immer zu wiederholen, so agieren die Verantwortlichen ähnlich naiv wie im Sommer 2018, als man so dachte, der Erfolg nach dem „Threepeat“ – und die Saison 2017/18 war eigentlich schon keine gute mehr – würde einfach so weiter gehen, nur weil man ein paar Weltfußballer-Kandidaten im Kader hatte (das war damals einer der kurioen Kündigungsgründe für den bemitleidenswerten Julen Lopetegui).
Ja, Real muss handeln, eigentlich schon jetzt, statt erst im Winter. Aber den freien Sergio Ramos kann ich mir nicht vorstellen. Es wird Gründe geben, warum die Legende noch immer keinen neuen Arbeitgeber gefunden hat, weder in Europa noch im Rest der Welt – zu hohe Forderungen, zu hohe Einsatzgarantien oder auch ein Bruder und Berater, der sich mit Pérez bereits verkracht hat, als man 2021 das Verlängerungsangebot auslaufen ließ. Ramos könnte sportlich natürlich helfen, mittlerweile braucht es auch wieder etwas mehr Leader, Erfahrung und Disziplin im Team, und trotzdem könnte er Ancelottis heilige Hierarchie in der Kabine durcheinander bringen. Andere Lösungen ließ man im Sommer trotz Leny Yoros überraschender, aber doch früher Absage verstreichen, wie Ex-Canteranos Mario Hermoso, Mario Gila oder auch Rafa Marín, den man lieber zu Geld machen wollte. Auch hier wieder: Wenn ein Plan (Yoro) nicht klappt, steht der Klub mal wieder alternativlos da, wie quasi in jedem Sommer nach den Mbappé-Absagen. Oder nach dem Benzema-Abgang. Oder oder oder. Und wenn dann jetzt im Winter keine A-Lösung vom Format Matthijs de Ligt holbar wäre – wir können auch über Aymeric Laporte oder Pedro Porro reden – dann gibt es eben keinen Plan B, keine kurzfristige Lösung, keine Leihen (die letzte war 2011 Emanuel Adebayor), dann muss Ancelotti eben wieder zaubern mit 18 Spielern und ein paar Canteranos. Wie bei Tchouaméni und Camavinga. Hat doch schon oft geklappt…
Das, liebe Leute, ist Real Madrid. Und irgendwo auch das Erfolgsgeheimnis der letzten Jahre, das Zusammenschweißen, das auf sich vertrauen, das nicht in Panik geraten. Aber das kann nicht immer klappen, siehe beispielsweise 2018/19. Ich schließe nicht aus, dass Porro oder Laporte zumindest mal eine lose Anfrage erhalten, aber auch da lässt Real Madrid nicht mit sich spielen und einen Mondpreis aufdrücken. Von Trent, Davies oder Hakimi will ich da gar nicht reden.
Bei all diesen Fällen rund um die Defensive und die Kaderplanung kommt also viel zusammen. Der Bedarf könnte größer nicht sein, schon vor Carvajals Verletzung. Und doch wäre es meiner Meinung nach typisch Real, und ein bisschen auch typisch Ancelotti, wenn sich Fans mal wieder falsche Hoffnung und Erwartungen machen. Daher versucht es wie ich: wenig erwarten, und am Ende vielleicht doch überrascht werden. Und am Ende können wir vielleicht doch jubeln, wie alle in Barts Klassenzimmer.

In der 3. Halbzeit ging es auch ausführlich um das Transfer-Thema und wie die Blancos da ticken:
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