Reportage

Kroos’ Erfolgsformel: Gezielte Trainingssteuerung, regelmäßige Ruhepausen

Dass Toni Kroos in Real Madrids Mittelfeld gesetzt ist, stellt keine Neuigkeit dar. Die Energie und Leichtigkeit, mit der der Deutsche in der Saison 2021/22 aufspielt, erinnert hingegen an alte Zeiten. So wirkt der Mittelfeldstratege seit seinem Nationalmannschaftsrücktritt deutlich frischer und spielfreudiger. REAL TOTAL analysiert das Formhoch des Taktgebers und dessen Einfluss auf das königliche Spiel.

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Toni Kroos Collage
Seit seinem Rücktritt im DFB-Team wirkt Toni Kroos frischer, wenn er für die Blancos aufläuft – Fotos: IMAGO

So frisch wie lange nicht mehr

GRANADA/MADRID. 85 Ballaktionen, 97 Prozent Passquote und vier Key-Pässe lesen sich auf den ersten Blick nach einem gewöhnlichen Kroos-Spiel. Wirkte der Deutsche in den vergangenen Spielzeiten in vielen Einsätzen jedoch überspielt, wenig spritzig und mitunter trotz seiner außergewöhnlichen fußballerischen Fähigkeiten fast ein wenig lethargisch, sprüht der 31-Jährige dieser Tage nur so vor Energie.

Beim FC Granada (2:1) überzeugte er dabei gleich mit zwei Assists. Erst bediente er Marco Asensio mit einem gut getimten „Tunnel-Pass“ (19.), um nur sechs Zeigerumdrehungen später nach einem selbst ausgeführten Eckball blitzschnell zu schalten und Innenverteidiger Nacho Fernández das 2:0 aufzulegen. Doch sind es nicht nur die nackten Zahlen, die für den Deutschen sprechen. So lieferte der Taktgeber im zentralen Mittelfeld in den vergangenen drei Spielzeiten wettbewerbsübergreifend stets gute Stats ab: Auf ein Tor, sechs Assists in der Saison 2018/19 folgten statistisch sogar noch stärker Folgespielzeiten. 2019/20 kam er auf sechs Tore und neun Assists. 2020/21 gelangen im starke drei Tore und zwölf Assists. Jeweils abgerundet von unzähligen Key-Pässen und einer Passquote, die zumeist über 90 Prozent lag.

Der Toni Kroos der Saison 2021/22 kommt jedoch – trotz konstanter Statistiken (neun Spiele, ein Tor, zwei Assists) – anders als in den Vorjahren daher. So präsentierte sich der Ex-Bayern-Star in seinen bisherigen Einsätzen dynamischer und zugleich aufmerksamer im Spiel gegen den Ball und legte dabei eine deutlich positivere Körpersprache an den Tag. Doch woran liegt das? Ein Ansatzpunkt stellt sicherlich der Trainerwechsel von Zinédine Zidane zu Carlo Ancelotti dar. Deutlich naheliegender scheint aber der Rücktritt aus der Nationalmannschaft. Dieser verschafft dem Wahl-Madrilenen im Laufe der Saison merklich mehr Regenerationsmöglichkeiten. Zudem kann der Deutsche seinen sportlichen Fokus nun ausschließlich auf die Blancos legen.

Voller Fokus auf Real Madrid

Wenige Tage nach dem Achtelfinal-Aus gegen England, gleichbedeutend mit Kroos’ 106. und letztem Einsatz für das DFB-Team, verkündete er seinen Rücktritt über Social Media: „Den Entschluss, nach diesem Turnier aufzuhören, hatte ich schon länger gefällt. Es war mir schon länger klar, dass ich für die WM 2022 in Katar nicht zur Verfügung stehe. Vor allem, weil ich für die nächsten Jahre die volle Konzentration auf meine Ziele mit Real Madrid richten möchte. Dazu werde ich mir von nun an ganz bewusst auch mal Pausen gönnen, die es als Nationalspieler seit elf Jahren nicht mehr gab.“

Toni Kroos Real Madrid
Gegen Granada legt der 31-Jährige gleich zwei Treffer auf – Foto: IMAGO / Agencia EFE

Waren einige Kroos-Kritiker vor der Saison nicht überzeugt davon, dass der zentrale Mittelfeldspieler noch immer dauerhaft auf Weltklasse-Niveau performen würde, beweist er den Madridismo dieser Tage seinen enormen sportlichen Wert. Seit er seine Schambeinverletzung auskuriert hat, ist der gebürtige Greifswälder in jedem Spiel von Beginn an gesetzt. Mit Ausnahme der 1:2-Pleite bei Espanyol durfte der 1,83-Meter-Mann dabei auch jeweils über 90 Minuten ran – und steigerte sich von Spiel zu Spiel.

Anders als in den vergangenen Spielzeiten konnte Kroos die zweiwöchige Länderspielpause im November zum Aufladen der Akkus nutzen: „Ich muss mich ausruhen. Ich war drei Monate lang außer Gefecht, und jetzt habe ich in den letzten sechs Partien fast immer die 90 Minuten durchgespielt, betonte er jüngst im Interview mit Realmadrid TV. Neben einigen gezielten Einheiten auf dem Platz nutzte der 31-Jährige das Fitnessstudio zum Formerhalt. Passend schwärmte schon David Alaba im Podcast: „Auf einmal macht er Bauchübungen, Stabübungen im Dampfbad. Ich sag: ‚Toni, was ist mit dir los?‘ In der dritten Woche gehe ich ins Dampfbad rein und dann liegt er da mit Hanteln. Ich sag: ‚Anton, was ist mit dir passiert in den letzten sieben Jahren?‘ In der vierten Woche gehe ich runter und er sitzt in der Sauna auf dem Fahrrad.“ Und all das zahlt sich aus, wie Kroos’ Auftritt in Granada gezeigt hat.

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Hoeneß-Kritik als Motivationsschub?

Zwar muss jemand, der Weltmeister geworden ist, vier Mal die Champions League und etliche nationale Titel gewonnen hat, niemandem mehr etwas beweisen. Dennoch muss sich der Deutsche immer wieder mit teilweise harscher Kritik an seinem Spielstil auseinandersetzen. Zu diesen Kritikern zählt unter anderem auch Bayern Münchens ehemaliger Manager Uli Hoeneß. Dieser befand nach der Europameisterschaft 2020, dass Spieler wie Kroos „in diesem Fußball nichts mehr verlorenhätten. Der 69-Jährige kritisierte seinen Ex-Schützling für dessen „Querpass-Fußball, der nicht mehr in die heutige Zeit passe.

Für Kroos sind solche Aussagen offenbar Motivation genug, noch einmal zu Höchstleistungen aufzulaufen. Vor allem in puncto Körpersprache bereitet der Mittelfeldstratege dem Madridismo zurzeit so viel Freude wie lange nicht mehr. So scheut sich der Weltmeister von 2014 nicht vor Defensivarbeit – und kratzt, falls wie gegen Rayo (2:1) nötig, auch mal einen Ball von der Torlinie. Doch auch im Spiel mit Ball wirkt er energischer, wenngleich der Ex-Nationalspieler schon seine ganze Karriere über zu den Spielern mit den meisten Tiefenpässen zählt.

Beziehung zu Ancelotti wichtiger Baustein

Angesichts der Erkenntnisse des bisherigen Saisonverlaufs wird es nun auch an Ancelotti liegen, die Einsatzzeit seines Schützlings sinnvoll zu managen. Mit Eduardo Camavinga, Antonio Blanco, aber auch Federico Valverde und Marco Asensio gibt der Kader der Königlichen genügend Alternativen her. Das gute zwischenmenschliche Verhältnis zwischen Kroos und Ancelotti könnte in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung sein: Er weiß genau, was für ein Spieler ich bin, was ich in die Mannschaft einbringen kann und was ich brauche, um mich wohlzufühlen und alles für die Mannschaft zu geben. Es ist eine gute Beziehung, und nur wenige kennen mich besser als er“, befand Kroos gegenüber Realmadrid TV.

Vor dem Hintergrund seiner steigenden Formkurve, Ancelottis Festhalten am 4-3-3-System und Kroos’ außergewöhnliches Passspiel spricht vieles dafür, dass der Deutsche auch weiterhin als Taktgeber gesetzt sein wird. Zwar scharrt insbesondere Camavinga mit den Hufen, im Unterschied zu seinem fünf Jahr älteren Nebenmann Luka Modrić dürften sich die Auszeiten des Ex-Bayers vor allem in den großen Spielen eher in Grenzen halten. Zudem weiß Ancelotti, dass es kaum ein Spieler so gut versteht, den Rhythmus des Spiels zu diktieren. Bietet sich das Spiel in die Tiefe an, kann Kroos das Spiel sehr wohl blitzschnell beschleunigen und gleich mehrere Reihen überspielen. Droht sein Team die Kontrolle zu verlieren, kann er diese durch das Einleiten kontrollierter Ballbesitzphasen gezielt zurückerobern.

Verbleib über 2023 hinaus denkbar

Für den Mittelfeldspieler, dessen Arbeitspapier bis 2023 läuft, steht mit Blick auf den weiteren Saisonverlauf dennoch nicht die persönliche Anerkennung im Vordergrund. Vielmehr fokussiert Kroos, der das Real-Gen längst verinnerlicht zu haben scheint, den Erfolg im Kollektiv: „In diesem Verein will man immer gewinnen. Das weiß ich, seit ich vor sieben Jahren hierherkam. (…) Ich sehe, wie das Team arbeitet und der Erfolg wird kommen. Wenn wir alle gemeinsam Spaß haben, habe ich keinen Zweifel daran, dass wir etwas Großes erreichen werden.“ Gut vorstellbar, dass Kroos mit den Blancos noch einige Trophäen in den Madrider Nachthimmel reckt. Ebenso gut vorstellbar, dass er den Merengues dank der fehlenden Länderspiele auch über den Sommer 2023 erhalten bleibt. Der Deutsche hat so viel Einfluss wie lange nicht mehr auf das Spiel der Königlichen, wenngleich diese Feststellung Uli Hoeneß vermutlich nicht schmecken dürfte.

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